Bundesheerdebatte  

 

erstellt am
07. 01. 13

Wien - Knapp drei Wochen vor der Volksbefragung (am 20. Jänner 2013), an der übrigens laut Innenministerium insgesamt 6,379.511 Österreicherinnen und Österreicher stimmberechtigt sein werden, versuchen SPÖ und ÖVP mit allen Kräften, die Wahlberechtigten auf ihre Seite zu ziehen. Während die SPÖ für die Abschaffung der Allgemeinen Wehrpflicht eintritt, besteht die ÖVP auf deren Beibehaltung.
Ende vergangener Woche rief Verteidigungsminister Norbert Darabos (SPÖ) zu einer Pressekonferenz und erklärte, die allgemeine Wehrpflicht sei mit einer Naturalsteuer für Österreichs junge Männer gleichzusetzen. Sie koste jeden Wehrpflichtigen 77.500 Euro. Darüber hinaus verursache sie großen volkswirtschaftlichen Schaden: Im Jahr 2011 seien der Republik durch die Wehrpflicht 300 Millionen Euro an Wertschöpfung entgangen.
Das ist das Ergebnis einer Studie von Universitätsprofessorin Gudrun Biffl, die am 03.01. gemeinsam mit Verteidigungsminister Norbert Darabos präsentiert wurde. "Das Wehrpflicht-System ist also nur scheinbar billig", so der Verteidigungsminister.
Die hohen volkswirtschaftlichen Kosten - 300 Millionen Euro im Jahr 2011 - ergeben sich laut Biffls Studie aus dem ineffizienten Einsatz von Arbeitskräften, dem späteren Einstieg ins zivile Berufsleben und aus verpassten Qualifikations- und Weiterbildungschancen. "Ohne die Wehrpflicht wäre das Wirtschaftswachstum um 0,25 Prozent im Jahr höher", betonte Studienautorin Biffl. Und weiter: "Ein Wehrdienst ist in Entwicklungsländern sinnvoll. In hoch entwickelten Ländern wie Österreich ist er mit hohen Kosten verbunden."
Vergleicht man die Einkommensentwicklung von jungen Männern, die einen Grundwehrdienst abgeleistet haben mit jenen, die dies nicht gemacht haben über einen Zeitraum von zehn Jahren, zeigt sich, dass die ehemaligen Grundwehrdiener um fünf Prozent weniger verdienen. Damit nicht genug: "In der Folge gibt es Nachwehen über den gesamten Lebenszeitraum", so Biffl. Sie sieht in der Unterbrechung des Bildungsweges durch den Wehrdienst einen "Nachteil für die Qualifikationsstruktur Österreichs. Durch den Wehrdienst sinkt die Motivation sich weiterzubilden."
"Die Wehrpflicht erzeugt beim Bundesheer enormen finanziellen Aufwand, bedeutet hohe Kosten für jeden Einzelnen und schadet der Volkswirtschaft", fasste der Minister das Ergebnis der Studie zusammen. Der Grundwehrdienst verschlingt jährlich 200 Millionen Euro aus dem Heeresbudget. Darüber hinaus bindet die Ausbildung der Rekruten sowie die Einberufungs- und Musterungsbürokratie Personal.
Zusätzlich ist mit dem System der allgemeinen Wehrpflicht ein weiteres Problem verbunden. Durch geburtenschwache Jahrgänge wird das Bundesheer bereits 2015 zu wenige Grundwehrdiener haben. Dann wird zum ersten Mal die notwendige Mindestzahl von 21.800 unterschritten. "Uns gehen die jungen Männer aus. Wenn wir das Bundesheer nicht auf diesen Mangel vorbereiten, fährt das System an die Wand", sagte Darabos. Dies gelte auch für das Gesundheits- und Sozialsystem, das stark vom Zivildienst abhängig sei, so der Minister.

