Iva Brezinova gelang es, mit Hilfe der Chaostheorie das Verhalten von ultrakalten Bose-Einstein-Kondensaten
zu erklären. Dafür erhält sie den Hannspeter-Winter-Preis der TU Wien.
Wien (tu) - Es ist wohl der exotischste aller Materiezustände: Bei extrem niedrigen Temperaturen, knapp
über dem absoluten Nullpunkt, können Atome zu einem Bose-Einstein-Kondensat zusammenfrieren. Sie befinden
sich dann gemeinsam im gleichen Energiezustand und bewegen sich im Gleichtakt – ein Effekt der beispielsweise auch
für die Supraleitung verantwortlich ist. Dass bei der Bewegung von Bose-Einstein-Kondensaten die Chaostheorie
eine wichtige Rolle spielt, hatte man nicht vermutet. Iva Brezinova vom Institut für Theoretische Physik der
TU Wien verknüpfte in ihren Computersimulationen allerdings Quantenphysik und Chaostheorie um den Rätseln
des Bose-Einstein-Kondensats auf den Grund zu gehen. Sie bekommt dafür am 25.01. den Hannspeter-Winter-Preis
der TU Wien.
Ultrakalte Quanten-Wellen
In der Quantenphysik wird jedes Teilchen als Welle beschrieben. Je niedriger die Temperatur ist, umso langsamer
bewegen sich die Teilchen und umso größer wird die Wellenlänge. Knapp über dem absoluten Nullpunkt
übersteigt die Länge der Teilchenwellen den durchschnittlichen Abstand zwischen zwei Teilchen – die Wellen
überlappen, ein Bose-Einstein-Kondensat entsteht. Die einzelnen Teilchen verlieren ihre Individualität,
sie können nicht mehr getrennt voneinander betrachtet werden und vereinen sich zu einem einzigen großen
Quantenobjekt. Das Bose-Einstein-Kondensat kann eine Größe von mehreren Mikrometern haben – in quantenphysikalischen
Maßstäben betrachtet sind das gigantische Ausmaße.
Das Chaos in den Wellen
„Eigentlich ist das Bose-Einstein-Kondensat der geordnetste Zustand, den man sich vorstellen kann“, sagt Iva Brezinova.
„Und trotzdem zeigt sich in unseren Berechnungen, dass Chaos wichtige Hinweise über den Zustand des Kondensats
geben kann.“ In Computersimulationen lässt sich nämlich berechnen, wie die Quanten-Wellen des Bose-Einstein-Kondensats
durch winzige Unregelmäßigkeiten der Umgebung beeinflusst werden.
Bereits kleinste Störungen – etwa unregelmäßige elektromagnetische Felder – können die Bewegung
der Quanten-Welle dramatisch verändern. „Zwei Quanten-Wellen, die zu Beginn fast völlig gleich aussehen,
entwickeln sich chaotisch auf ganz unterschiedliche Weise, und nach einer gewissen Zeit ergeben sich völlig
unterschiedliche End-Zustände“, erklärt Brezinova. Genau das ist das entscheidende Kennzeichen chaotischen
Verhaltens: Winzige Unterschiede in den Anfangsbedingungen können riesige Auswirkungen haben und zu völlig
unterschiedlichen Endzuständen führen. Ein bekanntes Beispiel dafür ist der Schmetterlingseffekt:
Die kaum wahrnehmbaren Änderungen der Luftströmung, die der Flug eines Schmetterlings verursacht, können
theoretisch den Verlauf des Wetters drastisch verändern, und letzten Endes vielleicht sogar darüber entscheiden,
ob ein Wirbelsturm entsteht oder nicht.
Chaos dampft Atome fort
Das chaotische Verhalten der Quanten-Wellen hat eine wichtige Bedeutung für die Stabilität des Bose-Einstein-Kondensats:
„Ein wesentliches Problem bei Experimenten entsteht, wenn die Atome aufhören sich im Gleichtakt zu bewegen.
Das passiert genau dann, wenn einzelne Atome des Kondensats plötzlich mehr Energie bekommen, aus dem gemeinsamen
Quanten-Zustand ausbrechen und das Kondensat verlassen“, sagt Iva Brezinova. „Unsere Berechnungen zeigen, dass
dieser Effekt dann eine wichtige Rolle spielt, wenn sich die Quanten-Welle des Bose-Einstein-Kondensats chaotisch
verhält.“
Hannspeter-Winter-Preis für herausragende Dissertation
Jedes Jahr wird der Hannspeter-Winter-Preis an eine Absolventin des Doktoratsstudiums der TU Wien vergeben. Er
ist mit € 10.000 dotiert und wird gemeinsam von der TU Wien und der BA/CA-Stiftung finanziert. Der Forschungspreis
wurde im Gedenken an TU-Professor Hannspeter Winter gestiftet, der sich stets für die Förderung von Nachwuchswissenschaftlerinnen
eingesetzt hat. Iva Brezinova verfasste ihre Dissertation unter Anleitung von Prof. Joachim Burgdörfer am
Institut für Theoretische Physik der TU Wien. Sie promovierte am 8. Juni 2012 sub auspiciis, in Anwesenheit
von Bundespräsident Heinz Fischer.
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