Mit Atom-Chips auf der Suche nach ganz besonderen Quanten-Zuständen: TU-Physiker Jörg
Schmiedmayer wird mit einem ERC-Advanced Grant ausgezeichnet.
Wien (tu) - Mit seinen Forschungen an speziellen Quantenzuständen zwischen Ordnung und Unordnung hat
Prof. Jörg Schmiedmayer bereits viel Aufsehen erregt: Ultrakalte Atomwolken mit einem hohen Grad an Ordnung
streben mit der Zeit in ein ungeordnetes Temperatur-Gleichgewicht. Auf dem Weg dorthin nehmen sie aber einen erstaunlich
stabilen Zwischenzustand ein. Mit einem ERC Advanced Grant des European Research Council, einem der begehrtesten
europäischen Förderpreise, kann er diesem Geheimnis und anderen Nicht-Gleichgewichts-Phänomenen
in Quanten-Vielteilchensystemen nun auf den Grund gehen.
Wie schmelzen Quanten?
Übergänge in ein thermisches Gleichgewicht erleben wir jeden Tag – etwa wenn ein Eiszapfen sich der warmen
Umgebungstemperatur anpasst und schmilzt. Dabei nimmt die Entropie (ein Maß für die Unordnung im System)
zu, und dem System geht Information verloren. Auch die ultrakalten Bose-Einstein-Kondensate, die am Vienna Center
for Quantum Science and Technology, (VCQ) bzw. am Atominstitut der TU Wien untersucht werden, streben in ein thermisches
Gleichgewicht. Sie wechseln dabei von einem Zustand, der nur quantenphysikalisch beschrieben werden kann, in einen
Zustand, in dem die Quanten-Eigenschaften der Teilchen keine große Rolle mehr spielen. Dazwischen findet
sich allerdings ein überraschend stabiles Zwischenstadium – der sogenannte „prä-thermalisierte Zustand“.
„Die Ordnung im System nimmt zunächst rasch ab, bleibt dann aber im prä-thermalisierten Zustand praktisch
konstant“, erklärt Jörg Schmiedmayer. „Ein Teil der Quanteninformation ist dabei noch nachweisbar, die
Atom-Wolke hat noch nicht vergessen, dass sie aus einem extrem geordneten Bose-Einstein-Kondensat hervorgegangen
ist.“ Während der anfängliche Verlust an Quanten-Ordnung innerhalb weniger Millisekunden stattfindet,
bleibt der prä-thermalisierte Zustand danach über mehr als eine Zehntelsekunde erstaunlich stabil.
Der Urknall und der Quantencomputer
Schmiedmayer hält dieses Auftreten eines Zwischenzustands zwischen quantenphysikalischer Ordnung und klassischer
Unordnung für ein sehr allgemeines Phänomen, das auch in anderen Systemen zu finden sein sollte. „Prä-thermalisierte
Zustände werden in Schwerionenkollisionen bei extrem hohen Energien (etwa am LHC, CERN) vermutet und es könnte
sein, dass auch die kosmische Hintergrundstrahlung einem prä-thermalisierten Zustand entstammt, den das Universum
kurz nach dem Urknall einnahm“, erklärt Schmiedmayer. In der Quantenphysik könnte der prä-thermalisierte
Zustand für viele Anwendungen interessant sein. Will man etwa Daten in einem Quanten-Computer speichern oder
Berechnungen durchführen, erzeugt man zwangsläufig einen Ungleichgewichts-Zustand, der in ein thermisches
Gleichgewicht strebt und damit zerstört wird.
Große Auszeichnung des Europäischen Forschungsrates
Für seine Forschungen erhielt Schmiedmayer nun einen der begehrtesten und prestigeträchtigsten Förderpreise
der europäischen Forschungslandschaft, den ERC Advanced Grant des European Research Council. Mit rund zwei
Millionen Euro wird er in den nächsten fünf Jahren weitere Experimente zu Relaxation und Nicht-Gleichgewichtsdynamik
in Quanten Systemen durchführen können. „Wir wollen mit unseren Experimenten dazu beitragen, dass eine
einheitliche, grundlegende Theorie für nichtgleichgewichts-Systeme gefunden wird, die auf ganz unterschiedliche
Quanten-Systeme angewandt werden kann“, hofft Schmiedmayer.
Jörg Schmiedmayer forscht seit 2006 am Atominstitut der TU Wien, wo er bereits seine Doktorarbeit schrieb.
Dazwischen führte ihn seine berufliche Laufbahn rund um die Welt: Schmiedmayer arbeitete als Postdoc in Harvard
und am MIT (Cambridge, USA), ging dann nach Innsbruck und später als Professor für Experimentalphysik
an die Universität Heidelberg. Als Gastprofessor war er unter anderem auch an der Universität Beijing
(China) und am National Institut for Informatics (NII) in Tokyo tätig. Schmiedmayer wurde mit zahlreichen
Stipendien und Preisen ausgezeichnet – darunter auch der Wittgenstein-Preis des österreichischen Wissenschaftsfonds
FWF (2006).
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