Parlamentarische Enquete des Salzburger Landtages zum Thema Weichenstellungen
Salzburg (lk) - Hat Salzburg im Bereich der Sozialpolitik, im Bereich des Verkehrs und in der ländlichen
räumlichen Entwicklung ausreichend Weichen für die Zukunft gestellt? Und auch die Themenbereiche Umwelt-
und Naturschutz, Tourismus und Politikverhalten standen am 09.10. im Fokus der Parlamentarischen Enquete des Salzburger
Landtages mit dem Titel "Weichenstellungen" in der Salzburger Residenz. Den Beginn der Vortragsreihe
machte Univ.-Prof. Dr. Walter J. Pfeil, der der Frage nachging, inwieweit Impulse im Sozialbereich von Salzburg
ausgegangen sind. Die Kompetenzen des Landes Salzburg im Sozialbereich reichen vom Armenwesen über die Jugendfürsorge,
das Behindertengesetz, die Kinder- und Jugendwohlfahrtsordnung, das Grundversorgungsgesetz, das Sozialbetreuungsberufegesetz
bis hin zum Mindestsicherungsgesetz, welches in einer 15a B-VG Vereinbarung geregelt ist.
Pfeil: Anforderungen an Sozialbereich steigen weiter
Im Vergleich zu anderen Bundesländern sieht Pfeil als besonders herausragende Regelungen das Salzburger
Sozialhilfegesetz, welches ursprünglich als eines der modernsten Gesetze galt. Struktur und Inhalte des Sozialhilfegesetzes
seien jedoch durch insgesamt 29 Novellen verloren gegangen.
Auch das Behindertengesetz sei mittlerweile hinsichtlich der Begrifflichkeit, der Leistungen, der Integration oder
der Partizipationsmöglichkeit völlig überholt. Die Salzburger Kinder- und Jugendwohlfahrtsordnung
sei hingegen wegweisend im Bereich der Fachlichkeit, Planung, aber auch Öffentlichkeitsarbeit.
Unter starker Mitwirkung der Salzburger Politik und der zuständigen Beamten kam es österreichweit mit
dem 15a B-VG Mindestsicherungsgesetz zu einer bundeseinheitlichen Lösung im Bereich der offenen Sozialhilfe.
Das Salzburger Mindestsicherungsgesetz weise heute, so Pfeil, Stärken wie Schwächen auf. Gerade in der
nahen Vergangenheit sei es zu einer Rücknahme von Rechtsansprüchen gekommen.
Neue Finanzierungsformen erschließen
"Die Anforderungen und Handlungsbedarf für Sozialpolitik werden weiter steigen", so Pfeil, der dabei
auf die demografische Entwicklung, den Arbeitsmarkt und immer brüchiger werdende Versicherungssysteme verwies.
Hinzu kämen eine veränderte Erwartungshaltung der Betroffenen beziehungsweise ihrer Angehörigen
und ein stärkerer Druck von außen beispielsweise von der EU wie der UN-Konvention. Als eine kurzfristige
Maßnahme, die umgesetzt werden muss, sieht Pfeil die Behebung der Mängel in der Salzburger Mindestsicherung.
Pfeil schlägt auch die Erschließung neuer Finanzierungsformen vor, wie faire Vermögens- und Erbschaftssteuern
für alle. Diese wären auch eine gute Basis für das Modell "Pflegeleistungen aus einer Hand".
Abschließend betonte der Sozial- und Arbeitsrechtsexperte: "Sozialinvestitionen schaffen Arbeitsplätze
und sichern gesellschaftliche Balance."
LAbg. Ingrid Riezler (SPÖ) betonte, dass in Salzburg ein Konsens zwischen allen Parteien herrsche, dass es
im Sozialbereich keine Einsparungen geben dürfe, um die Sozialen Leistungen abzusichern. Dabei sei es auch
wichtig, die erreichten Standards zu halten und weiter auszubauen.
LAbg. Friedrich Wiedermann (FPÖ) appellierte an die Regierung, die längst überfällige Gleichstellung
bei der Mindestsicherung für alle Anspruchsberechtigten herzustellen.
LAbg. Mag. Hans Scharfetter (ÖVP) betonte, dass das Sozialhilfesystem in gewissen Punkten verbesserungswürdig
sei, man in Salzburg aber über eines der besten Systeme im Vergleich zu anderen Ländern verfüge.
Landesrat für Soziales und Gesundheit, Walter Steidl (SPÖ) betonte, dass die Solidargesellschaft ihre
Fortsetzung finden muss und alle dazu einen Beitrag leisten müssen. "Auch in Zukunft müssen wirtschaftlich
Stärkere wirtschaftlich Schwächere unterstützen", so Steidl.
Scherrer: Regionalstadtbahn als großer Wurf
A.o. Univ.-Prof. Dr. Walter Scherrer referierte zum Thema "Verkehrsinfrastruktur – langfriste Weichenstellungen
für den (Wirtschafts-) Standort Salzburg". Zu den historischen Weichenstellungen im Bereich des Salzburger
Verkehrs zählte Scherrer die Errichtung des Bahnhofs und des Flughafens "weit draußen vor der Stadt",
die Errichtung und den Ausbau der S-Bahn, der Lokal- und Pinzgaubahn sowie das Auflassen der Straßenbahn
und Ischlerbahn beziehungsweise den Verzicht der kreuzungsfreien Südtangente als Ringanschluss des hochrangigen
Straßennetzes um die Stadt Salzburg.
