Wien (tu) - Vortex-Strahlen, die wie ein Wirbelsturm rotieren, bieten völlig neue Möglichkeiten
für die Elektronenmikroskopie. An der TU Wien wurden eine Möglichkeit entdeckt, extrem intensive Vortexstrahlen
zu erzeugen.
Elektronenmikroskope sind heute ein unverzichtbares Werkzeug, ganz besonders in der Materialwissenschaft. An der
TU Wien wird an Elektronenstrahlen geforscht, die eine innere Rotation haben, ähnlich wie ein Wirbelsturm.
Mit Hilfe dieser sogenannten „Vortex-Strahlen“ können nicht nur Objekte abgebildet, sondern auch materialspezifische
Eigenschaften untersucht werden – mit einer Präzision im Nanometerbereich. Ein neuer Forschungsdurchbruch
ermöglicht nun viel intensivere Vortexstrahlen als je zuvor.
Quanten-Tornado: Das Elektron als Welle
In einem Tornado drehen sich die einzelnen Luftteilchen zwar nicht unbedingt um die eigene Achse, aber
der Luftsog insgesamt hat eine mächtige Rotation. Ganz ähnlich verhalten sich die rotierenden Elektronenstrahlen,
die an der TU Wien hergestellt werden. Um sie zu verstehen, darf man sich die Elektronen nicht bloß als winzige
Punkte oder Kügelchen vorstellen, denn die könnten sich höchstens um ihre eigene Achse drehen. Die
Vortex-Strahlen hingegen lassen sich nur quantenphysikalisch erklären: Die Elektronen verhalten sich wie eine
Welle, und diese Quanten-Welle kann rotieren, wie ein Tornado oder wie die Wasserströmung hinter einer Schiffsschraube.
„Nachdem der Vortex-Strahl einen Drehimpuls trägt, kann er auch Drehimpuls auf das Objekt übertragen,
auf das er trifft“, erklärt Prof. Peter Schattschneider vom Institut für Festkörperphysik der TU
Wien. Der Drehimpuls der Elektronen in einem Festkörper ist eng mit seinen magnetischen Eigenschaften verknüpft.
Für die Materialwissenschaft ist es daher ein ungeheurer Vorteil, durch die neuartigen Elektronenstrahlen
auch Aussagen über Drehimpuls-Zustände treffen zu können.
Strahlen drehen – mit Blenden und Masken
Peter Schattschneider und Michael Stöger-Pollach (USTEM, TU Wien) arbeiten gemeinsam mit einer Forschungsgruppe
aus Antwerpen daran, möglichst intensive und sauber kontrollierbare Vortex-Strahlen in einem Transmissions-Elektronenmikroskop
zu erzeugen. Bereits vor zwei Jahren gab es erste Erfolge: Damals wurde der Elektronenstrahl durch eine winzige
gitterartige Maske hindurchgeschossen, wodurch er sich in drei Teilstrahlen aufspalten ließ: Einen rechtsdrehenden,
einen linksdrehenden und einen Strahl ohne Rotation.
Nun wurde eine neue, noch viel mächtigere Methode entwickelt: Die Forscher verwenden eine Blende, die zur
Hälfte von einer Siliziumnitrid-Schicht bedeckt wird. Diese Schicht ist so dünn, dass die Elektronen
sie fast absorptionsfrei durchdringen können, aber geeignet phasenverschoben werden. „Nach Fokussierung durch
eine speziell abgestimmte astigmatische Linse erhält man einen einzelnen Vortexstrahl“, erklärt Michael
Stöger-Pollach.
Dieser Strahl ist um eine Größenordnung intensiver als die Vortex-Strahlen, die man bisher erzeugen
konnte. „Erstens spalten wir den Strahl nicht in drei Teile auf, wie bei der Gittermaske, sondern der gesamte Elektronenstrom
wird in Rotation versetzt. Zweitens hatte die Gittermaske den Nachteil, die Hälfte der Elektronen zu blockieren
– die neue Spezialblende tut das nicht“, sagt Stöger-Pollach.
Durch die neue Technik lassen sich nun auch rechts- und linksdrehende Strahlen zuverlässig unterscheiden
– das war bisher nur schwer möglich. Addiert man nun nämlich zu rechts- und linksdrehenden Strahlen jeweils
einen bestimmten Drehimpuls hinzu, wird die Drehung des einen Strahls verstärkt, die des anderen Strahles
nimmt ab.
Elektronenmikroskop mit Twist
Die neue Technologie wurde von dem Forschungsteam kürzlich im Fachjournal „Physical Review Letters“ präsentiert.
In Zukunft soll die Methode für die Materialforschung eingesetzt werden. Besonders bei neu entwickelten Designer-Materialien
stehen magnetische Eigenschaften oft im Zentrum der Aufmerksamkeit. „Ein Transmissions-Elektronenmikroskop mit
Vortex-Strahlen ließe uns diese Eigenschaften nanometergenau untersuchen“, meint Peter Schattschneider.
Auch exotischere Anwendungen von Vortex-Strahlen sind denkbar: Im Prinzip kann man mit solchen drehimpulstragenden
Strahlen Objekte in Rotation versetzen – etwa einzelne Moleküle. Vortex-Strahlen könnten daher auch neue
Türen in der Nanotechnologie öffnen.
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