ÖVP-Bundesparteiobmann Michael Spindelegger erklärte tags darauf bei der ersten gemeinsamen Pressekonferenz mit dem Personenkomitee "Einsatz für Österreich", das Bundesheer und der Zivildienst seien die "Sicherheits- und Solidaritätsschule der Republik". Den zahlreichen Unterstützern des Pro-Wehrpflicht- Komitees, inzwischen mehr als 20.000, dankt der Vizekanzler für ihr Engagement. "Die Zivilgesellschaft, die in diesem Personenkomitee vertreten ist, sagt: Wir wollen ein bewährtes System, das sich über viele Jahre entwickelt hat, beibehalten. Dies wird mit guten Argumenten über Parteigrenzen hinweg untermauert", betont Spindelegger, für die Beibehaltung von Wehrpflicht, Zivildienst und Katastrophenschutz geworben hat.
"Am 20. Jänner geht es um eine gesellschaftspolitisch wichtige Frage für Österreich", so Spindelegger, "eine Grundsatzentscheidung. Jeden kann es treffen. Jeder Österreicher kann unverschuldet oder unvorbereitet auf Hilfe angewiesen sein. Dann muss diese Hilfe auch vorhanden sein, Experimente helfen dann niemandem." Spindelegger unterstützt die Initiative "Einsatz für Österreich" als Bundesparteiobmann der ÖVP voll und ganz. Beim Bundesheer könne man sich darauf verlassen, dass junge Männer lernen, was es heißt, Landesverteidigung auszuüben. "Egal ob Hilfe bei Katastrophen oder bei der Verteidigung von Österreich - darauf wird man vorbereitet. Es sind daher sechs wichtige Monate für Österreich", erklärt Spindelegger, der auch die Wichtigkeit des Zivildienstes unterstreicht: "Sei es im Rettungswesen, in der Pflege oder als Gedenkdiener - hier wird ein unverzichtbarer Beitrag für andere Menschen geleistet. Beides, Präsenz- und Zivildienst, darf nicht aus tagespolitischer Beliebigkeit einfach über Bord geworfen werden."
Der ÖVP-Chef spricht sich dafür aus, dass der Präsenzdienst eine sinnerfüllte und erlebnisreiche Zeit ist. Bei der Umsetzung werden viele Reformanstrengungen notwendig sein: "Dazu braucht es einen Verteidigungsminister, der Hand anlegt. In sechs Jahren Darabos ist der Grundwehrdienst nicht reformiert worden, obwohl die Vorschläge seit Langem auf dem Tisch liegen." Als zuständiger Verteidigungsminister sei es die Aufgabe von Darabos, in jedem Fall für eine Reform zu sorgen. "Damit die Zeit, die die jungen Männer hier investieren, sinnvoll genutzt wird. Es braucht einen Wehrdienst ohne Leerläufe. Das kann organisiert werden." Spindelegger abschließend: "Beim Bundesheer lernt man Integration und wie mit anderen umgegangen wird. Wie man füreinander einsteht und gemeinsam an einem Strang zieht, um etwas zu erreichen. Dieses bewährte System, das bisher alle gestellten Aufgaben voll und ganz erfüllt hat, möchte ich auch in Zukunft nicht missen. Denn niemand kann innerhalb von wenigen Jahren ein neues Bundesheer aufbauen. Ich will auch weiterhin ein Bundesheer, das aus dem Volk kommt und für das Volk arbeitet."

