Bisher rund 200 Abfragen durch Justiz und Sicherheitsbehörden
Wien (pk) - Am 1. April dieses Jahres trat die umstrittene Vorratsdatenspeicherung in Österreich
in Kraft. Seither sind Netzbetreiber verpflichtet, sämtliche Telefon- und Internetverbindungsdaten sechs Monate
lang zu speichern und bei Bedarf den Strafverfolgungsbehörden zu übermitteln. Bereits bei der Beschlussfassung
des Gesetzes gab es heftige Kritik von vielen Seiten, zuletzt unterstützten mehr als 106.000 BürgerInnen
eine parlamentarische Bürgerinitiative, die auf einen Stopp der Datensammlung drängt und aktive Schritte
Österreichs zur Abschaffung der entsprechenden EU-Richtlinie einmahnt. Am 28.11. hielt der Justizausschuss
des Nationalrats ein Expertenhearing zu dieser Initiative ab.
Dabei übte nicht nur der Vertreter der Bürgerinitiative Andreas Krisch Kritik an der Vorratsdatenspeicherung,
auch zahlreiche Rechts- und DatenschutzexpertInnen aus Österreich und Deutschland stellten die Notwendigkeit
und die Nützlichkeit der flächendeckenden Sammlung von Internet- und Telefonverbindungsdaten in Frage.
So wies Michael Kilchling vom Max Planck Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in
Freiburg darauf hin, dass bisher keine einzige Studie die Sinnhaftigkeit der Vorratsdatenspeicherung belege. Auch
eine von der EU-Kommission vorgelegte Evaluierungsstudie qualifizierte er als nutzlos, da sie unter anderem Verkehrs-
und Vorratsdaten in unzulässiger Weise miteinander vermische. Christoph Tschohl vom Ludwig Boltzmann Institut
für Menschenrechte und der Präsident der Salzburger Rechtsanwaltskammer Leopold Hirsch sprachen von überschießenden
Grundrechtseingriffen, die durch die Ziele der EU-Richtlinie nicht zu rechtfertigen seien. Kritisch äußerte
sich auch Reinhard Kreissl vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie.
Bürgerinitiative fordert Evaluierung aller Überwachungsgesetze
Wie Bürgerinitiativen-Vertreter Krisch betonte, geht es der Bürgerinitiative zum einen darum, dass Österreich
sich auf EU-Ebene für eine Abschaffung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung einsetzt. Zum anderen urgierte
er eine Evaluierung aller Überwachungsgesetze in Österreich. Nach Einschätzung von Gerhard Kunnert
vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts ist die Chance für eine Richtlinienänderung derzeit allerdings
gering. Ein entsprechender Vorstoß der EU-Kommission ist ihm zufolge aufgrund des massiven Widerstandes einiger
EU-Staaten eingeschlafen. Wie Kunnert und Eva Souhrada-Kirchmayer von der Datenschutzkommission berichteten, wird
vor allem in Polen exzessiv auf Vorratsdaten zugegriffen.
Verteidigt wurde die Vorratsdatenspeicherung von Vertretern des Justiz- und des Innenministeriums. So hielt Christian
Pilnacek, Leiter der Sektion Strafrecht im Justizministerium, den Kritikern der EU-Richtlinie entgegen, dass das
deutsche Bundesverfassungsgericht diese als per se nicht grundrechtswidrig gewertet hat. Er und der Leiter der
Rechtsabteilung für den Bereich Telekom und Post im Verkehrsministerium, Christian Singer, verwiesen außerdem
auf umfangreiche datenschutzrechtliche Vorkehrungen in Österreich. So stellt laut Singer etwa eine beim Bundesrechenzentrum
eingerichtete Datendurchlaufstelle sicher, dass kein direkter Datenzugriff von Behörden und Betreibern möglich
ist. Zudem würden alle Zugriffe protokolliert. Er machte außerdem geltend, dass Österreich bei
der Umsetzung der EU-Richtlinie sehr restriktiv vorgegangen sei und mit der sechsmonatigen Datenspeicherung die
Minimalvariante gewählt hat.
