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Valerio Zurlini und Antonio Pietrangeli |
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Von 10. Jänner bis 6. Februar präsentiert das Österreichische Filmmuseum zwei
Doppel- Retrospektiven, die auch zwei nationale Kinematografien beleuchten. Die andere Doppel-Schau des Monats führt in ein "verschwundenes Land" - die Deutsche Demokratische Republik (1949-1990). Mit den Spielfilmen von Konrad Wolf und den dokumentarischen Polemiken von Walter Heynowski & Gerhard Scheumann stellt das Filmmuseum zwei Positionen vor, die bei aller Unterschiedlichkeit eine entscheidende Gemeinsamkeit aufweisen: Was bedeutet es für Künstler, bei einem "Major Studio" unter Vertrag zu stehen, das voll und ganz vom Staat - und für ihn - betrieben wird? Ein spezieller Programmpunkt in diesem Monat ist die Premiere von Bernie, Richard Linklaters jüngstem Film
mit Jack Black, Shirley MacLaine und Matthew McConaughey in den Hauptrollen. Die schwarze Komödie kommt hierzulande
nicht regulär ins Kino und ist nur am 31. Jänner und 2. Februar im Filmmuseum zu sehen. Ein Hauptgrund für die geringe Zahl seiner Filme liegt in Zurlinis Kompromisslosigkeit und Akribie - er verlangte für seine Projekte, was sie brauchten. Das war nicht notwendigerweise Geld, sondern eher Zeit. Seine "Passion Lumumba unter den Söldnern", Seduto alla sua destra (1968), war z.B. als Episode des Omnibusfilms Amore e rabbia geplant, entwickelte sich dann aber zu einem abendfüllenden Werk - ohne dass er viel mehr Budget verbrauchte, als für dreißig Minuten vorgesehen war. Die Geschichte wirkt beim Lesen, als ließe sie sich gut in der Kürze erzählen. Wenn man jedoch den fertigen Film sieht, spürt man, dass alles, was ihn ausmacht, in einem Drehbuch nicht beschreibbar ist - die Dauer der Bewegungen, die Gesten der Darsteller, der langsam rollende Rhythmus des Ausharrens zum Tode. Daraus folgt nicht unbedingt, dass die Filme lang wurden - Le soldatesse (1965) etwa kürzte Zurlini selbst von geplanten drei auf zwei Stunden herunter, nahm viel moralisches Geplänkel und narrative Übergänge heraus, um so das Gewicht einzelner Momente zu betonen. Die darin vergehenden Minuten erscheinen dann so lang wie Menschenleben. Zurlini hatte schon früh gelernt, dass Zeit ein kostbares und fragiles Gut ist: 1943, gleich nach der Schule, meldete er sich beim Corpo Italiano di Liberazione. Er war 19, als der Frieden ausgerufen wurde. Zuerst zog es ihn zum Theater, z.B. als Assistent am Piccolo Teatro in Mailand. 1949 wandte er sich in Rom dem Kino zu und begann noch im gleichen Jahr mit dem ersten von rund zehn Kurzfilmen, die rasch seinen Ruf etablierten. Die erste Langfilmregie, Le ragazze di San Frediano (1954), war eine eigenständig-herbe Übung im komödiantischen Fach des neorealismo rosa. Als sein wahres Debüt betrachtete Zurlini jedoch seinen Zweitling, Estate violenta, der in vieler Hinsicht ein Schlüsselfilm über die eigene Jugend ist. Zurlini etablierte damit auch seine großen Themen: die Erinnerung, das Warten, den Krieg. Sein für lange Zeit größter Erfolg wurde La ragazza con la valigia (Das Mädchen mit dem leichten Gepäck, 1961), ein Film ganz im Geiste des Augenblicks - des Driftens und Jungseins am Höhepunkt des Italo-Boom. Die offiziellen Höchstweihen erhielt er kurz darauf mit Cronaca familiare (1962), der sich den Goldenen Löwen in Venedig mit Andrej Tarkovskijs Iwans Kindheit teilte. Zurlini war zu diesem Zeitpunkt 36 Jahre alt. Wer hätte damals geglaubt, dass er nur noch vier weitere Spielfilme machen würde, dass die verbleibenden zwei Dekaden vor allem aus Absagen bestehen sollten? Dass er aus Geldgründen Gelegenheitsarbeiten beim Fernsehen annehmen, wieder zum Theater zurückkehren, Synchronregie führen würde? Sein letztes Werk geriet ihm zur Summe seines Schaffens, so als hätte er geahnt, wie wenig Zeit ihm noch blieb: Il deserto dei Tartari (Die Tartarenwüste, 1976). Hier wird sich am Ende das Ausharren der Soldaten an den Grenzen der bekannten Welt gelohnt haben, denn es passiert endlich, woran niemand mehr zu glauben wagte. So erhalten mit einem