Häufig sind es Erkrankungen der Augenhornhaut, die Blindheit verursachen. Die etablierte
Therapie ist die Transplantation der Cornea, doch diese ist in einigen Fällen nicht möglich…
Potsdam (idw) - Unsere Augen sind das Fenster zur Welt, doch tausende Menschen können kaum noch
oder gar nicht mehr durch dieses Fenster sehen – ihre Hornhaut ist defekt. Ursache sind oftmals Unfälle wie
Verätzungen, chronische Entzündungen, fehlende Limbusstammzellen im Auge und Erkrankungen wie Keratokonus,
bei der sich die Hornhaut ausdünnt und kegelförmig vorwölbt. Den Betroffenen hilft nur noch eine
Spenderhornhaut. Allein in Deutschland warten 7000 Menschen auf dieses rettende Gewebe, das jedoch wie alle Spenderorgane
Mangelware ist. Um diese Situation zu entschärfen, entwickeln Dr. Joachim Storsberg und sein Team vom Fraunhofer-Institut
für Angewandte Polymerforschung IAP in Potsdam in enger Zusammenarbeit mit dem Aachener Centrum für Technologietransfer
ACTO e. V. künstliche Hornhäute. Wissenschaftliche Partner im Projekt »ARTCORNEA« sind die
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, das ACTO e. V. und die Augenklinik Köln-Merheim.
»Wir entwickeln zwei unterschiedliche künstliche Hornhäute, eine davon können wir als einfachen
Transplantatersatz den Patienten einsetzen, die eine Spenderhornhaut gut vertragen, aber wegen des großen
Mangels keine erhalten«, sagt Dr. Storsberg, Projektleiter am IAP. Der Wissenschaftler verfügt über
großes Know-how hinsichtlich solcher Keratoprothesen: Von 2005 bis 2009 hat er schon einmal in Kooperation
mit interdisziplinären Teams und Unternehmen eine künstliche Hornhaut hergestellt, die sich speziell
für extrem komplizierte Versorgungssituationen bei getrübten Hornhäuten von Patienten eignete. Die
Betroffenen tolerieren eine Spenderhornhaut aufgrund ihrer Erkrankung nicht oder haben bereits mehrfache erfolglose
Transplantationen hinter sich. Für diese Leistung erhielt Dr. Storsberg den Josef-von-Fraunhofer-Preis 2010.
»Von unserem neuen Implantat, ArtCornea® genannt, werden hingegen sehr viele Patienten mit unterschiedlichsten
Krankheitsbildern profitieren. Wir haben ArtCornea® bereits als Warenzeichen eintragen lassen«, so der
Forscher.
Implantat verwächst mit natürlicher Hornhaut
Basis von ArtCornea® ist ein Polymer, das Wasser gut aufnehmen kann. Dr. Storsberg und sein Team haben das
ursprüngliche Material mit einer neuen Oberflächenbeschichtung versehen, die komplette Oberfläche
selektiv funktionalisiert: Der Haptikrand etwa wurde chemisch so verändert, dass er etwas hydrophober, also
wasserabstoßender ist und Zellen darauf anwachsen können. Nur so verbindet sich das Implantat mit dem
umgebenden humanen Gewebe und erhält Stabilität. Bevor die Experten die Keratoprothese in Zellkulturen
prüfen konnten, wurde sie sterilisiert. Ziel der Forscher war es, die Oberfläche und Optik des Implantats
zu vergrößern und so einen besseren Lichteinfall zu ermöglichen, als dies bei der Vorgänger-Keratoprothese
der Fall war – eine hohe Anforderung. »ArtCornea® lässt sich optisch gut verankern, man erkennt
nur noch die Naht. Außerdem ist sie leicht implantierbar und ruft keine Immunreaktion hervor«, betont
Dr. Storsberg die Vorzüge der neuen Entwicklung.
Auch bei der zweiten künstlichen Hornhaut, ACTO-TexKpro genannt, ist es den Experten gelungen, ein chemisch
und biologisch inertes Basismaterial biologisch kompatibel zu machen. Hierfür veränderte Dr. Storsberg
das Ausgangsmaterial Polyvinylidendifluorid selektiv, indem er das textile Fluorkunststoffgewebe mit einem reaktiven
Molekül beschichtete. Dadurch konnte der Rand des Implantats fest mit der natürlichen Hornhaut verwachsen,
während die innere Optik aus Silikon frei von Zellen und somit klar blieb. Die ACTO-TexKpro eignet sich vor
allem für die Erstversorgung, etwa wenn die Hornhaut durch chronische Entzündungen, schwere Unfälle
sowie Verätzungen oder Verbrennungen zerstört wurde.
Die Experimente wurden von der Arbeitsgruppe Dr. Norbert Nass und Dr. Saadettin Sel der Martin-Luther-Universität
Halle-Wittenberg durchgeführt. Sowohl die TexKpro als auch die ArtCornea® überprüften die Ärzte
zunächst im Labor auf ihre Verträglichkeit und setzten sie anschließend in vivo mehreren Kaninchen
ein – mit Erfolg: Die implantierten Prothesen erwiesen sich über sechs Monate als reizfrei eingeheilt, klar
und dicht im Auge verankert, eine Abstoßung fand nicht statt. Die Kontrollen nach den Operationen zeigten,
dass die Tiere die künstlichen Hornhäute gut vertragen. Demnächst sollen die klinischen Tests an
der Augenklinik Köln-Merheim unter der Leitung von Prof. Dr. Norbert Schrage starten. Die Chancen, dass sich
die bisherigen positiven Ergebnisse in den klinischen Prüfungen bestätigen, stehen gut – alle Kooperationspartner
stufen die Erfolgsaussichten als sehr hoch ein. Ein weiteres Erfolgsindiz: Bereits 2009 wurde eine für Ultima-Ratio-Patienten
entwickelte Keratoprothese mehreren Betroffenen implantiert, die humane Spenderhornhäute abstoßen. Sie
alle tragen die Kunsthornhaut bis heute, ohne dass Komplikationen aufgetreten sind. |