Zu den anstehenden Weichenstellungen in Salzburg mit gravierenden langfristigen Auswirkungen gehören, laut
Scherrer, der vierspurige Ausbau der Westbahn und eine Lösung für die Verkehrsprobleme im Salzburger
Zentralraum, wobei hier viele kleine Schritte notwendig seien. Scherrer sieht dabei in der Regionalstadtbahn den
"großen Wurf". Scherrer gab zu bedenken, dass strukturelle Budgetprobleme in Bund und Land sowie
die Verschuldungsgrenzen durch "Maastricht" und den innerösterreichischen Stabilitätspakt den
Finanzierungsspielraum für Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur einengen. "Kreative Finanzierungsformen
wie Public-Private-Partnership können lediglich eine scheinbare Erleichterung verschaffen. In Salzburg habe
man dazu den richtigen Weg eingeschlagen und auf solche Modelle bislang verzichtet", so der Verkehrsexperte.
Weber: Nicht nur auf Wachstum setzen
"Gerade auch die Raumplanung in der Kompetenz des Landes hat die Aufgabe, sich mit der Relevanz von Räumen
und Zukunftstrends auseinanderzusetzen, um die daraus erwachsenden Weichenstellungen für ihr Agieren abzuleiten",
so Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Gerlind Weber von der Universität für Bodenkultur, Institut für Raumplanung
und Ländliche Neuordnung (IRUB), die das Thema "Ländliche Räume – wenn kein Stein auf dem anderen
bleibt" beleuchtete.
Die Globalisierung wirke sich auch auf die Entwicklung des ländlichen Raumes aus, dabei komme es zu einem
verstärkten Standortwettbewerb sowie einer aufgehenden Entwicklungsschere zwischen strukturstarken und strukturschwachen
ländlichen Räumen, so Weber. Die Raumplanung sei dabei gefordert, Fachwissen, Strategien und Instrumente
zur Gestaltung von rückläufigen Entwicklungen herauszubilden. Der demographische Wandel, wie weniger
Geburten und ein steigendes Durchschnittsalter sowie ein geringer werdender Anteil an Kindern und Jugendlichen
und hoher Anteil an Betagten und Hochbetagten, erfordere die Erstellung demographischer Prognosen für Regionen
und Gemeinden und einer verpflichtenden Erstellung eines "Demographiechecks" für Gesetze, Förderungen,
Pläne und Projekte. Der Trend hin zu einer Wissensgesellschaft erfordere beispielsweise die Rückholung
von Qualifizierten in die Regionen, die Schaffung von Lern-Orten wo beispielsweise junge Frauen an die Technik
herangeführt werden, sowie die Steigerung der Attraktivität der Gemeinden für Jugendliche, junge
Familien und Frauen. Weber wies auch auf die Herausforderung der Raumplanung im Bereich des Klimawandels hin: Es
dürfe keine weitere Zersiedelung mehr geben, Extremstandorte sollten abgesiedelt werden, und die Autoabhängigkeit
sollte bestmöglich reduziert werden. Als weitere Weichenstellungen für eine nachhaltige Raumplanung schlägt
Weber eine Umschichtung der Wohnbauförderungsmittel vor, die Einführung von neuen Kriterien wie Einwohnerdichte,
die Aufwertung der Freiwilligenarbeit und das Setzen auf Bevölkerungszuwächse durch Zuwanderung. Wohnen
in der Peripherie, so die Expertin, sei rückläufig, Wohnen im Zentralraum gewinne hingegen an Bedeutung.
"Die Kosten für Pflege und Betreuung sind die einzigen, die noch wachsen dürfen", so Weber.
Klubobfrau Mag. Gerlinde Rogatsch (ÖVP) betonte, es seien die Weichen dahingehend zu stellen, dass es zu einem
fairen und gesunden Föderalismus komme und ländliche Regionen nicht ausgedünnt werden.
Landesrat Sepp Eisl (ÖVP) wies auf die Wichtigkeit der Entwicklung Salzburgs im Bereich des Ländlichen
Raumes hin und betonte, dass es unumgänglich sei, in Infrastruktur zu investieren, um einen dynamischen und
vitalen ländlichen Raum weiterhin zu garantieren und zu erhalten. |
Mild: Das "Mögliche" zu tun reicht nicht
In seinem Vortrag "Ökologische Weichenstellungen im Spannungsfeld von Wirtschaft, Natur- und
Klimaschutz: Das – landespolitisch – 'Mögliche' wurde getan - aber wie kann das 'Unmögliche' gelingen?"
kam Mag. Erich Mild zum Schluss, dass zwar in der Vergangenheit in einigen Teilbereichen schöne Erfolge gelungen
sind, jedoch zur Bewältigung der neuen Herausforderungen ein Weitermachen wie bisher jedoch zu wenig ist.
