Graz (universität) - Viele österreichische BerufssprecherInnen
im Radio und Fernsehen tendieren bei ihrer Aussprache zum Deutschländischen Deutsch, bemerkt Ass.-Prof. Dr.
Rudolf Muhr von der Karl-Franzens-Universität Graz. Der Linguist analysiert seit 2000 die Aussprache des Österreichischen
Deutsch und vergleicht sie mit den Standards unserer Nachbarn Deutschland und Schweiz. Die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit
hat der Germanist in einem „Österreichischen Aussprachewörterbuch“ zusammengefasst und in der Aussprache-Datenbank-Austria
„ADABA“ erstmals verarbeitet. Rudolf Muhr ist auch Initiator des seit 1999 jährlich gewählten Wort und
Unwort des Jahres. Das Wort und Unwort 2012 wird morgen Donnerstag, dem 6. Dezember 2012, offiziell über die
Austria-Presse-Agentur verkündet.
„Lange Zeit wurde das Burgtheaterdeutsch in Österreich als Normsprache geführt“, erläutert der Wissenschafter.
Diese sei aber ausschließlich als überhöhte Norm der theatralischen Darstellung anzusehen. „Die
Norm, die wir für das Projekt kodifiziert haben, war die ,Medienpräsentationssprache‘“. Darunter versteht
er jene Sprache, die Menschen verwenden, wenn sie im Rundfunk oder Fernsehen auftreten und öffentlich sprechen.
Dabei müsse zwischen geschulten und ungeschulten SprecherInnen unterschieden werden; beides zusammen sind
gültige Realisierungsformen des Österreichischen Deutsch, und sie werden in der Aussprache-Datenbank
präsentiert.
Mehr als 75.000 Wörter und 50 Modelltexte
Rudolf Muhr erstellte im Rahmen eines umfangreichen Projekts einen repräsentativen Korpus von insgesamt 75.650
Wörtern und 50 Modelltexten. Jeweils zwei SprecherInnen aus Österreich, Deutschland und der Schweiz mussten
denselben Korpus im Studio aufnehmen, damit die Aussprache vergleichbar wurde. Die Ergebnisse waren für den
Forscher eindeutig: Selbst bei den ModellsprecherInnen der drei deutschsprachigen Länder bestehen zum Teil
erhebliche Unterschiede in der Aussprache, zum Beispiel bei den Lehnwörtern. „Bei vielen österreichischen
SprecherInnen ist jedoch ein Hang zum Deutschländischen Deutsch erkennbar“, fasst Muhr zusammen. Das hänge
damit zusammen, dass das Norddeutsche – fälschlicherweise – als Norm angesehen werde. Demgegenüber verfüge
das Österreichische Deutsch über eine eigene Aussprachenorm, für die man sich nicht schämen
müsse.
Bundesländervergleich
Neben einem Dreiländervergleich interessierten den Wissenschafter auch die innerösterreichischen Unterschiede.
Damit ein Querschnitt der österreichischen Aussprache repräsentiert wird, sind in der ADABA auch die
regionalen SprecherInnen des ORF und sogenannte DurchschnittssprecherInnen erfasst. Von allen ORF-Bundesländerstudios
wurden jeweils drei Personen ausgewählt, die drei unterschiedliche Texte produzierten: einen phonetisch reichhaltigen
Text, einen Nachrichtentext und in freier Rede ihre Biografie. „Dabei wird der Unterschied zwischen gelesener Sprache
und freier Sprechsprache sichtbar“, erklärt Muhr und ergänzt: „Zu beobachten war, dass die Varianz der
geschulten SprecherInnen innerhalb Österreichs gering ist.“ Die Webversion der Datenbank wurde von InformatikerInnen
der HTL Kaindorf erstellt. ADABA steht im Internet zur Verfügung und kann frei genutzt werden. „Es ist die
erste und einzige länderübergreifende Dokumentation von Aussprachegewohnheiten dieser Art.“
Nähere Infos zum Projekt und zur Datenbank unter http://www.adaba.at
Zweite Datenbank „Speechdat“
Ergänzend zu ADABA hat Muhr eine zweite Aussprache-Datenbank „Speechdat“ gemeinsam mit dem Forschungszentrum
Telekommunikation Wien und der TU Graz entwickelt. Sie enthält Telefonsprache, die zur Verbesserung der Spracherkennung
aufgenommen wurde. Die Webversion fasst rund 50.000 Einheiten, die von 1000 Männern und 1000 Frauen aus dem
gesamten Bundesgebiet Österreichs stammen.
Speechdat ist erreichbar unter http://www.speechdatweb.at
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