Permanente Intervention von Künstlerin Pae White reagiert auf temporäre Präsentation
von Kunsthistoriker Christian Witt-Dörring
Wien (mak) - Mit einer neuen kuratorischen Herangehensweise eröffnet das MAK - Österreichisches
Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst am 20. November 2012 die umfassend neu konzipierte MAK-Schausammlung
"Wien 1900", die dem Thema des Wiener Kunstgewerbes zwischen 1890 und 1938 deutlich großzügigeren
Raum widmet als bisher. "Sowohl das MAK als auch die kalifornische Künstlerin Pae White, die wir für
die Entwicklung einer künstlerischen Intervention gewinnen konnten, stellen so hohe Ansprüche an diese
Neuaufstellung, dass wir uns entschlossen haben, den Dialog zwischen kuratorischem und künstlerischem Konzept
in die Präsentation einfließen zu lassen und das Projekt in einem gestuften Ansatz der Öffentlichkeit
zu präsentieren. Wir werden zunächst die inhaltlich-kuratorische Neugestaltung "Wien 1900"
von Christian Witt-Dörring in einer temporären, von Architekt Michael Embacher entworfenen Präsentation,
eröffnen. In einem zweiten Schritt folgt einige Monate später die darauf reagierende künstlerische
Intervention von Pae White. Mit dieser Vorgehensweise ermöglichen wir einen einzigartigen Einblick in einen
künstlerischen und kuratorischen Prozess", erklärt MAK-Direktor Christoph Thun-Hohenstein.
Im Zuge der Neupositionierung des Hauses durch Christoph Thun-Hohenstein bildet die Neugestaltung dieses zentralen
Museumsbereichs, der als einer der Höhepunkte im Rahmen der VIENNA ART WEEK 2012 eröffnet wird, den Auftakt
zur sukzessiven Erneuerung der permanenten, seit 1993 unveränderten Schausammlung des MAK. Positioniert in
den bisherigen Schausälen "Wiener Werkstätte", "Jugendstil Art Déco" und "20./21.
Jahrhundert Architektur", zielt die Neuaufstellung darauf ab, das MAK als internationales Kompetenzzentrum
für das Wiener Kunstgewerbe der Zeit um 1900 zu profilieren.
Stufe 1: Der inhaltlich-kuratorische Zugang
Christian Witt-Dörring, der mit der inhaltlichen Konzeption betraut wurde und diese in Zusammenarbeit
mit den KustodInnen des MAK erarbeitet, verfolgt das erklärte Ziel, die kulturelle Signifikanz der Ausstellungsobjekte
und die zukunftsträchtige Bedeutung des Wiener Kunstgewerbes um 1900 zu vermitteln. Gegliedert in drei Kapitel
geht die Neuaufstellung, die zunächst ab 20. November in einer temporären Präsentation den Fokus
auf die Exponate richtet, den Wurzeln, der Entwicklung und ehemaligen Aktualität sowie den Auswirkungen der
Wiener Moderne in einem breiten zeitlichen Rahmen nach.
Der erste Saal ist der Überwindung des Historismus auf der Suche nach einem modernen österreichischen
Stil in den Jahren 1890 bis 1900 gewidmet. Beginnend mit Otto Wagners Propagierung eines modernen Nutzstils kommen
die vom westlichen Ausland und Japan inspirierten Secessionisten mit ihrer Forderung nach dem Gesamtkunstwerk zu
Wort. Die "Erzählung" schließt mit Adolf Loos' Reaktion auf letztere und seinem Ruf nach dem
"modernen Menschen". Damit etablierte er eine alternative Möglichkeit für die Gestaltung des
modernen Alltags, die im letzten Saal dieser Schausammlung Früchte trägt. Illustriert wird dieser durch
Wiener und vor allem bereits um 1900 vom Museum als beispielgebend angekaufte Objekte aus England, Schottland,
Belgien, Frankreich, Deutschland und Japan sowie von ihnen inspirierte, in den Fachschulen der Monarchie entstandene
Arbeiten. Sie sind hier erstmals in diesem ursprünglichen Kontext als Vorbilder wieder ausgestellt.
Der zweite Saal widmet sich vor allem der Entwicklung eines eigenen österreichischen Stils, der von KünstlerInnen
der Wiener Kunstgewerbeschule und der Wiener Werkstätte auf Basis des von den Secessionisten initiierten,
formal-stilistischen Konzepts der Moderne angestrebt wurde, und daher in Wahrheit ein Wiener Stil ist. Die hier
ausgestellten Objekte dokumentieren die markante stilistische Zäsur, die ab 1897 durch die Bemühungen
der Secession um einen eigenen österreichischen Stil herbeigeführt wurde. Basierend auf Koloman Mosers
japanisch beeinflusster Flächenkunst, dem klassizistischen Erbe des Biedermeier und der heimischen Volkskunst
wurde dieser neue Stil erstmals 1902, in der 14. Ausstellung der Secession, dem Publikum vorgestellt. Das hier
ausgestellte Spektrum reicht von den frühen, provokant geometrisch abstrakten Formen der Wiener Werkstätte
über die 1906/07 einsetzende, von klassizistischen Elementen und einer raffinierten vegetabilen Ornamentkultur
beherrschte Formensprache bis hin zu den rokokoaffinen, atektonischen Kreationen Dagobert Peches.