Mal all die Leben, die im stillen Dienen enttäuscht vergangen waren, einen Sinn. Antonio Pietrangeli Pietrangeli hatte Medizin studiert, wandte sich aber bei der erstbesten Gelegenheit seiner wahren Liebe zu: dem Kino. Er wurde Kritiker, schrieb für die Zeitschriften Bianco & Nero und vor allem Cinema, wo er neben Luchino Visconti, Gianni Puccini und Carlo Lizzani zur Gruppe um Giuseppe De Santis gehörte, die für eine Erneuerung des italienischen Kinos kämpfte: für den Neorealismus. Während Visconti und De Santis bald schon Regie führen konnten und noch während der Kämpfe um Italien zu Bahnbrechern des Nachkriegskinos wurden, konzentrierte sich Pietrangeli zunächst weiter auf das Schreiben - von Drehbüchern. In diesem Metier war er nicht nur an einigen Schlüsselwerken der Periode beteiligt (z.B. La terra trema von Visconti oder Gioventù perduta von Pietro Germi), sondern auch an exquisiten Abweichungen wie dem übersinnlichen Eheschwank Quel fantasma di mio marito oder Roberto Rossellinis schneidender Totò-Komödie Dov'è la libertà ...? Man erinnere sich: Das Hollywood-Genrekino war eines der zentralen Vorbilder, an dem sich die Cinema-Gruppe bei der Entwicklung ihrer Neorealismus-Theorie orientierte. Die prononcierten Film-Noir-Züge von Gioventù perduta oder das Spiel mit den Elementen der fantastischen (Screwball-)Komödie in Quel fantasma di mio marito verdanken sich dem nämlichen Umfeld. Pietrangeli blieb dieser Linie - der Klärung sozialer und zwischenmenschlicher Verhältnisse durch Genre-Termini - auch in seinen Regiearbeiten treu. Fantasmi a Roma (1961) etwa erzählt von besorgten Geistern und den Phantasmen der Vergangenheit; ein Erbe muss hier erkennen, dass er den Traditionen seiner Vorväter nicht entgehen kann. Wenn der Film damit endet, dass sich Marcello Mastroianni im Stammlokal seines Vorfahren an denselben Platz setzt wie dieser Tag für Tag, sehr zur Zufriedenheit der Servierherren, dann ist das so gewaltig wie niederschmetternd. Die Vergangenheit lastet schwer auf Pietrangelis Protagonisten. Erinnerungen sind stets mit Schmerzen verbunden: Wieder und wieder müssen sie erkennen, dass sie Gefangene ihres bisherigen Daseins sind - und je älter sie werden, desto mehr "Gefängniswärter" umringen sie. Im grandiosen La visita (1963) z.B. stehen einem nicht sonderlich attraktiven Paar in spe ständig die Bilder früherer Schwärmereien und Liebschaften im Weg. Die vier bewegenden Heldinnen von Adua e le compagne (1960) werden beim Versuch, ein Restaurant zu betreiben und die "moralische Wende" Italiens zu beherzigen, laufend von ihrer Puff-Vergangenheit eingeholt. Ein weiteres Hauptwerk Pietrangelis, Io la conoscevo bene (Ich habe sie gut gekannt, 1965), erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die an das Boom-Versprechen von Reichtum durch Schönheit glaubt. Besser gesagt: Der Film lässt ihre Geschichte erzählen - von denen, die ihr begegnet sind; ein paar gute und viele böse Geister, die nach dem Freitod der Heldin weiter leben dürfen im Diesseits. Das ist Pietrangelis großes Thema: "Sie", die so viele "gut kannten", geht ein an der gesellschaftlichen Doppelmoral. Die Herrenwelt von Il magnifico cornuto (1964) wird verrückt, weil ihre Frauen sich genauso untreu verhalten wollen wie sie - oder sind das nur die Alpträume ihrer schuldigen Seelen? Die junge Frau im Zentrum von La parmigiana (1963) scheint von Mann zu Mann zu treiben, während in Come, quando, perché das allseitige Fremdgehen längst zum Gesellschaftsspiel geworden ist, bei dem sich alle langweilen und keine größere Katastrophe vorstellbar ist als die wahre Liebe. Oder vielleicht doch: die Einsamkeit des ewigen Junggesellen, dargeboten von Alberto Sordi in Lo scapolo (1955). Nur wenige andere wussten auf solch bestürzende Weise von der Geworfenheit des Menschen zu berichten wie Antonio Pietrangeli - in populärem Tonfall, liebevoll und ungemein zärtlich. Komödie und Drama sehen bei ihm stets aus wie ein einziges Ding. |
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Informationen: http://www.filmmuseum.at |
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