Wie der Rechtsschutzbeauftragten des Justizministeriums Gottfried Strasser mitteilte, wurden ihm bis zum gestrigen
Tag 188 Abfragefälle vorgelegt. Ende Oktober waren es 168, wobei in einem Fall ein Widerruf erfolgte. In drei
Fällen dieser 168 Fälle ging es um Mord, in 58 um schweren Diebstahl, in 14 um schweren Raub, in 20 um
Stalking, in 16 um schweren Betrug, in 20 um Verstöße gegen das Suchtmittelgesetz und in 10 um Vergewaltigungen.
In 19 Fällen sei bisher eine Aufklärung erfolgt, darunter in sieben Stalkingfällen. Als konkretes
Beispiel für eine erfolgreiche Abfrage von Vorratsdaten nannte er etwa die Klärung eines Mordes, bei
dem ein Handy geraubt wurde.
Der Rechtsschutzbeauftragte des Innenministeriums Manfred Burgstaller berichtete von 9 Vorratsdatenabfragen durch
die Sicherheitsbehörden von April bis Ende September zur präventiven Abwehr von Gefahren, vier Mal ging
es um die Zuordnung von IP-Adressen, fünf Mal um die Feststellung des Standorts eines Handys. Damit sei es
etwa gelungen, den Urheber einer im Internet gefundenen Anleitung zur Anfertigung eines Bombengürtels zu eruieren
und einen schwerkranken Mann zu retten.
Bisher kein missbräuchlicher Datenzugriff bekannt
Weder Strasser noch Burgstaller ist, wie sie erklärten, ein missbräuchlicher Datenzugriff bekannt, auch
der Datenschutzkommission liegt laut Souhrada-Kirchmayer kein entsprechender Hinweis vor.
Seitens der Abgeordneten herrschte Konsens darüber, dass die Diskussion über die Vorratsdatenspeicherung
fortgesetzt werden müsse, allerdings waren sich die Fraktionen über das Wie nicht einig. So forderten
etwa die Justizsprecher der Grünen und der FPÖ, Albert Steinhauser und Peter Fichtenbauer, eine Vertagung
der Beratungen, um eine gemeinsame Position für die weitere Vorgangsweise Österreichs auf EU-Ebene zu
erarbeiten, konnten sich damit aber nicht durchsetzen. Beide drängten zudem auf eine Evaluierung aller Überwachungsgesetze
und -paragraphen in Österreich.
Als Ergebnis der Beratungen fasste der Ausschuss schließlich auf Initiative der Koalitionsparteien mit S-V-F-B-Mehrheit
eine Entschließung. Darin ersuchen die Abgeordneten die zuständigen Regierungsmitglieder, nach Vorliegen
der Ergebnisse der derzeit beim Europäischen Gerichtshof und beim Verfassungsgerichtshof anhängigen Verfahren
zur Vorratsdatenspeicherung, etwaig notwendige Gesetzesänderungen vorzulegen, wobei sie vor allem den Aspekt
der Datensicherheit hervorstrichen. In den Erläuterungen zum Entschließungsantrag wird außerdem
explizit auf die vom Verkehrsministerium erlassene Datensicherheitsverordnung verwiesen. Die Bürgerinitiative
wurde einstimmig zur Kenntnis genommen.
Gleich zu Beginn des Hearings hatte Ausschussvorsitzender Peter Michael Ikrath bedauert, dass das Hearing aufgrund
der Geschäftsordnung des Nationalrats nicht öffentlich abgehalten werden kann. Er und die anderen Mitglieder
des Justizausschusses hoffen, dass die Geschäftsordnung im Zuge der nächsten Reform entsprechend adaptiert
werde.
Eingeladen zum Hearing waren neben dem Initiator der Bürgerinitiative Andreas Krisch die Rechtsschutzbeauftragten
des Justizministeriums und des Innenministeriums, Gottfried Strasser und Manfred Burgstaller, Michael Kilchling
(Max Planck Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg), Christof Tschohl (Ludwig
Boltzmann Institut für Menschenrechte), Reinhard Kreissl (Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie),
Leopold Hirsch (Österreichischer Rechtsanwaltskammertag), Eva Souhrada-Kirchmayer (Datenschutzkommission),
Christian Pilnacek (Justizministerium), Verena Weiss (Innenministerium), Christian Singer (Verkehrsministerium)
sowie Gerhard Kunnert vom Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt.
