… für Konvergenz 2.0 ist allerdings ein Innovationsschub nötig – Der Bestand an ausländischen
Direktinvestitionen (FDI) ist auf hohem Niveau stabil
Wien (erste bank) - Seit dem Ende des Kommunismus hat sich Zentral- und Osteuropa durch Integration in die
EU zu einem Lehrbeispiel für wirtschaftliche Konvergenz entwickelt. Die Finanzkrise hat diese Entwicklung
allerdings gebremst. Die 20.02. von der Erste Group veröffentlichte Studie mit dem Titel „Konvergenz 2.0“
kommt zu dem Schluss, dass die Wachstumstreiber zwar intakt sind, CEE aber nach dem klassischen, auf Imitation
beruhenden Aufholprozess im Lauf des kommenden Jahrzehnts den Schritt zu einem wissensbasierten System mit höherer
Wertschöpfung und stärkerer Exportdiversifizierung vollziehen müsse. „Kostenvorteile allein reichen
nicht aus, wenn Länder sich der technologischen Grenze nähern. Die CEE-Länder werden durch eigene
Anstrengungen die Produktivität von Kapital und Arbeit erhöhen müssen. Dafür sind aber Investitionen
in Bildung und F&E eine wesentliche Voraussetzung“, erklärt Birgit Niessner, Chief Analyst of CEE Macro
Research bei der Erste Group.
Aus der Studie geht hervor, dass die Tschechische Republik, die Slowakei und Polen bei Konkurrenzfähigkeit
und Know-how führend sind, während Ungarn gegenüber dieser Ländergruppe zurückbleibt.
Rumänien und Serbien machen Fortschritte, können jedoch noch weitere Effizienzreserven ausschöpfen,
bevor sie sich zu innovativen Volkswirtschaften entwickeln. Kroatien muss wettbewerbsfähiger werden, um sein
relativ hohes Einkommensniveau halten zu können, während die Türkei den Weg in eine Wissensgesellschaft
beschreiten muss.
Der FDI-Bestand ist auf hohem Niveau stabil, die Exporte laufen immer noch gut, aber CEE muss mehr als niedrige
Kosten bieten
Die CEE-Länder konnten von der Reintegration Europas wirtschaftlich profitieren. Ausländische Anleger
haben die Region als Standort für Investitionen entdeckt. Die Länder der Region haben ihre relativen
Kostenvorteile zur Modernisierung ihrer Industrie unter Einsatz ausländischer Technologien genutzt. Dies wird
durch die hohen Bestände an FDI und die hohen Anteile der Exporte am BIP, die auch die Finanzkrise überdauert
haben, belegt. Zwar riss im Krisenjahr 2008 der Zuwachs an ausländischen Direktinvestitionen ab, doch konnten
sich die FDI-Bestände in sämtlichen Ländern stabilisieren. Den stärksten negativen Trend im
FDI-Bestand verzeichnete Ungarn: In nur zwei Jahren sackte dieser von dem im Jahr 2009 erreichten Höchststand
von 75% des BIP um mehr als 10 Prozentpunkte ab. Ein weiterer wesentlicher Wachstumsbeitrag kommt in CEE nicht
zuletzt von der ausgezeichneten Exportleistung. Bei Betrachtung der Exportanteile am BIP werden die Unterschiede
innerhalb der CEE-Region sofort deutlich: Die CEE-3-Länder konnten von einem bereits hohen Niveau aus ihren
Exportanteil in den Krisenjahren noch weiter steigern. Polen, Kroatien und Rumänien liegen zum Teil wegen
der Größe ihrer Märkte (größere Länder exportieren tendenziell weniger), aber auch
wegen nicht wettbewerbsfähiger Strukturen im Mittelfeld. Dennoch übertraf ihre Leistung jene der südeuropäischen
Länder.
