Sharon Lockhart | Noa Eshkol 

 

erstellt am
23. 11. 12

Vergessene Tanz-Avantgarde in der TBA21-Augarten von 23. November 2012 - 24. Februar 2013
Wien (kunstnet) - Sharon Lockhart | Noa Eshkol, die zweite Ausstellung der Thyssen-Bornemisza Art Contemporary in den neuen Ausstellungsräumen im Augarten, widmet sich der einzigartigen Begegnung mit der Arbeit der israelischen Tanzkomponistin, Theoretikerin und Künstlerin Noa Eshkol (1924-2007). Seit den 1990er Jahren hat die in Los Angeles lebende Künstlerin Sharon Lockhart (*1964) eine filmische und fotografische Praxis entwickelt, die sich der Aufzeichnung des Alltäglichen widmet. Ihre Protagonisten stammen vielfach aus Randgesellschaften, deren soziale Milieus starken Veränderungen ausgesetzt sind und die in Lockharts Arbeiten in ihren täglichen Rhythmen und Abläufen, über einen längeren Zeitraum und in intensiver und auch persönlicher Auseinandersetzung begleitet, fotografiert und gefilmt werden.

In Sharon Lockhart | Noa Eshkol bringt Lockhart die außergewöhnliche Persönlichkeit Eshkols und deren innovative und intellektuelle Kreativität zum Vorschein, indem sie einen Korpus an Tanzkompositionen dokumentiert, sowie ein vielschichtiges Wissenssystem präsentiert. Die Ausstellung generiert sich aus einer Begegnung zwischen zwei Künstlerinnen, die die Natur künstlerischer Praxis, ihrer Bewahrung und Interpretation, sowie die Repräsentation von Raum, Zeit und Bewegung erkundet. Als solches arbeitet Sharon Lockhart | Noa Eshkol mit Methoden der Neuinszenierung, Forschung, Rekonstruktion und performativen Darstellung, setzt aber gleichzeitig das performative Element der tänzerischen Verkörperung, sowie der Empathie und Beobachtung als Teil filmischer und fotografischer Strategien ein. Die zu sehenden Arbeiten sind Teil der TBA21-Sammlung.

Sharon Lockhart entdeckte das Archiv von Noa Eshkol in Holon - einer früheren Arbeiterstadt und heute Vorort von Tel Aviv - während einer Forschungsreise nach Israel 2008. Das Archiv beherbergt das intellektuelle wie materielle Erbe Eshkols und widmet sich der Bewahrung und Weiterentwicklung der Eshkol-Wachman Movement Notation (EWMN). Eshkol und Avraham Wachman entwickelten dieses Schriftsystem erstmals 1954 und revolutionierten damit Tanz- und Bewegungsnotation. EWMN schuf ein einheitliches System zur Notation von Bewegungen mittels Ziffern und einem minimalen Symbol-Alphabet, das TänzerInnen wie ChoreographInnen ein systematisiertes Werkzeug bot, Tänze zu komponieren und zu notieren, in ähnlicher Weise, wie Komponisten musikalische Partituren nutzen.

In über 50-jährigem Schaffen entwickelte Eshkol eine faszinierende Tanzpraxis, die auf den Strukturen von Bewegungen im Raum und den Artikulationen von Körperteilen in rotierenden, planaren und kurvenförmigen Flächenbewegung basiert. Eshkols Tanzkompositionen werden bis heute von einer Gemeinschaft von TänzerInnen aufgeführt und gelehrt, mit der sie eng zusammengearbeitet hat - die Noa Eshkol Chamber Dance Group. Als formgewordene Verkörperung der Forschung rund um die EWMN repräsentieren sie ein bedeutendes, jedoch noch fast unentdecktes Kapitel der modernen Tanz-Geschichte.

Die Ausstellung
Die 5-Kanal Videoinstallation mit dem Titel Five Dances and Nine Wall Carpets by Noa Eshol zeigt die fließenden und rhythmischen Bewegungen der Mitglieder der Eshkol Chamber Dance Group bei der Aufführung von fünf von Eshkol komponierten Tänzen: Duet, Fugue, Ländler, Walking und War Dance. Jeder dieser Tänze wird inmitten verschiedener Gruppierungen von Eshkols vielfarbigen Textilarbeiten - von ihr als "wall carpets" bezeichnet - aufgeführt und in der Ausstellung auf ein rechteckiges Volumen projiziert, das Lockhart in Zusammenarbeit mit den Architekten Frank Escher und Ravi Gune Wardena entwarf.

