Internationaler Forschungsbericht über Drogenpolitik
Linz (jku) - In einem zweijährigen Forschungsprojekt haben Juristen und Kriminologen der Universitäten
Linz und Krakow gemeinsam mit Medizinern, Psychologen und Gesundheitsökonomen der MedUniversität Wien
und des Forschungskrankenhauses Barcelona unter der Leitung von JKU-Strafrechtswissenschafter Prof. Dr. Richard
Soyer den Umgang mit der Suchtgiftproblematik in Polen, Österreich und Spanien untersucht. Mit finanzieller
Unterstützung der Open Society Initiative (CH) wurden dabei fächerübergreifend sowohl medizinische
als auch rechtliche Aspekte behandelt sowie Empfehlungen für den künftigen Umgang mit diesem Problemkreis
erarbeitet.
"Im Rahmen der empirischen Untersuchung wurden nicht nur Staatsanwälte, Polizeibeamte und Richter befragt,
sondern auch Mediziner, Therapeuten und Substanzabhängige selbst. Wir wollten ein wirklich umfassendes und
ganzheitliches Bild der Problematik erstellen", erklärt Prof. Soyer vom Institut für Strafrechtswissenschaften
an der JKU. Das Positive: Die österreichischen Befragten waren zufriedenen mit der staatlichen Drogenpolitik,
die dem Grundsatz von Therapie statt Strafe folgt. Verbesserungspotential sieht aber dennoch rund die Hälfte.
Generell zeigte die Studie ein wesentliches Problem auf: Die oft immer noch fehlende Zusammenarbeit zwischen Justiz
und Medizin. So befürworten 79 Prozent der österreichischen Drogenärzte eine erforderlichenfalls
lebenslange Substitutionstherapie (Drogenersatztherapie) als Ausstiegsmöglichkeit aus der Drogensucht, während
nur 11 Prozent der heimischen Richter darin eine sinnvolle Gangart sehen. "Das fachübergreifende Verständnis
von Medizinern und Juristen muss gefördert werden", so der Projektkoordinator der Studie, Univ.-Ass.
Assessor iur. Stefan Schumann, "denn Sucht ist zugleich eine chronische psychiatrische Krankheit und ein gesellschaftliches
Problem."
Drogenbrennpunkt Knast
"Unsere internationale Untersuchung zeigt ganz klar, dass sich die Drogenpolitik viel mehr auf medizinische
Unterstützung beim Ausstieg konzentrieren sollte und weniger auf Bestrafung", so Soyer. Im Prinzip sei
das in Österreich auch bereits erkannt worden. "Wir haben mehr als 200 spezialisierte Einrichtungen für
Drogensucht-Betroffene." Auch im Strafvollzug wird reagiert, so unterziehen sich in heimischen Gefängnissen
rund 8,6 Prozent der etwa 8.800 Gefangenen einer Drogenersatztherapie. Auch in den anderen untersuchten Ländern
ist das Drogenproblem in den Gefängnissen ständig präsent. So erhielt vor einigen Jahren jeder Dritte
der 60.000 spanischen Strafgefangenen eine Methadon-Behandlung. In Polen hingegen stehen nur 1.000 Plätze
für Drogen-Entzugs- und Substitutionsprogramme zur Verfügung.
Helfen statt strafen
"Die Frage ist ja, wie man mit dem Problem der Suchtmittelkriminalität umgeht. Man muss kritisch
fragen, ob bzw. in welchen Fällen Strafen den Betroffenen gerecht werden und der Gesellschaft wirklich helfen",
zeigt Assessor iur. Stefan Schumann (Institut für Strafrechtswissenschaften) einen wichtigen Punkt auf. Ausgerechnet
in Österreich glauben Justiz und Strafverfolgungsbehörden am stärksten an die abschreckende Wirkung
für den Betroffenen (51,9 Prozent). In Spanien (45 Prozent) und Polen (42,1 Prozent) ist man davon weniger
überzeugt. An eine für andere abschreckende Wirkung glaubt man überhaupt nur bei uns (63 Prozent
gegen 32,5 Prozent in Spanien und 38,1 Prozent in Polen). Drogentherapie-Experten und Ärzte sind davon weniger
überzeugt. Von diesen Personengruppen glauben nur maximal ein Drittel an eine abschreckende Wirkung der Strafen,
in Polen sogar weniger als zehn Prozent.
Legalise it?
Ebenfalls wichtig: Eine engere Zusammenarbeit von Medizinern und Juristen. Denn während in Österreich
drei Viertel der Richter und Strafverfolgungsbehörden diese Kooperation als ausreichend sehen, ist mit 28,1
Prozent nicht einmal jeder dritte Arzt oder Betreuer dieser Meinung. "Die Studie zeigt, dass in dem Bereich
noch viel zu tun ist. Auch eine Entkriminalisierung von Cannabis-Konsum - in Spanien allenfalls eine Verwaltungsübertretung,
sohin bereits Realität - muss offen diskutiert werden", analysiert Prof. Soyer. Das findet überraschenderweise
sogar in der doch eher strengen Auffassung der österreichischen Justiz Anklang: Rund ein Drittel der Richter
und Strafverfolgungsbehörden unterstützen diese Forderung.
|