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ExpertInnen hinterfragen Notwendigkeit der Datensammlung
Eingeleitet wurde das Hearing im Justizausschuss zur Bürgerinitiative "Stoppt die Vorratsdatenspeicherung"
durch eine kurze Einleitung von Ausschussvorsitzendem Peter Michael Ikrath. Ikrath bedauerte, dass das Hearing
nicht öffentlich stattfinden könne, da dies aufgrund der Geschäftsordnung des Nationalrats nicht
zulässig sei. Er will gemeinsam mit den anderen Mitgliedern des Justizausschusses für künftige Fälle
eine Änderung der Geschäftsordnung anregen. Bedauern äußerte Ikrath außerdem darüber,
dass der eingeladene Vertreter der EU-Kommission kurzfristig abgesagt habe.
Krisch: Vorratsdatenspeicherung ist massiver Eingriff in Grundrechte
Der Initiator der Bürgerinitiative Andreas Krisch wies darauf hin, dass die Bürgerinitiative zwei wesentliche
Anliegen habe: Zum einen solle sich Österreich auf EU-Ebene für die Abschaffung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung
stark machen. Zum anderen geht es ihr um die Evaluierung aller Überwachungsgesetze in Österreich. Krisch
wertete es als massiven Eingriff in die Grundrechte, dass die Kommunikatiosverkehrsdaten von 500 Millionen EU-Bürgern
verdachtsunabhängig gespeichert werden. Damit wird ihm zufolge unter anderem das Grundrecht auf Meinungs-
und Informationsfreiheit, das Grundrecht auf Familienleben und die Unschuldsvermutung verletzt.
Der EU-Kommission sei es auch mit dem Evaluierungsbericht nicht gelungen zu belegen, dass die Vorratsdatenspeicherung
notwendig sei, sagte Krisch. So habe die EU-Kommission im Rahmen der Evaluierung keinen Vergleich zwischen Staaten
mit und ohne Vorratsdatenspeicherung gemacht und lediglich "anekdotische Beispiele" vorgelegt, wo sich
die Nutzung von Vorratsdaten als nützlich erwiesen habe. Was sich gezeigt habe, ist, so Krisch, dass es in
Polen extrem hohe Zugriffsraten gebe. Eine Harmonisierung der Rechtsgrundlage in Europa sei nicht gelungen, die
Richtlinie ist in den EU-Staaten äußert unterschiedlich umgesetzt.
Krisch fürchtet, dass die Begehrlichkeiten, auf vorhandene Daten zuzugreifen, in nächster Zeit noch zunehmen
werden. Ihm zufolge überlegt etwa das Justizministerium, zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen den
Zugriff auf Vorratsdaten zu ermöglichen. Auf EU-Ebene diskutiere man den Zugriff von Strafverfolgungsbehörden
auf Up- und Download-Daten. In einer demokratischen Gesellschaft sei eine Vorratsdatenspeicherung zur Bekämpfung
von Terrorismus nicht notwendig, zeigte sich Krisch zusammenfassend überzeugt.
Kilchling hinterfragt Nützlichkeit der Datensammlung
Michael Kilchling (Max Planck Institut für ausländisches und internationales Strafrecht, Freiburg)
meinte, er betrachte die Bürgerinitiative durchaus mit Sympathie. Seiner Ansicht nach hat die EU bei der Beschlussfassung
der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ihre Kompetenzen überschritten, da davon auch strafprozessuale
Fragen betroffen seien. Allerdings räumte er ein, dass der EuGH in dieser Frage anders entschieden habe.
Österreich gehöre neben Schweden zu jenen Ländern, die sich bis zuletzt gegen eine Umsetzung der
Richtlinie gewehrt hätten, skizzierte Kilchling. Nach einem Urteil des EuGH, dessen Begründung er als
"Unverschämtheit" wertete, habe man den EU-Vorgaben Rechnung tragen müssen.
Für Kilchling stellt sich vor allem die Frage der Nützlichkeit und der Notwendigkeit der Vorratsdatenspeicherung.
Der von der Europäischen Kommission vorgelegte Evaluierungsbericht ist seiner Auffassung nach nutzlos, da
er Verkehrs- und Vorratsdaten unzulässig miteinander vermische und nicht alle EU-Länder abdecke. Er wies
in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Netzbetreiber ohnehin für andere Zwecke, etwa für die Rechnungslegung,
zahlreiche Daten speichern, die auch ohne Vorratsdatenspeicherung zur Verfügung stünden. Nach Meinung
von Kilchling gibt es vermutlich nur wenige Bereiche, etwa die Internet-Kriminalität, wo man außer Computerdaten
keine andere Ermittlungsansätze habe.
