Welche Gene in einer Zelle aktiv sind, wird von tausenden Regulations-Abschnitten auf der DNA
gesteuert. Wissenschaftler am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien entwickelten eine
Methode, die diese Abschnitte effizient und vollständig aufspürt und deren Aktivität misst. Die
Zeitschrift Science stellt die neue Technologie vor.
Wien (idw) - Der genetische Code ist ein Alphabet aus vier Buchstaben, deren Reihenfolge die Information
für die Entwicklung und Funktion eines gesamten Organismus enthält. Die Anleitung für die Proteine
als Bausteine des Lebens ist in den Genen kodiert. Doch nur ein Bruchteil der DNA einer Zelle besteht aus Genen,
beim Menschen sind es etwa zwei Prozent. Der Rest ist nicht-kodierende DNA, die früher abwertend als Schrott
bezeichnet wurde. Zutreffender ist da schon der Begriff „dark matter“, dunkle Materie, und so langsam kommt Licht
in diesen Bereich unserer Erbsubstanz.
Die nicht-kodierenden Abschnitte auf der DNA sind keineswegs nur Müll. Unter anderem enthalten sie Bereiche,
die die Aktivität von Genen regulieren. Da jede Zelle des Körpers eine identische Kopie der Erbinformation
enthält, sorgen sogenannte „Enhancer“ (Verstärker) dafür, dass Gene nur zum jeweils passenden Zeitpunkt
und im entsprechenden Gewebe aktiv sind: das Hämoglobin-Gen etwa in den Vorläuferzellen der roten Blutkörperchen,
Gene für Verdauungsenzyme im Magen. Ist diese exakt abgestimmte zeitliche und örtliche Regulation gestört,
so können falsche Gene aktiviert werden und den Zellen unerwünschte Eigenschaften verleihen, bis hin
zur Entartung in Krebszellen.
Trotz der enormen Bedeutung der regulierenden DNA-Abschnitte war es bisher nur sehr eingeschränkt möglich,
diese im gesamten Genom zu studieren. Es standen lediglich indirekte Methoden zur Identifizierung solcher Abschnitte
zur Verfügung, die überdies anfällig für Fehler waren.
Wissenschaftler um Alexander Stark am Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie in Wien konnten diese Lücke
nun schließen. Unterstützt vom Europäischen Forschungsrat ERC entwickelten sie eine neue Technologie
namens „STARR-seq“ (self-transcribing active regulatory region sequencing), die sie in der Zeitschrift Science
vorstellen.*) Die Methode erlaubt es, Enhancer-Sequenzen in der DNA nicht nur vollständig und rasch aufzuspüren,
sondern gleichzeitig auch ihre jeweilige Aktivität quantitativ zu bestimmen, das heißt starke von schwachen
Enhancern zu unterscheiden.
Der Doktorand Cosmas Arnold hat die neue Technologie maßgeblich entwickelt und mit Hilfe des Bioinformatikers
Daniel Gerlach auf Zell-Linien von Taufliegen angewendet. Dabei gewannen die Forscher bereits einige überraschende
Erkenntnisse: Starke Enhancer wurden sowohl für sogenannte Haushaltsgene gefunden, die in jeder Zellen aktiv
sind, wie auch für regulierte Gene, die für den jeweiligen Zelltyp spezifisch sind. Und erstmals konnte
mit der Methode gezeigt werden, dass so gut wie alle Gene von mehreren Enhancern reguliert werden – eine Redundanz,
die die Forscher als eine Art Sicherheitsnetz der Zelle interpretieren, das die Steuerung robuster macht.
Die neue Methode kombiniert die enorme Leistungsfähigkeit moderner Sequenziergeräte mit dem spezialisierten
Know-how der Bioinformatiker am IMP. Für Alexander Stark ist sie ein äußerst wertvolles Werkzeug,
von dem er sich viel verspricht: „Wir nutzen STARR-seq wie eine Art magisches Mikroskop, das die regulatorischen
DNA-Abschnitte des Genoms sichtbar und zugänglich macht. Nun können wir erstmals flächendeckend
untersuchen, wie Gene reguliert werden und wie diese Regulation im Genom verankert ist“.
Neben der Genregulation im Lauf der normalen Entwicklung interessiert die IMP-Forscher auch, auf welche Weise fehlgeleitete
Steuerung zu Erkrankungen bis hin zu Krebs führt. Gerade Mutationen in nicht-kodierenden DNA-Abschnitten haben
sich bisher einer Analyse weitgehend entzogen, können aber weitreichende Folgen haben.
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*) Die Arbeit „STARR-seq Reports Genome-Wide Quantitative Enhancer Activity Maps Revealing Complex cis-Regulation
of Transcription“ von Cosmas Arnold et al. erscheint am 17.1.2013 online in Science Express.
Über Alexander Stark
Alexander Stark wurde 1974 in Bietigheim-Bissingen geboren. Er studierte Biochemie in Tübingen und dissertierte
am EMBL in Heidelberg. An das Doktorat in Bioinformatik schloss er einen dreijährigen Forschungsaufenthalt
am Broad Institute von MIT und Harvard an. Seit 2008 ist Stark Gruppenleiter am IMP in Wien. Im Jahr 2009
erkannte ihm der Europäische Forschungsrat ERC einen „Starting Grant“ über 1,8 Millionen Euro zu.
Über das IMP
Das Forschungsinstitut für Molekulare Pathologie betreibt in Wien biomedizinische Grundlagenforschung
und wird dabei maßgeblich von Boehringer Ingelheim unterstützt. Mehr als 200 ForscherInnen aus
über 30 Nationen widmen sich der Aufklärung grundlegender molekularer und zellulärer Vorgänge,
um komplexe biologische Phänomene im Detail zu verstehen und Krankheitsmechanismen zu entschlüsseln.
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