Bahnbrechende Entdeckung an der TU Hamburg
Hamburg (idw) - Auf der Suche nach neuen Materialien haben Forscher der TU Hamburg eine weitreichende
Entdeckung gemacht: Ihnen gelang der Nachweis, dass die Steifigkeit kristalliner Metalllegierungen in dem von der
Natur vorgegebenen Zustand am höchsten ist. Anders gesagt: Es gibt auf diesem Sektor nichts, was besser ist
als die Natur. Mit diesem Ergebnis wird die weltweite Suche nach neuen steifen Materialien zumindest auf dem Gebiet
der kristallinen Metalllegierungen in Frage gestellt. Die am Institut für Keramische Hochleistungswerkstoffe
gewonnenen Erkenntnisse sind in der heute erscheinenden Ausgabe der Fachzeitschrift „nature“ Gegenstand eines vierseitigen
Berichts.
Der von Professor Stefan Müller sowie den Ko-Autoren Sascha Maisel und Michaela Höfler eingereichte Beitrag
„A canonical stability/elasticity relationship verified for one million face-centred-cubic structures“ wurde auf
Anhieb publiziert – und sogar kommentiert. Der Kommentator, der US-amerikanische Physiker Gus L. W. Hart von der
Brigham Young University, erwähnt in seinem Beitrag „Substitution with vision“ unter anderem die US-amerikanische
Forschungsinitiative „Materials Genome Initiative“ von Präsident Obama, in deren Mittelpunkt die Optimierung
der Eigenschaften funktionaler Materialien steht. Die Hamburger haben „einen wesentlichen Beitrag geleistet, um
diesem Ziel näherzukommen,“ schreibt Hart. „nature“-Kommentare, in denen Experten Beiträge bewerten,
gelten in Wissenschaftskreisen als festes Indiz für die große Bedeutung eines Forschungsergebnisses.
Wissenschaftler suchen weltweit händeringend nach neuen Materialien, von denen sie sich neue Funktionen versprechen.
Ob Keramik, Kunststoff oder kristalline Metalllegierungen – stets geht es darum, Eigenschaften zu entdecken, die
entweder über das hinausgehen, was die Natur liefert oder wo die Natur das Vorbild ist. Auch die TU Hamburg
sucht in ihrem Sonderforschungsbereich „Maßgeschneiderte, multiskalige Materialsysteme“ nach neuen Materialien
mit bis dato nicht dagewesenen Funktionen. In diesem Rahmen ist auch die Forschergruppe um Professor Müller
angesiedelt, die sich speziell mit Zusammenhängen zwischen energetischen (atomare Ebene) und mechanischen
Eigenschaften wie der Steifigkeit von Materie beschäftigt.
Die Idee, in einem Material durch eine veränderte Zusammensetzung der Komponenten neue Eigenschaften zu generieren,
ist uralt und reicht bis in die Bronzezeit. Seit den 60er-Jahren ergänzen Computersimulationen die klassischen
Versuche. Egal, welches Verfahren zum Tragen kam, stets beschränkten sich die Untersuchungen auf einzelne
Materialien. Die Hamburger Forscher hingegen haben von vorneherein ihre Studie einer ganzen Materialklasse gewidmet:
den kristallinen Metalllegierungen.
In ihrem Fokus waren vier verschiedene Metalllegierungen: Nickel-Aluminium, Kupfer-Aluminium, Nickel-Wolfram und
Nickel-Tantal. Über eine Million verschiedener atomarer Anordnungen hatten die Wissenschaftler dabei berechnet.
Das Ergebnis war eindeutig und lässt sich auf die wichtigsten kristallinen Metalllegierungen übertragen.
Je nach Anordnung der Atome ändert sich die Steifigkeit eines Materials. „Es hat sich gezeigt, je stabiler
eine solche atomare Anordnung, desto steifer ist diese,“ sagt Müller. Außerdem wurde festgestellt, dass
die Stabilität in einem direktem Verhältnis zur Steifigkeit steht, anders gesagt, wenn das Material halb
so stabil ist, ist es auch halb so steif. „Die Anordnung mit der niedrigsten Energie hat die höchste Steifigkeit,“
sagt Maisel. Die Natur versuche stets, den Zustand der minimalsten Energie zu erreichen.
Neun Monate nahmen die numerischen Berechnungen und die systematische Auswertung der riesigen Datenbasis in Anspruch.
„Dann lag das Ergebnis klar auf dem Tisch,“ sagt Maisel, der federführend die Berechnungen durchführte.
Der studierte Physiker, Erstautor des „nature“-Beitrages, promoviert zum Thema am Institut für Keramische
Hochleistungswerkstoffe bei Professor Stefan Müller und wurde in seiner Arbeit von Michaela Höfler unterstützt.
Noch mitten im Bachelorstudium hat sich die angehende Schiffbauingenieurin für die Material-Modellierung mittels
quantenmechanischer Ansätze interessiert und im Institut engagiert.
Die Ergebnisse werfen eine Vielzahl weiterführender Fragen auf, wie etwa: Wie weit lassen sich die Ergebnisse
auch auf andere Materialtypen übertragen? Was passiert bei Systemen, die nicht wie die kristallinen Metalllegierungen
aus zwei, sondern aus drei und vier Atomarten bestehen? Nicht zuletzt stellt sich aus technischer Sicht die Frage,
ob aufgrund der Ergebnisse die Suche nach synthetischen Materialien mit höherer Steifigkeit für wirklich
jedes Material sinnvoll ist.
Die Materialforscher an der TUHH hatten erst vor Kurzem mit einer Entdeckung schon einmal Aufsehen erregt, als
das Team um Professor Karl Schulte die Entdeckung des leichtesten Werkstoffs der Welt bekanntgab. Das mit Wissenschaftlern
aus Kiel entwickelte Aerographit ist stabil und dennoch verformbar sowie elektrisch leitfähig.
|