Gemeinsam bilden die fünf Filme eine einzige Komposition, die auf der sonischen Einheit des Metronoms basiert, das die individuellen Tänze auf 120 Schläge pro Minute taktet. Der Soundtrack, den Lockhart mit der Komponistin Becky Allen entwickelte, ist in sich eine Klangkomposition, die sich aus dem Schlag des Metronoms und den Bewegungsgeräuschen der TänzerInnen zusammensetzt. Während ihrer Zeit in Holon wählte Lockhart Wandteppiche auf Basis ihrer Formen und Muster aus, um die jeweiligen Tänze zu ergänzen. Die Installation der Arbeit im Augarten reagiert spezifisch auf Ort und Architektur der Ausstellung: die fünf Projektionsvolumen erzeugen eine dynamische räumliche Intervention, die die Betrachter mit ihren eigenen Bewegungsmustern konfrontiert und sie in die tänzerischen Bewegungen einbezieht.

Die Filminstallation Four Exercises in Eshkol-Wachman Movement Notation System zeigt die Tänzerin Ruti Sela, eine der langjährigen Schülerinnen Eshkols. In einer Sequenz von vier feststehenden Einstellungen zeigt der Film die reife und tadellos trainierte Tänzerin bei der Aufführung von vier Übungen der EWMN, jeweils vor einem Hintergrund von Gruppierungen grauer, rechteckiger Volumen, die sich zwischen den Tänzen subtil in ihrer Position verändern. Im Kontrast zur bewegten 5-Kanal Installation, welche die Variationen und Interaktionen der Bewegungen zwischen den Tänzergruppen von jeweils zwei bis fünf TänzerInnen beschreibt, erlaubt Selas Einzelperfomance dem Betrachter, sich vollkommen auf die eleganten und dennoch höchst fordernden Bewegungssequenzen zu konzentrieren.

Die Filme werden gemeinsam mit einer Serie von 22 Fotografien Lockharts präsentiert, die die Models of Orbits in the System of Reference, Eshkol-Wachman Movement Notation System zeigen. Die darauf zu sehenden Kugelmodelle oder "orbits" wurden von Eshkol und Wachman zur Visualisierung der EWMN konzipiert, mit dem Anliegen, ihre Theorien auch in physische Form zu übersetzen. Jede dieser sieben Kugelmodelle aus Draht und Metallgewebe beschreibt eine Reihe möglicher Bewegungen für jedes Körperteil, deren Zentrum das Gelenk darstellt, um das herum sich die einzelnen Gliedmaßen bewegen, während die Kugelperipherie die äußersten Punkte eines Körperteils (eines Fingers, einer Zehe, des Scheitels) repräsentiert. Lockhart fotografierte die Kugeln zu verschiedenen Zeitpunkten in der Rotation entlang ihrer vertikalen Achse. Die resultierenden Bilder werden in Gruppierungen aus zwei bis fünf Drucken gezeigt. Diese Kartierung progressiver Bewegungsmomente entbirgt eine dynamische und morphologische Form, deren Veränderbarkeit ähnlich einem sich im Raum im Verhältnis zum Betrachter bewegenden Körper verhält.

Die Auswahl von Eshkols Wandteppichen beleuchtet einen Aspekt Eshkols Praxis, der bisher noch kaum in Verbindung mit ihrem radikalen Notationssystem und Tanztraining wahrgenommen wurde. Eshkol assemblierte jeden Teppich aus gefundenen und wiederverwerteten Stofffetzen, veränderte jedoch niemals deren Form, sondern befestigte mit Stecknadeln die Kompositionen, die später von ihren Freunden und Mitgliedern der Chamber Dance Group genäht wurden. Die Präsentation der Wandteppiche auf horizontalen Sockeln evoziert eine Tradition minimalistischer Skulptur, und vereint die divergierenden und sich überschneidenden Geschichten zu einem kumulativen Resultat einer kondensierten Geschichte israelischer Materialkultur.

Zusätzlich zu den Fotografien, Filmen und Wandteppichen präsentiert die Ausstellung Archivmaterial, sowie Dokumentation der Übertragung und Anwendung des Notations- Systems EWMN auf andere Forschungsfelder wie Biologie, Psychologie, Mathematik, Informationstechnologie und Kybernetik.

Performance
Eine einmalige Aufführung der Noa Eshkol Chamber Dance Group in der Wiener Secession findet am 27. November statt. Der Beginn ist pünktlich um 19 Uhr, Ende um 20 Uhr. In dieser Weltpremiere werden Eshkols Tänzerinnen zum ersten Mal seit den 1970er Jahren außerhalb Israels auf der Bühne zu sehen sein.

Es werden ein umfangreiches Begleitprogramm sowie ein Katalog angeboten.

 

 

 

Informationen: http://www.tba21.org

 

 

 

 

 

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