Einigung mit Bundesländern über neues Gesetz - Vier-Augen-Prinzip in der Gefährdungsabklärung
und Hilfeplanung kommt - Bund unterstützt Finanzierung der Mehrkosten
Wien (bmwfj) - Familienminister Reinhold Mitterlehner hat sich mit den Bundesländern auf ein neues
und modernes Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetz geeinigt. "Nach fast fünf Jahren ist uns jetzt der
Durchbruch gelungen und haben auch die ausstehenden drei Länder Oberösterreich, Steiermark und Burgenland
grünes Licht für die Reform gegeben", betont Mitterlehner. "Wir setzen damit einen wichtigen
Schritt für einen besseren Schutz von Kindern und Jugendlichen. Mit dem neuen Gesetz können Fälle
von Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung besser bewältigt und weitere Eskalationen besser verhindert
werden. Vor allem das neue Vier-Augen-Prinzip in der Gefährdungs- und Hilfeplanung ist ein wesentlicher Fortschritt",
so Mitterlehner.
"Auf Basis des neuen Gesetzes können die Länder wesentliche qualitative Verbesserungen in der Jugendwohlfahrt
umsetzen", erläutert Mitterlehner. Der entsprechende Gesetzestext soll schon am 19. Februar 2013 in den
Ministerrat eingebracht werden. Kompetenzrechtlich ist der Bund in Angelegenheiten der Jugendwohlfahrt nur für
die Grundsatzgesetzgebung zuständig, die Länder für Ausführungsgesetzgebung und Vollziehung.
Laut Gesetzesentwurf beteiligt sich der Bund 2013 und 2014 mit jeweils 3,9 Millionen Euro (insgesamt 7,8 Millionen
Euro) an den Mehrkosten der Länder, die insbesondere durch die Einführung des Vier-Augen-Prinzips entstehen.
In den Folgejahren finden diese Mehraufwendungen in der Höhe der Zweckzuschüsse (also mit 3,9 Millionen
Euro jährlich) in der nächsten Finanzausgleichsperiode Berücksichtigung.
Neues Vier-Augen-Prinzip bei Gefährdungsabklärung und Hilfeplanung
Künftig müssen die Bundesländer erstmals ein Vier-Augen-Prinzip in der Gefährdungsabklärung
und Hilfeplanung verankern, um so die Entscheidungen der Jugendwohlfahrt in komplexen, unübersichtlichen oder
zweifelhaften Fallkonstruktionen zu verbessern. In der Praxis soll das Vier-Augen-Prinzip immer dann zur Anwendung
kommen, wenn dies im Hinblick auf den Kinderschutz erforderlich ist. Gerade in sehr komplexen Fällen, also
wenn es zum Beispiel widersprüchliche Aussagen innerhalb der Familie gibt, ist die Beurteilung durch zwei
Fachkräfte unerlässlich. Wenn jedoch die Sachlage offensichtlich ist, genügt die Beurteilung durch
eine Fachkraft. Wenn etwa Säuglinge oder Kleinkinder ohne Betreuungsperson im Haushalt allein gelassen werden,
liegt eine eindeutige Kindeswohlgefährdung vor: Zwei Fachkräfte können und werden hier keine zielgenauere
Einschätzung treffen können als eine Fachkraft.
Das neue Vier-Augen-Prinzip gilt auch in der Hilfeplanung - also wenn es um die konkrete Betreuung des Kindes nach
der Gefährdungsabklärung geht. Durch das Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte soll eine bestmögliche
Unterstützung für die betroffenen Familien gewährleistet sein. Die Abklärung und Hilfeplanung
muss in einer strukturierten Vorgangsweise ablaufen, die in den Ländern etwa durch Qualitätshandbücher,
Checklisten, Dienstanweisungen festgelegt ist.
Unabhängig von den neuen bundesweit gültigen Standards können die Bundesländer in ihren Ausführungsgesetzen
selbst festlegen, auf allen Ebenen ein obligatorisches Vier-Augen-Prinzip zu verankern.
Neue Impulse für einheitliche Standards
Das neue Gesetz setzt auch Impulse für einheitliche Standards hinsichtlich der Bewilligung privater Träger
und sozialpädagogischer Einrichtungen für die Betreuung von Kindern sowie für die Eignungsbeurteilung
von Pflegeeltern und Adoptivwerbern. Beispielsweise braucht eine sozialpädagogische Einrichtung ein fachlich
fundiertes pädagogisches Konzept, eine erforderliche Anzahl an ausgebildeten Fachleuten, ausreichend Hilfskräfte
und geeignete Räumlichkeiten. Die genaue Ausgestaltung obliegt den Ländern in ihren Ausführungsgesetzen.
Verbesserungen bei Datenschutz, Auskunftsrecht und Verschwiegenheitspflicht
Im Gesetzesentwurf ist erstmals genau definiert, welche personenbezogenen Daten erfasst und an andere Kinder- und
Jugendhilfeträger, Gerichte, Behörden und Kooperationspartner unter Berücksichtigung des Kinderschutzes
weitergegeben werden dürfen. Dasselbe gilt für die Voraussetzungen für Auskünfte an betroffene
Kinder, Jugendliche und Familien. Konkret geht es hier um Daten aus dem Privatleben der betreuten Familien (erzieherisches
Fehlverhalten, Gewalt in der Familie, Krankheiten, Beziehungsprobleme, Schulprobleme usw.). Bislang hat es keine
bundesgesetzliche Regelung über die Verwendung und Weitergabe dieser Daten an andere Institutionen sowie zu
den Auskunftsrechten der Betroffenen gegeben. In der Praxis wurde im Einzelfall entschieden, wodurch große
Unterschiede entstanden sind. Daher bringt die Reform neben einem besseren Kinderschutz mehr Rechtssicherheit für
Familien und Kooperationspartner.
Grundsätzlich sichert die Jugendwohlfahrt den Familien Verschwiegenheit über ihr Privatleben zu. Umfang,
Anlass und Empfänger der Weitergabe von Daten können eingeschätzt werden. Es besteht ein Rechtsanspruch
auf Auskunft über gesammelte Daten. Für die Institutionen selbst ist besonders wichtig, dass die Weitergabe
von Daten rechtlich abgesichert ist. Der Austausch von Informationen für den Kinderschutz wird verbessert.
Weitere Professionalisierung der Fachkräfte, Mehr Transparenz durch bessere Datenlage
Im Gesetz sind die notwendigen Qualifikationen und Eignungen für eine Tätigkeit in der Jugendwohlfahrt
detaillierter als bisher festgehalten. Fachleute sind insbesondere solche aus den Bereichen Sozialarbeit, Sozialpädagogik,
Psychologie und Psychotherapie. Ihnen ist eine regelmäßig berufsbegleitende Fort- und Weiterbildung
sowie Supervision (Beratung) anzubieten. Gleichzeitig müssen die Leistungen nach fachlichen Standards erbracht
werden, die im Detail von den Ländern in ihren Ausführungsgesetzen festgelegt werden müssen.
Die Reform schafft zudem erstmals eine gesetzliche Grundlage für ausführlichere bundesweite Jugendwohlfahrts-Statistiken,
um mehr Transparenz zu schaffen. Darin erfasst ist auch die Zahl jener Personen, die soziale Dienste und Unterstützung
in Erziehung erhalten sowie Kinder und Jugendliche in sozialpädagogischen Einrichtungen. Weiters die Anzahl
der Gefährdungsabklärungen, die Anzahl der Adoptionen oder auch die Ausgaben und Einnahmen der öffentlichen
Jugendwohlfahrt.
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