Generell ortet Kilchling ein selektives Problembewusstsein: So müssten Banken im Zuge der Bekämpfung
von Geldwäsche sämtliche Daten fünf Jahre auf Vorrat speichern, ohne dass dies zu Diskussionen geführt
hätte.
Tschohl: Kontrolldichte ist nicht zu unterschätzen
Christof Tschohl (Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte) wies darauf hin, dass sein Institut damit
beauftragt worden war, einen Gesetzentwurf zur Umsetzung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zu erarbeiten.
Dem Institut sei klar gewesen, dass auch bei der besten Umsetzung Grundrechtsverletzungen blieben, dennoch habe
man sich entschlossen den Auftrag anzunehmen, um der Vorratsdatenspeicherung zumindest einige Giftzähne zu
ziehen, konstatierte er. Laut Tschohl wurde der Vorschlag des Instituts nicht auf Punkt und Beistrich, aber doch
großteils umgesetzt.
Wie Tschohl erklärte, unterstützt er dennoch die beim Verfassungsgerichtshof eingereichte Beschwerde
gegen die Vorratsdatenspeicherung. In Österreich habe seit jeher der Grundsatz gegolten, dass der Staat Eingriffe
in Grundrechte rechtfertigen müsse, betonte er. Mit der Vorratsdatenspeicherung werde die Unschuldsvermutung
aber massiv verletzt, die Datensammlung sei überschießend. Man dürfe die Kontrolldichte und das
Eingriffspotenzial, das durch die Datensammlung entstünden, nicht unterschätzen, warnte Tschohl. Wie
Kilchling trat auch er für die Überprüfung der Notwendigkeit und der Nützlichkeit der Vorratsdatenspeicherung
ein.
Kreissl: Wirkung von Anti-Terror-Gesetzen ist fraglich
Reinhard Kreissl (Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie) bestätigte, dass es praktisch keine unabhängige
Evaluation der Vorratsdatenspeicherung gebe, wobei er die Erarbeitung eines wissenschaftlichen Designs grundsätzlich
für schwierig erachtet. Er hinterfragte in diesem Zusammenhang generell die Wirkung von Anti- Terror-Gesetzen,
deren Erfolg seiner Ansicht nach vermutlich vernachlässigbar sei. Zwar würden viele Ermittlungsverfahren
eingeleitet, weil die Gesetze eine "Toolbox" an Überwachungsmaßnahmen zur Verfügung stellen,
daraus würden in der Regel aber nur wenige Anklagen und noch weniger Verurteilungen resultieren.
Kreissl appellierte in diesem Sinn an die Abgeordneten, Anti-Terror- Gesetze nur befristet zu beschließen
und regelmäßig zu evaluieren.
Hirsch: EU-Richtlinie ist überschießend
Leopold Hirsch, Präsident der Salzburger Rechtsanwaltskammer, teilte die Auffassung, dass die EU-Richtlinie
zumindest überschießend sei. Er ortet ein Spannungsverhältnis zwischen öffentlicher Sicherheit
und individueller Freiheit und warnte in diesem Zusammenhang vor einer Erosion der Privatsphäre. Aus Furcht,
es könnte etwas passieren, greife man zu "abstrusen Maßnahmen", klagte er. Für ihn ist
es nicht einzusehen, warum flächendeckend und anlasslos Daten von unbescholtenen Bürgern gespeichert
werden. Diese präventive Überwachung bringe nichts und schade durch das entstehende Misstrauen auch den
staatlichen Institutionen selbst.
Singer: Datenschutzbestimmungen verhindern Missbrauch
Christian Singer, Leiter der Rechtsabteilung für den Bereich Telekom und Post im Verkehrsministerium, erinnerte
daran, dass Österreich nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs gezwungen gewesen sei, die EU-Richtlinie
zur Vorratsdatenspeicherung umzusetzen. Österreich sei es gerade noch gelungen, Strafzahlungen abzuwenden,
skizzierte er. Nach massiven Bedenken an einen ersten Begutachtungsentwurf hat das Verkehrsministerium, wie Singer
schilderte, das Boltzmann-Institut für Menschenrechte beauftragt, einen weiteren Entwurf zu erarbeiten.
