Die Zukunft der EU darf nicht der Krise zum Opfer fallen – Kommission kann wirtschaftspolitische
Koordinierung verbessern, sagen die Abgeordneten
Brüssel (europarl) - Die EU-Länder dürfen die Wirtschaftskrise nicht zum Vorwand nehmen,
um in der Union eine Sparpolitik bis 2020 durchzusetzen, warnten die Abgeordneten in einer Debatte am 06.02. Die
EU brauche einen Haushalt, der flexibel genug ist, um auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren zu können,
und der aus neuen Quellen gespeist wird. Die Debatte mit Kommissionspräsident José Manuel Barroso und
der Vertreterin des irischen Ratsvorsitzes, Lucinda Creighton, fand kurz vor dem EU-Haushaltsgipfel statt.
Die Abgeordneten forderten die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Treffen am 7. und 8. Februar in Brüssel
dazu auf, sich auf einen Haushalt für 2014-2020 zu einigen, der umfassend genug ist, um die gemachten Versprechen
einzulösen, und flexibel genug, um Unvorhergesehenes zu bewältigen. Der langfristige EU-Haushalt kann
nicht ohne die Zustimmung des Parlaments verabschiedet werden.
Einige Abgeordnete warfen bestimmten Regierungen der EU-Länder vor, Einschnitte beim Haushaltsvorschlag der
Kommission zu verlangen, ohne auf die Konsequenzen zu achten.
"Alle Einschnitte führen zu weniger Innovation und nachhaltiger Entwicklung, weniger Forschung und höherer
Jugendarbeitslosigkeit. Das sind die Folgen der Haushaltskürzungen. Ist das verantwortliche Politik? Können
Sie das rechtfertigen?" fragte Rebecca Harms (Grüne/EFA, DE).
Mehr Flexibilität für unvorhersehbare Ereignisse
Der langfristige EU-Haushalt, auch bekannt als mehrjähriger Finanzrahmen (MFR) oder finanzielle Vorausschau,
begrenzt die EU-Ausgaben pro Jahr und Haushaltstitel über die gesamte Haushaltsperiode. Wenn das Parlament
und die Mitgliedstaaten die Jahreshaushalte verabschieden, müssen sie die MFR-Grenzwerte beachten. Viele Abgeordnete
drängten darauf, dass die EU nicht daran gehindert werden darf, ehrgeizigere Haushalte zu beschließen,
sobald die Wirtschaftskrise vorüber ist.
"Wir werden niemals einen Sparhaushalt akzeptieren, der über sieben Jahre läuft. Damit würden
wir ja behaupten, die Krise würde immer weiter gehen. So pessimistisch sind wir nicht", sagte der Vorsitzende
der EVP-Fraktion Joseph Daul (FR).
Verschiedene Abgeordnete forderten mehr Flexibilität, um Beträge zwischen Haushaltstiteln oder Jahren
zu verschieben, falls notwendig, sowie eine Halbzeitüberprüfung des MFR.
"Ich schlage eine 'Verfallsklausel' vor, die eine erneute Zustimmung des Parlaments nach drei Jahren zur Fortführung
des Haushalts über die verbleibenden vier Jahre erforderlich macht", so der Vorsitzende der Fraktion
der Liberalen, Guy Verhofstadt (BE).
Kein Zwang zum illegalen Defizit
Manche Abgeordnete äußerten sich besorgt über Vorschläge, die zur Entstehung einer großen
Lücke zwischen Haushaltsverpflichtungen (Mittel, die zur Finanzierung künftiger Maßnahmen im Haushalt
vorgesehen werden), und Zahlungen (jene Finanzmittel, die konkret zur Begleichung der Rechnungen dienen, die aus
den Verpflichtungen resultieren) führen würden.
Der Präsident des Europäischen Parlaments Martin Schulz unterstrich, dass er keinen Haushalt unterschreiben
würde, der ein Defizit zur Folge hätte. "Das werde ich nicht tun. Selbst, wenn das gesamte Parlament
es wollte, würde ich es nicht tun, denn es wäre illegal. Die EU-Verträge verpflichten uns zu einem
ausgeglichenen Haushalt".
Durch neue Einkommensquellen für die EU könnte der Druck auf nationale Haushalte nachlassen
Die Abgeordneten forderten die EU-Mitglieder auf, den Wettbewerb ihrer Finanzminister um Sonderausnahmen und die
höchsten Rabatte zu stoppen. Die Finanzierung des EU-Haushalts durch neue "Eigenmittel" anstatt
durch direkte Beiträge aus den nationalen Haushalten könnte diesen Wettlauf beenden, hoben sie hervor.
"Wir brauchen Eigenmittel, weil dieses beschämende Feilschen um Rabatte zwischen den EU-Mitgliedern aufhören
muss", sagte der Vorsitzende der S&D-Fraktion Hannes Swoboda.
Weniger aber bessere Ausgaben
Einige Abgeordnete unterstrichen, dass ein kleinerer aber reformierter Haushalt besser als der aktuelle funktionieren
könnte.
"Wir müssen aufhören, zu denken, dass nur ein größerer Haushalt die vielen Probleme in
Europa lösen wird", sagte Martin Callanan (UK) von der EKR-Fraktion. Er fügte hinzu, dass die Streichung
der Regel der Mitgliedstaaten, zwölf Plenarsitzungen in Straßburg abzuhalten, ein guter Anfang sein
könnte.
