Prammer: Superwahlsonntag würde Parlamentarismus stärken
Wien (pk) - Um das Verhältnis zwischen Politik und Recht auf der einen Seite und den Austausch zwischen
Rechts- und Politikwissenschaft auf der anderen Seite ging es am 17.01. bei einer Podiumsdiskussion im Parlament.
Auf Einladung von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer, dem Institut für Staatswissenschaften der
Universität Wien und der Österreichischen Gesellschaft für Politikwissenschaft diskutierte ein witterungsbedingt
reduziertes Podium unter der Moderation von Stefan Gschiegl unter anderem über die Besonderheiten des österreichischen
Verfassungsrechts und die Entwicklung des Wahlrechts in Österreich. Dabei kamen auch aktuelle politische Fragen
wie die Wehrpflicht-Volksbefragung zur Sprache.
Nationalratspräsidentin Prammer warb im Rahmen der Publikumsdiskussion erneut für den so genannten "Superwahlsonntag".
Ihrer Meinung nach würde es den Parlamentarismus stärken, wenn es aufgrund fixer Wahltermine de facto
nur noch in Ausnahmefällen möglich wäre, den Nationalrat vorzeitig aufzulösen. Scheitere eine
Regierung, müssten eben neue Mehrheiten im Parlament gesucht werden, meinte sie. Diesem Gedanken konnte auch
der Politikwissenschaftler Karl Ucakar viel abgewinnen, er bedauerte generell, dass in Österreich Minderheitsregierungen
verpönt seien. Nach Meinung des Verfassungsexperten Theo Öhlinger könnte es auch die Legitimität
der ParlamentarierInnen erhöhen, wenn das Parlament nicht auflösbar ist.
Allerdings gab es zu dieser Frage auch kritische Stimmen aus dem Publikum. So erinnerte ein Diskutant an die denkwürdige
Nationalratssitzung 2008 kurz vor den letzten Wahlen, bei der, wie er formulierte, "in freier Mehrheitsbildung
3,5 Mrd. € verteilt wurden".
Ucakar: Mehrheitswahlrecht widerspricht parlamentarischer Demokratie
Was das Wahlsystem allgemein betrifft, brach Ucakar eine Lanze für das Verhältniswahlrecht. Verfechter
des Mehrheitswahlrechts hätten vorrangig das Ziel, regierungsfähige Parlamente zu schaffen, es sei aber
fraglich, inwieweit ein "Regierungswahlrecht" mit dem System der parlamentarischen Demokratie vereinbar
sei, argumentierte er. Schließlich sei es nicht Sinn der parlamentarischen Demokratie, dass Regierungen gewählt
werden. Dass das Verhältniswahlrecht dazu führen könne, "dass seltsame Menschen ins Parlament
einziehen", spricht nach Ansicht von Ucakar nicht gegen das System, "da muss man durch".
Skeptisch äußerte sich der Politikwissenschaftler auch zu diversen Modellen eines mehrheitsfördernden
Verhältniswahlrechts. In Griechenland, wo es ein solches Wahlsystem gebe, sei es nicht gelungen, die "Verwerfungen
des Parteiensystems" zu beseitigen, gab er zu bedenken. Auch von einem Wahlsystem, das die WählerInnen
in 100 Einerwahlkreisen dazu zwingen würde, eine Person anstelle einer Partei zu wählen, hält er
nichts.
Zur aktuellen Wehrpflicht-Volksbefragung merkte Ucakar an, er erachte es generell als Problem, dass eine solche
Volksbefragung rechtlich gesehen unverbindlich sei und das Parlament etwas ganz anderes beschließen könne
als das, wofür das Volk stimme. Die Zusicherung der Regierungsparteien, das Ergebnis umzusetzen ist für
ihn keine Lösung, noch dazu wo diese Zusicherung dem Geist der Verfassung widerspreche.
Öhlinger: Österreich hat ungeschriebene Verfassung
Verfassungsexperte Theo Öhlinger befasste sich insbesondere mit dem Verhältnis zwischen Politik und Verfassungsrecht
und stellte die zugespitzte These in den Raum, dass Österreich neben Großbritannien das einzige europäische
Land sei, das eine ungeschriebene Verfassung habe. Gleichzeitig gebe es einen ungeheuren Bestand an Verfassungsbestimmungen,
meinte er.
Als Ursache für diese Entwicklung ortet Öhlinger den Umstand, dass die Regierungskoalition jahrzehntelang
über eine Zweidrittelmehrheit verfügte und diese dazu nutzte, Verfassungsbestimmungen aller Art in einfachen
Gesetzen zu verankern. Dieser "Beliebigkeit des Verfassungsrechts" habe der Verfassungsgerichtshof schließlich
einen Riegel vorgeschoben, indem er bestimmte Prinzipien wie den Vertrauensschutz formulierte und darauf basierend
eine verfassungsrechtliche Grundordnung festlegte.