Singer betonte, dass das Verkehrsministerium großen Wert darauf gelegt habe, nur eine Minimalvariante umzusetzen.
So ist lediglich eine sechsmonatige Speicherung der Daten vorgesehen, ein Datenzugriff nur im Falle schwerer Straftaten
möglich. Flankierend habe man besonderen Wert auf Datenschutz gelegt und auch eine Datensicherheitsverordnung
erlassen. Diese stelle sicher, dass jeder Datenzugriff transparent sei und Missbrauch ausgeschlossen werde. Durch
eine Datendurchlaufstelle im Bundesrechenzentrum werde etwa ein direkter Datenzugriff von Behörden und Betreibern
verhindert.
Kunnert: Grundrechtspolitische Zweifel an Vorratsdatenspeicherung
Gerhard Kunnert vom Verfassungsdienst im Bundeskanzleramt gab zu bedenken, dass schon im Vorfeld der Vorratsdatenspeicherung
massive grundrechtspolitische Zweifel hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit der geplanten Datensammlung
geäußert wurden. Die Dimension der Vorratsdatenspeicherung reihte er plastisch "zwischen Tschernobyl
und Fukushima" ein. Der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes habe überlegt, sich einem vom irischen
Höchstgericht angestrengten Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH anzuschließen, erläuterte er,
Justiz- und Innenministerium seien aber dagegen gewesen.
Eine abschließende Beurteilung ob die Vorratsdatenspeicherung grundrechtswidrig ist, wollte Kunnert nicht
vornehmen, man müsse diese im Kontext der Überwachungsgesetze sehen. Alles was über sechs Monate
Speicherung hinausgeht, ist ihm zufolge jedenfalls zweifelhaft.
Souhrada-Kirchmayer: Datenspeicherung greift in Bürgerrechte ein
Eva Souhrada-Kirchmayer (Datenschutzkommission) teilte die Auffassung, dass die Vorratsdatenspeicherung zu stark
in die Bürgerrechte eingreife, und erinnerte daran, dass die unabhängigen Datenschutzbehörden bereits
im Jahr 2002 Bedenken gegen die damals diskutierte Datensammlung vorgebracht hätten. Sie erachtet daher die
Forderung, die EU-Richtlinie abzuschaffen als nachvollziehbar. Zumindest Änderungen hält Souhrada-Kirchmayer
für notwendig. Wenn man die EU-Richtlinie abschaffe, müsse man gleichzeitig auch Artikel 15 der E-Privacy-Richtlinie
überarbeiten, hob sie hervor.
Souhrada-Kirchmayer wies darauf hin, dass die EU-Richtlinie in den einzelnen EU-Staaten extrem unterschiedlich
umgesetzt worden sei und daher keinen Beitrag zur Harmonisierung der Rechtslage geleistet habe. Als Beispiel nannte
sie etwa Polen, wo eine extrem lange Speicherfrist der Daten und großzügige Datenzugriffe verankert
seien. So könnten auch Finanzämter in Polen auf Daten zugreifen.
Laut Evaluierungsbericht der EU-Kommission haben sich die Vorratsdaten als wertvoll bei der Kriminalitätsbekämpfung
erwiesen, skizzierte Souhrada-Kirchmayer. Es sei aber nicht überzeugend dargestellt worden, dass man mit dem
Zugriff auf Vorratsdaten über das "nice-to-have" hinaus Terrorismus und schwere Kriminalität
tatsächlich erfolgreicher bekämpfen könne. Bei der Darstellung der Erfolge sei auch keinen Unterschied
gemacht worden, ob ein Fahndungserfolg auf die Verwendung von Vorratsdaten zurückging oder auf andere Daten,
die von Telekom-Betreibern ebenfalls gespeichert würden.
Rechtschutzbeauftragter Strasser: Bisher 188 Abfragefälle
Der Rechtsschutzbeauftragte des Justizministeriums Gottfried Strasser teilte den Abgeordneten mit, dass ihm
bis zum gestrigen Tag 188 Abfragefälle vorgelegt worden seien. Ende Oktober waren es 168, wobei in einem Fall
ein Widerruf erfolgte. In drei dieser 168 Fälle ging es um Mord, in 58 um schweren Diebstahl, in 14 um schweren
Raub, in 20 um Stalking, in 16 um schweren Betrug, in 20 um Verstöße gegen das Suchtmittelgesetz und
in 10 um Vergewaltigungen. In 19 Fällen sei bisher eine Aufklärung erfolgt, darunter in sieben Stalkingfällen.