Als Erfolgsmodelle nannte Mild die Biolandwirtschaft, die Ökologisierung der Wohnbauförderung im Neubau
und die Nationalparkidee. Bei Luft- und Gewässergüte konnten ab den 1980er Jahren deutliche Verbesserungen
erzielt werden. Nichtsdestotrotz steigt die Emission von Treibhausgasen weiterhin.
Eine Trendwende gelinge nur mit grundlegenden Änderungen unseres Wirtschaftens und unseres Lebensstils. "Zukunftsfähige
Energie- und Klimaschutzpolitik muss vom Rand in das Zentrum wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Handelns
rücken – dann kann das 'Unmögliche' bzw. das unmöglich Erscheinende gelingen", so Mild. Eine
Vision der Energieautonomie bis 2050 könne Wirklichkeit werden, wenn es eine breite Diskussion über das
Wie gebe. Pioniere müssen nachhaltig gefördert, ihre Erfahrungen den anderen zugänglich gemacht
werden.
Luger: Natur und Kultur behutsam für Tourismus nutzen
Anschließend referierte Univ.-Prof. Dr. Kurt Luger von der Universität Salzburg, UNESCO-Lehrstuhl "Kulturelles
Erbe und Tourismus", über Nachhaltigkeitsüberlegungen zum Salzburg-Tourismus. Ausgehend von der
neuen Tourismusstrategie und dem Wirtschaftsprogramm für die nächste Dekade schlug Luger ergänzende
Maßnahmen vor, die sich vor allem auf die Herausforderung Klimawandel und die damit verbundenen Anpassungsleistungen
beziehen. Mögliche Chancen zur Optimierung des Tourismus sah er im naturnahen Tourismus, der auch in Richtung
sanfter Mobilität führt, sowie in der behutsamen und seriösen touristischen Inwertsetzung des kulturellen
Erbes. Er stellte erfreut fest, dass im Tourismus vom reinen Marketing-Denken zu einer an der Nachhaltigkeit und
den Kulturwerten orientierten Tourismuspolitik umgeschwenkt werde. Luger sprach sich dafür aus, Salzburg als
Reiseziel mit grünem Image auszubauen. Tourismus sei als zentrales Handlungsfeld der Regionalpolitik zu sehen.
Der Klimawandel stelle besonders den Alpenraum durch abnehmende Schneesicherheit und geologische Instabilität
vor große finanzielle Herausforderungen. Es müsse zu einem Rückbau bei den flächendeckend
touristifizierten Gebieten kommen.
Wally: Beteiligung an Politik schwindet
Mag. Stefan Wally von der Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen sprach danach über "Anstehende
Weichenstellungen: Wo baut sich kritische Masse auf?". Seiner Ansicht nach ändern sich Interessen, Bedürfnisse,
Kulturen, Ideologien aufgrund der Internationalisierung. Die Institutionen des Politischen Systems verlieren an
Integrationskraft, was dazu führt, dass das Mobilisieren für politische Projekte und das Stellen von
Führungskräften immer schlechter funktioniert. Die Implementierung und Durchsetzung von Entscheidungen,
so Wally, werde erschwert durch die Verknappung der öffentlichen Gelder. Aufgrund der notwendigen Schwerpunktsetzungen
im Zusammenhang mit der Alterung der Gesellschaft, werde der Konsens über passende Ressourcenverteilung schwieriger
herzustellen sein. "Die Legitimität der handelnden Politik wird in Frage gestellt, da die Beteiligung
an demokratischen Prozessen zurückgeht", so Mag. Wally.
In der abschließenden Diskussion führte Landtagsdirektor Hofrat Dr. Karl Edtstadler das Altstadt-Erhaltungsgesetz,
die Erhaltung des Grünlands in Salzburg-Freisaal, die Errichtung des Nationalparks Hohe Tauern sowie Vertrags-Raumordnung
und Vertrags-Naturschutz als wesentliche Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte an. Prof. Dr. Eberhard Stüber,
ehemaliger Umweltanwalt und Konsulent der Salzburger Landesregierung für Angelegenheiten des Natur- und Umweltschutzes,
hob besonders den Beitrag der Bürgerinitiativen und NGOs für Weichenstellungen in der Politik hervor.
Er appellierte an die Verantwortlichen, die Lebensressource Wasser "nicht bis zum letzten Seitenfluss"
für die Energiegewinnung zu nutzen. Landwirtschaftskammer-Direktor Dr. Nikolaus Lienbacher hielt fest, in
den Regionen sei viel Potenzial vorhanden, das bei vernünftigem Umgang mit Ressourcen die hohe Lebensqualität
im Land erhalten helfe. Dr. Franz Kok von der Universität Salzburg mahnte vom Gesetzgeber ein, zur Erreichung
der Energieziele die Verfahrenszusammenlegung zu forcieren.
Zusammenfassend betonte Landtagspräsident Simon Illmer, dass für die Landtagsparteien durch die Qualität
und Inhalte der Vorträge zahlreiche Impulse gewonnen werden konnten. |