Der Friedhof der Namenlosen - Ein Ort, wie es ihn nirgendwo sonst auf der Welt gibt
Wien (rk) - Keine Kräne, keine Schiffe, keine Sattelschlepper, keine Spur von Hektik und Lärm.
Im Hafen Wien, einem Unternehmen der Wien Holding, gibt es auch ganz besondere Plätze, fernab des Hafenbetriebs.
So im Alberner Hafen. Dort wo das Hafengelände schon wieder in den Auwald übergeht, befindet sich der
Friedhof der Namenlosen. Ein Ort, wie es ihn nirgendwo sonst auf der Welt gibt und an dem die meistens anonymen
Opfer des Donaustroms bis zum Jahr 1940 ihre letzte Ruhe fanden.
Es ist nicht einfach ihn zu finden. Nur ein paar Schilder am Wegesrand weisen auf diesen ganz besonderen Ort im
Hafen Wien hin. Dort wo sich der Friedhof der Namenlosen versteckt, wirkt Simmering so, als wäre die Zivilisation
spurlos vorüber gegangen. Auch "Sauhaufen" wird das Areal genannt. Es gehört zum einstigen
Wiener Vorort Albern. Seit dem Mittelalter lebten die Menschen hier vom Fischfang. Kein anderes Dorf im Wiener
Raum wurde so oft von der Donau überflutet wie das in Albern der Fall war.
Schlichte, eiserne Kreuze
Stromkilometer 1.918, dort wo der Donaukanal in die Donau mündet, das ist sozusagen die Adresse des
Friedhofs der Namenlosen. Weltweit ist dieser Friedhof wohl die einzige Begräbnisstätte, die ausschließlich
den Opfern eines Flusses vorbehalten ist. Ermordete, Unfallopfer, Selbstmörder, Opfer ungeklärter Kriminalfälle
– meistens unbekannte Tote aus dem Fluss, die hier angeschwemmt und gleich begraben wurden. Ein Wasserwirbel fing
bis 1939 neben morschem Treibholz auch an die 600 Menschenleichen ein. Schlichte Kreuze aus Schmiedeeisen gefertigt,
bepinselt mit schwarzer oder silberner Farbe sind die einzigen Zeugen, die an die Opfer des Flusses erinnern. Manchmal
findet man an den Kreuzen noch ein Schild, meistens von Hand beschrieben. "Namenlos", "unbekannt",
"männlich", "weiblich": und vielleicht auch noch ein Datum, an dem die Leiche angeschwemmt
wurde: mehr ist auf den Schildern nicht zu lesen. Über die Toten hier weiß man sehr wenig. Nur bei wenigen
Gräbern findet sich ein Hinweis darauf, wie diese Menschen gestorben sind.
Friedhof aus zwei Teilen
Der Friedhof der Namenlosen besteht aus zwei Teilen. Der ältere Bereich ist heute kaum mehr zu sehen.
Bäume und Sträucher haben die Begräbnisstätte überwuchert. Immer wieder wurde dieser Friedhofsteil
überschwemmt. Der Auwald hat heute die Totenstätte wieder in Besitz genommen. Auf diesem Teil des Friedhofs
wurden bis zur Jahrhundertwende die angeschwemmten Wasserleichen bestattet.
Der neue Friedhofsteil entstand 1900, jenseits des Schutzdammes. Die Gräber sind einfache, schmucklose Erdhügel,
ohne Umrandung und ohne Grabstein. Geschmückt sind sie nur mit einfachen schmiedeeisernen Kreuzen. 1935 erhielt
der Friedhof bei den Arbeiten zur Verstärkung des Schutzdammes eine steinerne Umfassungsmauer und eine Kapelle,
die so genannte "Auferstehungskapelle". Auf dem neuen Teil des Friedhofs der Namenlosen wurden im Zeitraum
1900 bis 1940 insgesamt 104 Wasserleichen beerdigt. Nur 43 davon konnten identifiziert werden.
Im Jahr 1939 wurden dann auch der Alberner Hafen und die Getreidesilos gebaut. Durch die Hafenregulierung änderten
sich die Strömungsverhältnisse im Donaustrom. Und seither werden kaum mehr Leichen an dieser Stelle angeschwemmt.
Der Wasserstrudel befördert keine Donauopfer mehr zu Tage. Und wenn doch, so wie im Jahr 2004 die Leiche einer
Frau ans Ufer treibt, dann werden diese Toten auf dem Wiener Zentral Friedhof beerdigt. Auf dem Friedhof der Namenlosen
fand nach offiziellen Quellen die letzte Beerdigung im Jahr 1940 statt. Der stillgelegte "Friedhof der Namenlosen"
wird heute vom Hafen Wien sowie der Stadt Wien weiter erhalten.
Vom Totengräber Josef Fuchs
Mit der Geschichte und der Erhaltung des "Friedhofs der Namenlosen" ist ein Mann untrennbar verbunden:
Der ehrenamtliche Totengräber Josef Fuchs. Er lebte von 1906 bis 1996 und hat den Friedhof mit großer
Sorgfalt betreut. Bis 1939 hat er die Wasserleichen sogar selbst begraben. Fuchs kümmerte sich auch nach seiner
Pensionierung noch um die Gräber, bis er im Frühling 1996 im Alter von 90 Jahren starb. Er tauschte die
Holzkreuze gegen schlichte eiserne Kreuze mit weißen Christusfiguren. Für seine unermüdliche Arbeit
wurde Josef Fuchs vom Land Wien mit dem Goldenen Verdienstzeichen geehrt. Auch eine Gedenktafel bei der Auferstehungskapelle
erinnert an den ehemaligen Totengräber.
Fuchs hat auch dafür gesorgt, dass ganz im Widerspruch zum Namen des Friedhofs viele der Toten nicht ganz
namenlos geblieben sind. Denn die Stadt Wien schickte an das Gemeindeamt Albern regelmäßig die Abgängigkeitsanzeigen
und die Beschreibungen von Personen, die Selbstmordabsichten geäußert hatten. Wenn also eine Leiche
aus der Donau gefischt wurde, durchforstete Josef Fuchs diese Akten und begann zu recherchieren. Von all den Leichen,
die er selbst begrub, konnte Fuchs bis auf eine einzige alle identifizieren.
Jährliche Gedenkfeier
Den Opfern der Donau und den Toten auf dem Friedhof der Namenlosen wird jedes Jahr gedacht. Am Nachmittag
des ersten Sonntags nach Allerheiligen versammeln sich die Mitglieder des Arbeiter-Fischer-Vereins, um ein von
ihnen gebautes Floß, geschmückt mit Kränzen, Blumen und brennenden Kerzen zu Wasser zu lassen.
Auf dem Floß befindet sich auch ein symbolischer Grabstein mit der Inschrift "Den Opfern der Donau"
und der in den Sprachen Deutsch, Tschechisch und Ungarisch verfassten Bitte, das Floß, wenn es am Ufer hängen
bleiben sollte, einfach weiterzustoßen. Der Prozessionszug zieht dann zum Ufer der Donau hinunter, begleitet
von einer Musikkapelle. Mit einer Holzzille bringen die Fischer das Floß in die Mitte des Stroms, um es den
Fluten zu übergeben, zum Gedenken an die anonymen Opfer des Donaustroms. Manche dieser Flöße sollen
sehr weit getrieben sein, bis sie sich auflösten. So sorgen die Fischer dafür, dass der Friedhof der
Namenlosen nicht in Vergessenheit gerät.
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