Als konkretes Beispiel für eine erfolgreiche Abfrage von Vorratsdaten nannte er etwa die Klärung eines
Mordes, bei dem ein Handy geraubt wurde.
Zusammenfassend stellte Strasser fest, trotz aller Bedenken sei die Nutzung von Vorratsdaten ein wesentliches Mittel
zur Ahndung schwerer Kriminalität.
Burgstaller: Zugriff auf Vorratsdaten kann auch Leben retten
Der Rechtsschutzbeauftragte des Innenministeriums Manfred Burgstaller vermutet, dass die Sicherheitsbehörden
die Nutzung von Vorratsdaten zur Abwehr von Gefahren nur selten in Anspruch nehmen werden. Grundsätzlich könne
man davon ausgehen, dass man mit den Betriebsdaten das Auslangen finde und nur in Ausnahmefällen auf Vorratsdaten
zurückgreifen müsse, meinte er. Das belegen ihm zufolge auch die bisherigen Daten von April bis Ende
September.
Demnach wurde in diesem Zeitraum zu Präventionszwecken neun Mal auf Vorratsdaten zurückgegriffen: vier
Mal zur Eruierung einer IP-Adresse und fünfmal zur Feststellung eines Handy-Standortes. Damit ist es Burgstaller
etwa zufolge gelungen, eine Person ausfindig zu machen, die laufend auf Kosten eines anderen im Internet eingekauft
habe. Auch der Urheber einer Anleitung zur Anfertigung eines Bombengürtels im Internet konnte eruiert werden.
Die Handyortung ermöglichte es, einem schwerkranken Mann zu helfen, der nicht angeben konnte wo er sich gerade
befand.
Für die genannten Fälle war der Rückgriff auf Vorratsdaten laut Burgstaller notwendig, weil Standortdaten
nicht immer als Betriebsdaten zur Verfügung stehen.
Pilnacek: Grundrechte bleiben in Österreich gewahrt
Christian Pilnacek, Leiter der Sektion Strafrecht im Justizministerium, hielt den Kritikern der Vorratsdatenspeicherung
entgegen, dass man die Entscheidung des EuGH zur Kenntnis nehmen müsse. Es gebe keinen strafprozessualen Ansatzpunkt
in der EU- Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung, weil diese nur die Speicherung der Daten, aber nicht den Zugriff
auf die Daten regle, argumentierte er. Dass sich das Justizministerium dagegen ausgesprochen hat, sich am derzeit
laufenden Vorabentscheidungsverfahren beim EuGH zu beteiligen, begründete Pilnacek damit, dass es merkwürdig
wäre, wenn Österreich auf der einen Seite vor dem Verfassungsgerichtshof die Grundrechtskonformität
der österreichischen Umsetzung der Richtlinie verteidige, auf der anderen Seite aber beim EuGH aber Grundrechtsbedenken
äußere.
Pilnacek stellte weiters klar, dass auch das deutsche Bundesverfassungsgericht die EU-Richtlinie als per se nicht
grundrechtswidrig gewertet hat. Es habe vielmehr festgestellt, dass es auf die Umsetzung der Richtlinie ankomme.
Österreich habe diese Umsetzungsspielräume wahrgenommen und das Möglichste getan, um die Umsetzung
grundrechtssicher zu machen, betonte der Sektionschef. Auch der deutsche Juristentag hebt ihm zufolge die Notwendigkeit
hervor, den Strafverfolgungsbehörden die notwendigen technischen Mittel in die Hand zu geben, um Kriminalität
effizient zu bekämpfen.
Weiss: Datenaufbewahrung zum Zweck der nationalen Sicherheit erlaubt
Verena Weiss, Leiterin der Abteilung Rechtsangelegenheiten und Datenschutz im Innenministerium, verwies darauf,
dass einem EuGH- Urteil zufolge die Datenaufbewahrung zur Aufrechterhaltung der nationalen Sicherheit erlaubt sei.
Die Frage des Zugriffs auf Vorratsdaten in Österreich ist ihr zufolge klar determiniert.
