Tübingen/Salzburg (ire) - Bei der IRE-Expertenkonferenz zum Thema Stadtverkehrs- management in Tübingen
stand besonders das Thema City Maut und das Weißbuch der EU-Kommission im Fokus der Debatte. Wie eine grüne
Verkehrspolitik auf Kommunal- und Landesebene gestaltet werden kann berichteten der Tübinger Oberbürgermeister
Boris Palmer und Ministerialdirektor Hartmut Bäume vom Verkehrsministerium in Stuttgart.
Palmer stellte in seinem Eröffnungsreferat gleich zu Beginn fest, dass die größte Verkehrsherausforderung
für die Stadt nicht innerstädtische Binnenverkehr ist, sondern der tägliche Verkehr aus dem Umland,
der in die Stadt kommt. "Wir sind Spitzenreiter in Deutschland: Autos stellen nur 25% des städtischen
Binnenverkehrs dar. Dieses Problem können wir also sehr gut alleine bewältigen. Um den ständigen
Zustrom von außen langfristig und effizient stemmen zu können brauchen wir jedoch die Unterstützung
vom Bund und der EU". Grundsätzlich zeigte sich der Oberbürgermeister mit den bisherigen Ergebnissen
der Verkehrspolitik in der Universitätsstadt sehr zufrieden, nur beim Thema City Maut musst er Rückschläge
einräumen. "Die Ereignisse der letzten Monate haben gezeigt, dass eine ehrliche und objektive Diskussion
zu dieser Thematik derzeit nicht möglich ist. Leider verfügen noch nicht alle Beteiligten über ein
ausreichen rationales Denken". Aus finanzieller Sicht würde ein entsprechendes Mautsystem Tübingen
rund 20 Mio. Euro an jährlichen Nettoeinnahmen bringen. IRE-Vorsitzender Prof. Dr. Franz Schausberger brachte
das Dilemma für Stadt- und Kommunalpolitiker auf den Punkt. "Nahezu jeder Bürger ist per se ein
Verkehrsteilnehmer. Werden wichtige Entscheidungen in diesem Bereich getroffen, müssen die zuständigen
Politiker von Anfang an mit erkennbaren Strategien arbeiten und eine objektive, ent-ideologisierte Diskussion führen".
Diesbezüglich erhielt Schausberger große Zustimmung vom EU-Experten Hans-Jürgen Zahorka. Der ehemalige
baden-württembergische Europaabgeordnete unterstrich die Rolle der Europäischen Union im Meinungsbildungsprozess
mit einem Bericht über das Weißbuch der Europäischen Kommission zum Thema Verkehr. Die dort festgelegten
langfristigen Zielsetzungen sehen unter anderem einen emissionsfreien Individualverkehr bis 2050 und eine CO2-freie
Stadtlogistik bis 2030. Während die Ausgaben aus den Jahren 1992 und 2001 städtisches Verkehrsmanagement
noch weitgehend ausgeklammert haben gibt das Weißbuch aus dem Jahr 2011 bereits sehr konkrete Maßnahmen
und Vorschläge.
Wie ein gut funktionierendes Stadtmautsystem aussehen kann wurde im Rahmen einer Podiumsdiskussion erörtert.
Dietrich Leihs von Kapsch TrafficCom nannte diesbezüglich das Beispiel London, wo seit der Einführung
eines Mautsystems in den betroffenen Stadteilen eine deutlich spürbare Entspannung feststellbar sei. "Besonders
das Mobilitätsverhalten der Mittelschicht ändert sich", so Leihs, deshalb müsse man auch die
Kostenfrage für den Verbraucher sehr differenziert betrachten. Expertise kam auch von Manfred Dangelmaier
der beim Fraunhofer Institut in Stuttgart den Bereich Engineering Systems leitet. Die größte Herausforderung
für die Städte ist aus Dangelmaiers Sicht die Anpassung von bereits vorhandender und kostenintensiver
Infrastruktur an den sich rasch weiterentwickelnden technischen Lösungsmöglichkeiten.
Die komplexe Dimension des Konferenzthemas wurde durch die unterschiedlichen Referenten und Sprecher deutlich.
So wurde unter anderem auch über die Potentiale von Car-Sharing Angeboten gesprochen, welche sich sowohl im
urbanen als auch im ländlichen Raum zunehmender Beliebtheit erfreuen. Auf die Frage, ob solche Dienstleistungen
nicht in Konkurrenz zum öffentlichen Personennahverkehr stünden stellt Joachim Vogt von CarSharing Ulm
klar: "Die Frage öffentlicher Personennahverkehr oder Carsharing ist kein Nullsummenspiel. Vielmehr bietet
wir eine komplementäre Dienstleistung zum öffentlichen Personentransport an, die nicht nur in Ulm ihre
Flexibilität unter Beweis gestellt hat". Im Rahmen der Tagung fand auch ein reger Informationsaustausch
zwischen den Sprechern und den über 50 Teilnehmern statt. Mehrere Kommunalpolitiker aus den umliegenden Landkreisen
betonten den Zusammenhang zwischen der Lebensqualität im ländlichen Raum und der Verkehrspolitik. Ohne
eine effiziente Anbindung an die Städte würden kleinere Kommunen an Lebensqualität und Entwicklungspotential
einbüßen. Franz Schausberger stimmte dieser Meinung voll und ganz zu: "Aus diesem Grund müssen
auch die europäischen Finanzmittel aus dem Kohäsionsfond und dem Fond für regionale Entwicklung
als wichtige Instrumente zur Verkehrsentwicklung wahrgenommen werden. Die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur
ist für die Regionalpolitik der EU ein ganz besonders wichtiges Thema, da sie starke positive Spill-Over Wirkungen
entfaltet".
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