Öhlinger erinnerte daran, dass einige vom Verfassungsgerichtshof in den 80er- und 90er-Jahren getroffenen
Entscheidungen heftig umstritten waren und zu einer Diskussion über die Legitimität des Verfassungsgerichtshofs
führten. Mittlerweile sehen die ÖsterreicherInnen im VfGH seiner Ansicht nach aber eher einen Garanten
der persönlichen Freiheit und eine Institution, die die rechtsstaatliche Demokratie schütze, und nicht
eine Institution, die demokratische Entscheidungen in einer fragwürdigen Weise korrigiere. Diese nunmehr grundsätzlich
positive Bewertung des Verfassungsgerichtshofs wurde auch vom Rechtswissenschaftler Manfried Welan begrüßt.
Welan: Verwaltung hat dominierenden Einfluss auf Gesetzgebung
Welan, der selbst einige Jahre in der Wiener Landespolitik aktiv war, vertrat die Auffassung, dass in Österreich
nicht nur die Politik, sondern in sehr starkem Ausmaß auch die Verwaltung und die Gerichte Recht erzeugen.
Durch die Anwendung und Interpretation von Gesetzen seien Behörden und RichterInnen auch rechtssetzend und
politisch tätig, betonte er. Zudem werde die heimische Gesetzgebung dominant von der Verwaltung bestimmt.
Auch der von ihm konstatierte Umstand, dass sich aufgrund von (internationalen) Verträgen immer mehr Recht
ohne Staat durchsetzt, führt seiner Ansicht nach dazu, dass sich Österreich immer stärker von einem
Gesetzesstaat zu einem Richterstaat entwickelt.
Prammer: Politik und Recht sind in vieler Weise verschränkt
In ihren Begrüßungsworten zur Podiumsdiskussion hatte Nationalratspräsidentin Barbara Prammer darauf
verwiesen, dass Politik und Recht in vieler Weise verschränkt seien. Zum einen setze das Recht – etwa das
Verfassungs- und das Haushaltsrecht – den Rahmen für die Politik, zum anderen sei Recht gleichzeitig ein Produkt
der Politik. So sei der Gesetzgeber etwa an bestimmte Verfassungsprinzipien wie die verfassungsgesetzlich gewährleisteten
Grundrechte gebunden.
Zum zweiten Aspekt der heutigen Podiumsdiskussion hielt Prammer fest, Politikwissenschaft und Rechtswissenschaft
gingen mit unterschiedlichen Fragestellungen und eigenständigen Methoden an das System der rechtsstaatlichen
Demokratie heran. Für PolitologInnen sei die spezifische Logik der juristischen Argumentation nicht immer
leicht nachzuvollziehen, sie unterschätzten daher oft den Stellenwert rechtlicher Institutionen und Verfahren,
stellte sie fest. Auf der anderen Seite tendierten JuristInnen dazu, die speziellen Handlungsbedingungen der Politik
und den kompromisshaften Charakter von Entscheidungen in ihren Analysen auszublenden. Die demokratische Gesetzgebung
funktioniere allerdings nicht nach den von JuristInnen angelegten Maßstäben.
Publikation "Politik und Recht. Spannungsfelder der Gesellschaft"
Im Rahmen der Veranstaltung wurde auch die von Tamara Ehs, Stefan Gschiegl, Karl Ucakar und Manfried Welan herausgegebene
Publikation "Politik und Recht. Spannungsfelder der Gesellschaft" vorgestellt. Das 454 Seiten starke
Buch enthält unter anderem Beiträge von Maria Berger, Erwin Buchinger, Bernd-Christian Funk, Heinrich
Neisser, Anton Pelinka und Margit Schratzenstaller und ist im Verlag Facultas erschienen. Neben Nationalratspräsidentin
Barbara Prammer verfasste auch Bundespräsident Heinz Fischer ein Vorwort.
Dass das Podium heute rein männlich besetzt war, hatte vor allem wettertechnische Gründe: Nele Nösselt,
wissenschaftliche Mitarbeiterin am GIGA-Institut für Asien-Studien in Hamburg, wurde durch die witterungsbedingte
Sperre des Flughafens Wien aufgehalten. Bereits zuvor musste die Politikwissenschaftlerin Tamara Ehs ihre Teilnahme
an der Podiumsdiskussion wegen einer Erkrankung absagen.
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