ExpertInnen antworten auf Abgeordnetenfragen
Von Seiten der Abgeordneten stellten Johann Maier (S), Peter Fichtenbauer (F), Albert Steinhauser (G), Herbert
Scheibner (B), Eva- Maria Himmelbauer (V) und Harald Stefan (F) zahlreiche Detailfragen. Bürgerinitiativen-Vertreter
Andreas Krisch meinte in seiner Antwort unter anderem, er sehe gute Möglichkeiten für Österreich,
in Zusammenarbeit mit anderen europäischen Sparten auf EU-Ebene aktiv zu werden. Man dürfe jedenfalls
nicht warten, bis die EU-Kommission einen neuen Entwurf vorlege, mahnte er.
Michael Kilchling wies darauf hin, dass das von vielen Seiten als Alternative zur Vorratsdatenspeicherung gesehene
Quick-Freeze- Verfahren nicht in allen Fällen nütze, da Daten, die einmal gelöscht sind, nicht eingefroren
werden könnten. Angesichts der EuGH- Entscheidung, dass für die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung
eine ausreichende Rechtsgrundlage vorgelegen ist, erachtet er einen neuerlichen juristischen Weg auf EU-Ebene für
wenig sinnvoll, zielführender seien politische Verhandlungen.
Christof Tschohl hielt fest, nicht alle Datenspeicherungen seien überflüssig, man müsse aber überlegen,
welche Daten man am dringendsten brauche, und von einer flächendeckenden Datenspeicherung wegkommen. Reinhard
Kreissl riet den Abgeordneten die Befürworter der Vorratsdatenspeicherung auf den Nachweis des konkreten Nutzens
festzunageln.
Leopold Hirsch sprach sich dafür aus, im Zuge der Evaluierung aller Überwachungsgesetze auch die Verpflichtung
von Anwälten zu überdenken, bei Geldwäscheverdacht ihre eigenen Klienten anzuzeigen. Er erinnerte
außerdem daran, dass die Vorratsdatenspeicherung mit dem Argument der Terrorismusbekämpfung eingeführt
wurde, die vom Rechtsschutzbeauftragten des Justizministeriums geschilderten Fälle aber nichts mit Terrorismus
zu tun hätten.
Kunnert: Diskussion über Änderung der EU-Richtlinie ist eingeschlafen
Gerhard Kunnert wies darauf hin, dass der Reformprozess zur Änderung der EU-Richtlinie ziemlich eingeschlafen
sei, nachdem ein Vorstoß der EU-Kommission bei einigen Mitgliedstaaten auf massiven Widerstand gestoßen
ist. Zum Urteil des deutschen Bundesverfassungsgerichts merkte er an, dieser habe nicht festgestellt, dass bezüglich
der Vorratsdatenspeicherung alles in Ordnung sei, vielmehr könne dem Gericht zufolge die Frage des Grundrechtseingriffs
nur im Gesamtpaket mit der Umsetzung beurteilt werden. Bei der laufenden EuGH-Klage gehe es nicht um die innerösterreichische
Umsetzung der EU-Richtlinie, sagte er, sondern um die generelle Prüfung der Verhältnismäßigkeit.
Bisher kein Hinweis auf unzulässige Datenabfragen
Eva Souhrada-Kirchmayer hielt fest, Österreich habe bei der Umsetzung der EU-Richtlinie "ein wenig mehr
hineingepackt", als unbedingt notwendig gewesen wäre. Das Quick-Freeze-Verfahren könnte ihr zufolge
durchaus eine sinnvolle Alternative zur Vorratsdatenspeicherung sein, da zwar manche Daten weg, aber viele doch
vorhanden wären. Keinen Hinweis hat sie darauf, dass Vorratsdaten in unzulässiger Weise abgefragt wurden.
Es gebe aber Beschwerden über die Nichtbefolgung der Auskunftspflicht an BürgerInnen durch die Telekombetreiber.
Eine flächendeckende Überprüfung ist laut Souhrada-Kirchmayer durch die Datenschutzkommission aufgrund
von Personalmangel nicht möglich, es sind aber stichprobenartige Überprüfungen vorgesehen.
Gottfried Strasser meinte, er könne nicht sagen, welchen Anteil die Vorratsdaten bei der Aufklärung der
von ihm genannten Delikte gehabt haben. Beim angesprochenen Mordfall sei die Nutzung der Vorratsdaten aber entscheidend
gewesen. Auch bei Diebstählen könne man nur mit Vorratsdaten feststellen, wer in der Nähe des Tatorts
gewesen sei. Ein Fall von Missbrauch sei ihm nicht bekannt. Auch Manfred Burgstaller kennt keinen Missbrauchsfall,
wie er festhielt. Standortdaten sind seiner Auskunft nach häufig nur mit Vorratsdaten zu ermitteln.