FPÖ-Bundesparteiobmann HC Strache findet, wie er sagt, "die Absetzbewegung innerhalb der SPÖ beim Thema Wehrpflicht" hochinteressant. Selbst der Wiener SPÖ-Bürgermeister Häupl wolle heute nichts mehr davon wissen, dass gerade er die ganze Debatte 2010 vor den Landtagswahlen angezettelt habe, um seine davonschwimmenden Felle zu retten, was ihm allerdings nichts genutzt habe. Im ORF-Mittagsjournal vom 05.01. sei er geradezu empört gewesen, daran erinnert zu werden, dass er die Diskussion mutwillig losgetreten habe.
Die FPÖ habe jedenfalls immer eine klare Linie pro Wehrpflicht verfolgt, betonte Strache. Ein Berufsheer wäre viel teurer als die Wehrpflicht, Hilfe bei Naturkatastrophen wäre nicht mehr gesichert, der Ausfall der Zivildiener bedrohe die Rettungs- und Hilfsorganisationen. Die Einführung eines Berufsheers wäre außerdem ein weiterer Schritt weg von der Neutralität und die Eintrittskarte in die NATO. Die Neutralität habe Österreich in schwierigen Zeiten viel Sicherheit gegeben. So solle es auch bleiben. "Wir wollen nicht in internationale Konflikte hineingezogen werden, sondern die Tradition des Vermittelns beleben", erklärte Strache. "Die neutrale Schweiz hat alle Konflikte und Kriege in Europa gut überstanden. Das sollte uns Vorbild sein."
Natürlich müsse das Bundesheer reformiert werden. Aber gerade das habe Darabos völlig verabsäumt, warf Strache dem Verteidigungsminister vor. Stattdessen habe er sich von Häupl vor sich hertreiben lassen, der ihn jetzt fallen lasse wie eine heiße Kartoffel.

BZÖ-Bündniskoordinator Markus Fauland rief angesichts des "herrschenden SPÖ-ÖVP-Kasperltheaters rund um die Wehrpflicht" "zum Boykott der Wehrpflicht Volksbefragung auf. SPÖ und ÖVP missbrauchen hier nur aus parteitaktischen Grünen dieses positive Instrument der direkten Demokratie. Denn die Bevölkerung wurde nicht einmal informiert, welche Folgen die eine oder andere Entscheidung für das Land und die Menschen hat. Damit haben die Bürger nur die Entscheidung zwischen Pest und Cholera und wissen nicht, was sie am Ende bekommen". Die Regierung habe bislang kein Sicherheitskonzept vorgelegt, trotzdem werde abgestimmt. Die SPÖ hat ein halbfertiges Modell, die ÖVP überhaupt keines. Das BZÖ habe ein Abstimmungsbuch, wie es etwa in der Schweiz erstellt wurde, beantragt. Die Regierung habe das abgelehnt,. Die Volksbefragung zur Wehrpflicht sei lediglich ein Ablenkungsmanöver, dessen Inhalt die Menschen derzeit gar nicht interessiere.
"Österreich hat beispielsweise mit der hohen Arbeitslosigkeit und Milliardenspekulationen andere aktuelle Probleme. Der einzige Druck für die Abhaltung der Volksbefragung kommt aus Niederösterreich, weil Erwin Pröll Landtagswahlen zu schlagen hat und vom rot-schwarzen Regierungsversagen auf Bundesebene ablenken möchte."
Fauland verwies in diesem Zusammenhang auf folgende Aussage von Ex-SP-Finanzminister und Initiator des Pro-Berufsheer-Komitees "Unser Heer", Hannes Androsch: "Problem der Befragung ist, dass die Österreicher die Katze im Sack kaufen sollen." Auch Ex-VP-Bundeskanzler Schüssel habe die Volksbefragung als "absurd und beschämend" bezeichnet.

Peter Pilz, Sicherheitssprecher der Grünen, sagte, Wehrpflicht und Eurofighter seien die beiden Symbole für das alte Bundesheer, das nur noch zwei brauchen würden: die Rüstungsfirmen und die alten Generäle. Am 20. Jänner werde genau darüber abgestimmt: ob das alte Heer bleibt oder eine große Reform beginnt.
"Für die alten Generäle geht es um viel: um Präsenzdiener, die man herumkommandiert und von denen man sich bedienen lassen kann und für Rüstungsgeschäfte, bei denen man sich selbst bedient", meint Pilz. "Am 20 Jänner geht es um eine doppelte Verschwendung: um die Verschwendung von Lebensjahren und von Steuermilliarden."
Für Pilz ist es kein Zufall, dass ÖVP und FPÖ für das alte Heer eintreten. "Das sind die beiden Eurofighter-Parteien. Wehrpflicht und Korruption sind in Österreich schwarz-blau," schließt Pilz.

Vom Team Stronach war keine aktuelle Stellungnahme verfügbar.

 

 

 

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