Der dritte und letzte Saal ist der Entwicklung vom Wiener Stil zum Internationalen Stil gewidmet. Datiert vom Ersten
Weltkrieg bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten in Österreich, zeigen die Ausstellungsstücke
auf, wohin die im ersten Saal thematisierte Suche nach einem modernen Stil in Wien führt. Die Besucherin/der
Besucher wird hier mit zwei gegensätzlichen Welten konfrontiert: jener, die der Überzeugung eines Josef
Hoffmann und seiner Schüler verpflichtet ist, und jener, die den Ansichten eines Adolf Loos beziehungsweise
der internationalen Moderne nahesteht. Obwohl formal unterschiedlich, stehen beide Welten in der Wiener Tradition
der exklusiven handwerklichen Fertigung und stellen sich nur vereinzelt den gesellschaftlichen Lösungsansätzen
der internationalen Moderne. So entstehen für Wien typische, inhaltlich zweideutige Lösungsansätze
für den modernen Gebrauchsgegenstand, wie sie unter anderem von Josef Frank und Oskar Strnad angeboten werden.
Sie wurden von enormen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbrüchen geprägt, die auch in der Produktgestaltung
ein neues soziales Gewissen entstehen lassen. Wie schon im ersten Saal werden den Wiener Produkten internationale
Objekte gegenübergestellt, hier der De Stijl-Bewegung und des Bauhauses.
Stufe 2: Die künstlerische Intervention von Pae White
Als Reaktion auf den Fokus "Wien 1900" entwickelt Pae White (* 1963, lebt und arbeitet in Los
Angeles) eine Intervention für die MAK-Schausammlung. Für die drei Galerien der Sammlung schafft sie
Atmosphären, die sich mit dem Motiv des Spiegels beschäftigen, sowohl als Spiegelung als auch als Umkehrung
herkömmlicher Sichtweisen. White beschäftigt sich ebenfalls mit dem musealen Objekt als geschichtlichem
Anhaltspunkt und entwirft verschiedene Metaphern, wie jene des Puzzles, als Möglichkeit einer Neuorientierung
in der üblichen Deutung der Werke. Ihre vielschichtige Auseinandersetzung mit dem Wiener Kunstgewerbe um 1900
lässt Pae White auch in zwei Ausstellungen in der MAK-Schausammlung Gegenwartskunst einfließen, mit
denen sie beide Stufen der Neugestaltung Wien 1900 begleitet.
"Darüber Hinaus" kuratiert von Pae White Analog zur Neuaufstellung "Wien 1900" eröffnet
ein von Pae White kuratiertes Projekt mit dem Titel "Darüber Hinaus" (MAK-Schausammlung Gegenwartskunst,
21. November 2012 - 17. März 2013). Für diese Präsentation hat White Papierarbeiten und Objekte
aus der MAK-Sammlung ausgewählt, deren KünstlerInnen grundsätzlich unbekannt sind. Gemäß
White ist sie "von Objekten in der Sammlung des Museums fasziniert, die keine spezifische Autorenschaft aufweisen,
jedoch Teil der Sammlung sind. Die Bedeutung der Objekte steht fest, ihre Zuordnung im historischen Kontext ist
nicht eindeutig." Gleichzeitig ist White an der Rolle von KritikerInnen und KuratorInnen interessiert, die
Narrationen schaffen, wobei Objekte von vieldeutigem Wert ausgeschlossen werden, um eine klarere, akzeptablere
Geschichte zu skizzieren. Im Mittelpunkt der Ausstellung steht der umfassende Bestand japanischer Färberschablonen
(Katagami) des MAK, weitgehend unbekannter Papierarbeiten, die mehrere Generationen von europäischen KünstlerInnen
und DesignerInnen in ihren Entwürfen für Textilien, Tapeten und Buchillustrationen beeinflusst haben.
Pae White beschreibt "Darüber Hinaus" als Versuch, einige dieser Werke aus den Depots zu holen und
in den Galerien zum Glänzen zu bringen.
Pae White. "Orllegro" In ihren Arbeiten entwickelt Pae White immer wieder neue Bezüge zwischen bildender
und angewandter Kunst, Architektur und Design. Im Rahmen von "Orllegro" (MAK-Schausammlung Gegenwartskunst,
8. Mai 2013 - 4. Mai 2014), ihrer ersten Einzelausstellung in Österreich, plant sie eigens für das MAK
eine raumgreifende Tapisserie aus Metallfäden sowie eine Reihe von Skulpturen und Objekten. Als Inspiration
dient ihr die MAK-Sammlung unter dem Blickpunkt Wien 1900, wobei White ihre Einzelausstellung nutzt, um die Bedeutung
der angewandten Kunst für ein zeitgenössisches Publikum zu hinterfragen.
Zur Neuaufstellung der Schausäle "Wien 1900" erscheint am 20. November 2012 ein MAK/ZINE.
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