Urheberrechtsverletzungen: Justizressort arbeitet an Gesetzentwurf
Christian Pilnacek bestätigte, dass das Justizministerium an einem Gesetzentwurf zur besseren Bekämpfung
von Urheberrechtsverletzungen arbeite. Es gehe dem Justizministerium nicht darum, auf Vorratsdaten zuzugreifen,
meinte er, es sei aber notwendig, den Namen und die Adresse eines Rechtsverletzers bei Zivilrechtsklagen zu erhalten.
Im Gegensatz zu Deutschland ist es laut Pilnacek in Österreich sehr wohl nachvollziehbar, welche Teile einer
Auskunft von Telekomunternehmen an die Strafverfolgungsbehörden sich auf Vorratsdaten und welche sich auf
Verkehrsdaten beziehen.
Verena Weiss erklärte, das Innenministerium verschließe sich einer Diskussion über eine Überarbeitung
der EU-Richtlinie nicht, habe bis jetzt aber auf Vorschläge der Europäischen Kommission gewartet. Im
Übrigen machte sie darauf aufmerksam, dass bei der Vorratsdatenabfrage sowohl auf Betreiber- als auch auf
Abfragerseite das Vier-Augen-Prinzip gelte und die Datenübermittlung verschlüsselt eine Durchlaufstelle
erfolge.
Justizausschuss nimmt Bürgerinitiative einstimmig zur Kenntnis
Von Seiten der Abgeordneten sprach sich Grün-Justizsprecher Albert Steinhauser für eine Vertagung der
Beratungen aus, um in Ruhe über die Konsequenzen nachzudenken, die aus dem Hearing zu ziehen sind. Ihm gehe
es vor allem um die Erarbeitung einer gemeinsamen Position, die Österreich dann geschlossen auf EU-Ebene vertreten
solle. Angesichts der Haltung des Justizministeriums äußerte Steinhauser aber Zweifel, ob Österreich
in Brüssel tatsächlich eine laute Stimme zur Abschaffung der EU-Richtlinie sein wolle. Als wesentlich
sieht er außerdem eine Evaluierung aller Überwachungsgesetze. Zum von den Koalitionsparteien eingebrachten
Entschließungsantrag merkte Steinhauser an, dieser sei keine Antwort auf die Anliegen der Bürgerinitiative.
Abgeordneter Franz Glaser (V) gab zu bedenken, dass es insgesamt ein großes Unbehagen über die flächendeckende
Vorratsdatenspeicherung gebe. Namens der Koalitionsparteien brachte Abgeordneter Johann Maier (S) einen Entschließungsantrag
ein, der auf die Überprüfung der bestehenden gesetzlichen Bestimmungen nach dem Vorliegen der Ergebnisse
der beim EuGH und beim VfGH anhängigen Verfahren abzielt. Besonderen Wert legen die Abgeordneten dabei auf
den Aspekt der Datensicherheit, insbesondere die Verhinderung des unberechtigten Zugriffs auf gespeicherte Daten
und die Kontrolle der Datenlöschung.
Abgeordneter Peter Fichtenbauer (F) wertete die Vorratsdatenspeicherung in Übereinstimmung mit vielen Experten
als überschießend und erinnerte daran, dass die FPÖ bereits vor einiger Zeit einen Entschließungsantrag
eingebracht habe, in dem sie die Evaluierung aller bestehenden Überwachungsgesetze fordert. Fichtenbauer fürchtet,
dass mit der Kenntnisnahme der Bürgerinitiative das Thema Vorratsdatenspeicherung wieder einschlafen werde.
Abgeordneter Herbert Scheibner (B) unterstrich, es sei wichtig, sich für die Beratung des sensiblen Themas
ausreichend Zeit zu nehmen. Ein "nice-to-have" rechtfertigt seiner Ansicht nach massive Grundrechtseingriffe
jedenfalls nicht.
Der Entschließungsantrag wurde bei der Abstimmung mit S-V-F-B- Mehrheit beschlossen. Die Bürgerinitiative
wurde einstimmig zur Kenntnis genommen.
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