Keine sachliche Diskussionsgrundlage für die City Maut 

 

erstellt am
16. 11. 12

Tübingen/Salzburg (ire) - Bei der IRE-Expertenkonferenz zum Thema Stadtverkehrs- management in Tübingen stand besonders das Thema City Maut und das Weißbuch der EU-Kommission im Fokus der Debatte. Wie eine grüne Verkehrspolitik auf Kommunal- und Landesebene gestaltet werden kann berichteten der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer und Ministerialdirektor Hartmut Bäume vom Verkehrsministerium in Stuttgart.

Palmer stellte in seinem Eröffnungsreferat gleich zu Beginn fest, dass die größte Verkehrsherausforderung für die Stadt nicht innerstädtische Binnenverkehr ist, sondern der tägliche Verkehr aus dem Umland, der in die Stadt kommt. "Wir sind Spitzenreiter in Deutschland: Autos stellen nur 25% des städtischen Binnenverkehrs dar. Dieses Problem können wir also sehr gut alleine bewältigen. Um den ständigen Zustrom von außen langfristig und effizient stemmen zu können brauchen wir jedoch die Unterstützung vom Bund und der EU". Grundsätzlich zeigte sich der Oberbürgermeister mit den bisherigen Ergebnissen der Verkehrspolitik in der Universitätsstadt sehr zufrieden, nur beim Thema City Maut musst er Rückschläge einräumen. "Die Ereignisse der letzten Monate haben gezeigt, dass eine ehrliche und objektive Diskussion zu dieser Thematik derzeit nicht möglich ist. Leider verfügen noch nicht alle Beteiligten über ein ausreichen rationales Denken". Aus finanzieller Sicht würde ein entsprechendes Mautsystem Tübingen rund 20 Mio. Euro an jährlichen Nettoeinnahmen bringen. IRE-Vorsitzender Prof. Dr. Franz Schausberger brachte das Dilemma für Stadt- und Kommunalpolitiker auf den Punkt. "Nahezu jeder Bürger ist per se ein Verkehrsteilnehmer. Werden wichtige Entscheidungen in diesem Bereich getroffen, müssen die zuständigen Politiker von Anfang an mit erkennbaren Strategien arbeiten und eine objektive, ent-ideologisierte Diskussion führen". Diesbezüglich erhielt Schausberger große Zustimmung vom EU-Experten Hans-Jürgen Zahorka. Der ehemalige baden-württembergische Europaabgeordnete unterstrich die Rolle der Europäischen Union im Meinungsbildungsprozess mit einem Bericht über das Weißbuch der Europäischen Kommission zum Thema Verkehr. Die dort festgelegten langfristigen Zielsetzungen sehen unter anderem einen emissionsfreien Individualverkehr bis 2050 und eine CO2-freie Stadtlogistik bis 2030. Während die Ausgaben aus den Jahren 1992 und 2001 städtisches Verkehrsmanagement noch weitgehend ausgeklammert haben gibt das Weißbuch aus dem Jahr 2011 bereits sehr konkrete Maßnahmen und Vorschläge.

Wie ein gut funktionierendes Stadtmautsystem aussehen kann wurde im Rahmen einer Podiumsdiskussion erörtert. Dietrich Leihs von Kapsch TrafficCom nannte diesbezüglich das Beispiel London, wo seit der Einführung eines Mautsystems in den betroffenen Stadteilen eine deutlich spürbare Entspannung feststellbar sei. "Besonders das Mobilitätsverhalten der Mittelschicht ändert sich", so Leihs, deshalb müsse man auch die Kostenfrage für den Verbraucher sehr differenziert betrachten. Expertise kam auch von Manfred Dangelmaier der beim Fraunhofer Institut in Stuttgart den Bereich Engineering Systems leitet. Die größte Herausforderung für die Städte ist aus Dangelmaiers Sicht die Anpassung von bereits vorhandender und kostenintensiver Infrastruktur an den sich rasch weiterentwickelnden technischen Lösungsmöglichkeiten.

Die komplexe Dimension des Konferenzthemas wurde durch die unterschiedlichen Referenten und Sprecher deutlich. So wurde unter anderem auch über die Potentiale von Car-Sharing Angeboten gesprochen, welche sich sowohl im urbanen als auch im ländlichen Raum zunehmender Beliebtheit erfreuen. Auf die Frage, ob solche Dienstleistungen nicht in Konkurrenz zum öffentlichen Personennahverkehr stünden stellt Joachim Vogt von CarSharing Ulm klar: "Die Frage öffentlicher Personennahverkehr oder Carsharing ist kein Nullsummenspiel. Vielmehr bietet wir eine komplementäre Dienstleistung zum öffentlichen Personentransport an, die nicht nur in Ulm ihre Flexibilität unter Beweis gestellt hat". Im Rahmen der Tagung fand auch ein reger Informationsaustausch zwischen den Sprechern und den über 50 Teilnehmern statt. Mehrere Kommunalpolitiker aus den umliegenden Landkreisen betonten den Zusammenhang zwischen der Lebensqualität im ländlichen Raum und der Verkehrspolitik. Ohne eine effiziente Anbindung an die Städte würden kleinere Kommunen an Lebensqualität und Entwicklungspotential einbüßen. Franz Schausberger stimmte dieser Meinung voll und ganz zu: "Aus diesem Grund müssen auch die europäischen Finanzmittel aus dem Kohäsionsfond und dem Fond für regionale Entwicklung als wichtige Instrumente zur Verkehrsentwicklung wahrgenommen werden. Die Verbesserung der Verkehrsinfrastruktur ist für die Regionalpolitik der EU ein ganz besonders wichtiges Thema, da sie starke positive Spill-Over Wirkungen entfaltet".

 

 

 

Informationen: http://www.institut-ire.eu/

 

 

 

 

 

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