Ultrapräzise portable Atomuhren stehen kurz vor dem Durchbruch. Bald kann mit Hilfe von
Atomuhren der neuesten Generation das Erdinnere kartiert werden.
Zürich (idw) - Erzlagerstätten oder verborgene Wasservorkommen im Innern der Erde von der
Oberfläche aus identifizieren? Ultrapräzise portable Atomuhren werden mithelfen, dass dies in den nächsten
Jahren verwirklicht wird. Davon ist ein internationales Team um die Astrophysiker Philippe Jetzer und Ruxandra
Bondarescu von der Universität Zürich überzeugt. Wie die Wissenschaftler zeigen, haben diese Atomuhren
jetzt das erforderliche Mass an Präzision erreicht, um für geophysikalische Vermessungszwecke eingesetzt
werden zu können. Neben der direkten Messung des Geoids – der wahren physikalischen Form der Erde – können
solche Atomuhren in Zukunft für die Erkundung des Erdinnern eingesetzt werden.
Geoid bestimmen mit Hilfe der Relativitätstheorie
Heute kann das Geoid der Erde – der Fläche, auf der das gleiche Erdanziehungspotential herrscht – nur
indirekt erschlossen werden. Ausgangswert für die Berechnungen bildet die Erdanziehung an der Oberfläche
der Ozeane. Um das Geoid im Bereich der Kontinente zu berechnen, werden die relativen Abweichungen der Satellitenumlaufbahnen
von der Ideallinie herangezogen und unter Berücksichtigung der tatsächlichen Höhe über Meer
des überflogenen Orts aufwändig umgerechnet. Die verfahrensabhängigen Unsicherheiten sind dabei
gross. Die geringe geografische Auflösung von ca. 100 Kilometern bringt zusätzliche Unschärfe in
die Resultate.
Die Bestimmung des Geoids mit Hilfe von Atomuhren basiert auf Einsteins allgemeiner Relativitätstheorie und
wird seit bald dreissig Jahren theoretisch diskutiert. Die Idee ist, dass Uhren, die sich in verschiedenen Distanzen
zu einem massiven Körper und dessen Gravitationsfeld befinden, unterschiedlich schnell ticken. Je näher
die Uhr beim Körper ist, desto langsamer läuft sie. Der Gangunterschied der beiden Uhren ist allerdings
so gering, dass es bislang nicht möglich gewesen ist, die postulierte Zeitdifferenz tatsächlich zu messen.
«Die ultrapräzisen Atomuhren der neusten Generation können die Zeitdifferenz zweier dreissig Zentimeter
übereinander positionierter Uhren effektiv messen», erläutert Bondarescu und fügt an: «Damit
rückt die Vermessung des Geoids der Erde in greifbare Nähe.»
Verlauf tektonischer Platten kartieren
Gemäss Bondarescu wird für die Bestimmung des Geoids eine ultrapräzise Atomuhr auf Meereshöhe
platziert, d.h. auf der exakten Höhe des Geoids. Eine zweite solche Atomuhr wird an einen beliebigen Punkt
auf dem Festland gebracht und mit der ersten Uhr über ein Glasfaserkabel synchronisiert. Die zweite Uhr wird
langsamer oder schneller laufen – je nachdem, ob sie sich unter oder über dem Geoid befindet. Anhand der exakten
Höhe über Meer des Messpunktes und der festgestellten Gangunterschiede sind Geophysiker anschliessend
in der Lage, Aussagen über die Beschaffenheit des Untergrundes zu machen. Auf diese Weise kann der Verlauf
tektonischer Platten, unterirdischer Wasservorkommen oder Erzlagerstätten kartiert werden.
Kartierungen bis in grosse Tiefen möglich
Kartierungen sind grundsätzlich bis in sehr grosse Tiefen möglich, vorausgesetzt die zu messende
Struktur im Erdinnern und ihr Dichteunterschied zum Umgebungsmaterial sind ausreichend gross. Wie die Wissenschaftler
numerisch aufzeigen, kann mittels ultrapräziser Atomuhren eine Struktur mit einer Ausdehnung von nur 1,5 Kilometern
Durchmesser und einer geringfügigen Dichteanomalie von zwanzig Prozent in einer Tiefe von zwei Kilometern
detekiert werden.
Zurzeit funktionieren ultrapräzise Atomuhren nur in Labors, d.h. sie sind nicht transportierbar und können
entsprechend nicht für Messungen im Feld eingesetzt werden. Doch dies wird sich in den nächsten Jahren
ändern: Bereits heute arbeiten verschiedene Unternehmen und Forschungsinstitute, darunter auch das in Neuchâtel
ansässige Centre Suisse d’Electronique et de Microtechnique CSEM, an der Entwicklung von portablen ultrapräzisen
Atomuhren. «Frühestens 2022 wird eine solch ultrapräzise portable Atomuhr an Bord eines ESA-Satelliten
ins All fliegen», sagt Prof. Philippe Jetzer, Schweizer Delegierter der STE-Quest-Satellitenmission, deren
Ziel es ist, die allgemeine Relativitätstheorie sehr genau zu prüfen. Bereits 2014 oder 2015 soll das
«Atomic Clock Ensemble in Space ACES» zur Internationalen Raumstation ISS gebracht werden. ACES ist
ein erster Prototyp, der allerdings noch nicht die Präzision von STE-QUEST hat.
Literatur:
Ruxandra Bondarescu, Mihai Bondarescu, György Hetényi, Lapo Boschi, Philippe Jetzer, Jayashree Balakrishna.
Geophysical applicability of atomic clocks: direct continental geoid mapping. Geophysical Journal International.
24 August, 2012. DOI: 10.1111/j.1365-246X.2012.05636.x
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