"Ich weiß dass die Kosten für den Unterhalt dieses Gebäudes ein Tropfen auf dem heißen
Stein sind, aber es würde unser Ansehen enorm verbessern, wenn wir dieses teure Relikt der Vergangenheit abschütteln
könnten", fügte er hinzu.
Der Gipfel ist der Anfang, nicht das Ende des Haushaltsverfahrens
"Eine Einigung im Europäischen Rat sollte nicht als vollendete Tatsache dargestellt werden. Es folgen
intensive Verhandlungen mit dem Parlament. Der Gipfel ist der Anfang, nicht das Ende des Verfahrens", sagte
Creighton.
Sie fügte abschließend hinzu, dass die Forderungen nach mehr Flexibilität, einer Halbzeitüberprüfung
und Eigenmittel für den Haushalt gehört wurden und in die Gipfeldebatte einfließen würden.
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Kommission kann wirtschaftspolitische Koordinierung verbessern, sagen die Abgeordneten
In einer am 07.02. verabschiedeten Resolution zum EU-Jahreswachstumsbericht der Kommission unterstreicht
das Parlament, dass in diesem Jahr viel mehr unternommen werden muss, um die Arbeitslosigkeit zu senken, die wirtschaftspolitische
Steuerung demokratischer zu gestalten und zu gewährleisten, dass Strukturreformen auch Wachstum bringen. Der
Bericht leitet das diesjährige Verfahren des Europäischen Semesters für die Koordinierung der Wirtschaftspolitik
zwischen den EU-Mitgliedern ein.
Das Parlament hat über drei Entschließungen abgestimmt, die von den Ausschüssen für Wirtschaft
und Währung, soziale Angelegenheiten und den Binnenmarkt verfasst wurden.
Viele Abgeordnete kritisierten, dass die Kommission ein so großes Gewicht auf sparpolitische Maßnahmen
legt. Elisa Ferreira (S&D, PT) aus dem Wirtschafts- und Währungsausschuss zog ihren Namen von der Entschließung
nach der Abstimmung zurück, da der Text ihrer Meinung nach die Auswirkungen der Sparpolitik auf Wachstum und
Beschäftigung nicht kritisch genug hervorhebt und den EU-Bürgern einen "Bärendienst erweist".
Die Resolution wurde mit 329 Stimmen verabschiedet, bei 271 Gegenstimmen und 13 Enthaltungen.
Obwohl weniger ausgeprägte Sparmaßnahmen besser gewesen wären, bietet sich "durch die wirtschaftliche
Situation in einigen Mitgliedstaaten allerdings keine Alternative im Hinblick auf die Wiedererlangung des Marktzugangs
und den Rückfluss von Renditen aus Investitionen", so der Text des Wirtschafts- und Währungsausschusses,
der die Intentionen der Kommission begrüßte.
Die Auswirkungen der Sparmaßnahmen berücksichtigen
In der Entschließung des Ausschusses für Beschäftigung und soziale Angelegenheiten, verfasst von
Veronica Lope Fontagné (EVP, ES), heben die Abgeordneten die Notwendigkeit hervor, die wahrscheinlichen
kurzfristigen Auswirkungen der Sparpolitik in den Ländern zu untersuchen, die sich in der Rezession befinden.
Der Text, angenommen mit 483 Stimmen, bei 104 Gegenstimmen und 20 Enthaltungen, fordert die Kommission dazu auf,
die Auswirkungen des Multiplikatoreffekts der Sparmaßnahmen auf das Wachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen
im Einklang mit den jüngsten Überarbeitungen des IWF neu zu definieren.
Mehr Spielraum einräumen
Beide Entschließungen weisen darauf hin, dass das jüngst verabschiedete Paket zur EU-Wirtschaftskoordination
("Six-Pack") EU-Mitgliedsstaaten Flexibilität einräumt, um ihnen in Phasen der Wirtschaftsflaute
mehr Spiel zu gewähren. Diese Flexibilität sollte öfter zur Anwendung kommen.
Zusätzliche Kriterien einbeziehen
Die Entschließungen führen auch Faktoren an, die aus Sicht des Parlaments eine wichtigere Rolle bei
der Semesterbewertung spielen sollten. Dazu zählen die Rolle des EU-Haushalts zur Ankurbelung von Wachstum
und wirtschaftlicher Konvergenz und die demokratische Verantwortlichkeit, die von jedem Akteur und bei jedem einzelnen
Schritt zu gewährleisten ist.
Binnenmarktkoordination
Die Binnenmarktsteuerung sollte ebenfalls Bestandteil des Semesters sein, fordert das Parlament in einer dritten
Entschließung, die von Andreas Schwab (EVP, DE) für den Binnenmarktausschuss vorbereitet und am Donnerstag
verabschiedet worden ist. Die Kommission sollte einen Semester-Jahresbericht zur Integration des Binnenmarktes
erstellen, der länderspezifische Empfehlungen enthält, heißt es in dem Text, der mit 527 Stimmen
verabschiedet wurde, bei 30 Gegenstimmen und 31 Enthaltungen.
Hintergrundinformationen
Der Jahreswachstumsbericht leitet das "Europäische Semester" ein, das Verfahren zur wirtschaftspolitischen
Koordinierung, mit dem gewährleistet werden soll, dass die EU-Mitglieder ihre Wirtschafts- und Haushaltspläne
im Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU und der Strategie Europa 2020 verankern. Der Bericht deckt die gesamte
EU ab, länderspezifische Empfehlungen werden später veröffentlicht.
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