Die EU-Integration hat sich somit als Erfolg erwiesen und war für den wirtschaftlichen Aufholprozess der CEE-Region
von entscheidender Bedeutung. Nun stellt sich die Frage, wie das Integrationswachstumsmodell reformiert werden
kann. „Laut World Economic Forum (WEF) besteht die Herausforderung nun darin, höhere Konkurrenzfähigkeit
nicht mehr nur durch Effizienz, sondern auch durch Innovationskraft zu erzielen. Um noch weiter voranzukommen,
muss der Import von Wissen durch in den CEE Ländern geschaffene innovative neue Produkte abgelöst werden.
Wettbewerb, eine hochwertige tertiäre Bildung und die Verfügbarkeit von Venture-Kapital werden an Bedeutung
gewinnen“, meint Niessner.
Der Anteil der Bevölkerung mit tertiärem Bildungsabschluss ist in CEE von Land zu Land sehr unterschiedlich.
Im Allgemeinen erreichen etwa 20% der Altersgruppe von 30 bis 34 Jahren dieses Niveau. Dieser Anteil liegt jedoch
weit unter dem EU-Ziel (40%) und jenem Niveau, das für eine in hoch innovativen Sektoren tätige Erwerbsbevölkerung
erforderlich ist.
CEE ist deutlich stärker industrialisiert als der Euroraum (BIP-Anteil 30% gegenüber 19%), hat bei der
Wettbewerbsfähigkeit aber noch aufzuholen
In den CEE-Volkswirtschaften dominiert noch der sekundäre Sektor. Der Anteil der Industrie an der Gesamtwirtschaft
liegt bei etwa 30%, während im Euroraum nur 19% des BIP auf den Industriesektor entfallen.
Ausblick: Im kommenden Jahrzehnt hat CEE die Chance, zu den Hochtechnologieländern aufzuschließen
Die Frage ist, wie viel Zeit den CEE-Volkswirtschaften noch bleibt, um bei der Produktivität, die neben der
langfristigen Entwicklung der Erwerbsbevölkerung das Produktionsspotenzial einer Volkswirtschaft bestimmt,
aufzuholen. Das Produktionspotenzial ist als das maximale BIP definiert, das längerfristig aufrecht erhalten
werden kann und erlaubt eine von der Konjunktur unabhängige Beurteilung einer Volkswirtschaft. Während
der Finanzkrise verringerten sich in den meisten europäischen Ländern sowohl das tatsächliche Wirtschaftswachstum
als auch das Potenzialwachstum. In Portugal, Griechenland, Italien und Irland entwickelte sich das Produktionspotenzial
sogar negativ (im Durchschnitt von 2009 bis 2012). „Außer in Ungarn sollte sich das Potenzialwachstum in
den CEE-Ländern 2013 und 2014 wieder erholen und höhere Niveaus erreichen. Dies bedeutet, dass die CEE-Länder
kurz- bis mittelfristig ihre Anstrengungen, an die technologische Grenze vorzustoßen, fortsetzen werden.
Sobald die Lücken im Technologiebereich und beim Humankapital geschlossen sind, wird sich das Produktivitätswachstum
jedoch verlangsamen. Dann werden die erwähnten Defizite in der inländischen Innovationskraft schlagend“,
resümiert die Verfasserin der Studie. Endogene Produktivitätsquellen können ebenfalls an Bedeutung
gewinnen, da – bei Fortdauern der Krise – Impulse aus FDI und Exporten in den kommenden Jahren unter Umständen
bescheidener ausfallen könnten.
CEE-4 behält Wachstumsvorteil gegenüber Westeuropa bis 2050
Die Herausforderung für Zentral- und Osteuropa besteht im Allgemeinen darin, zunehmend endogene Innovationsquellen
anstelle importierter Produktivitätsgewinne als Wachstumstreiber einzusetzen. Laut Analystenschätzungen
wird selbst sehr langfristig das Potenzialwachstum vor allem durch Produktivitätszuwächse getrieben werden,
da nur sehr wenige europäische Länder – wie die Türkei – mit einer positiven demografischen Dynamik
rechnen können. Gemäß OECD-Prognosen werden die CEE-Länder nicht in der Lage sein, ihr Produktionspotenzialrascher
als nicht-OECD-Länder (z.B. China und Indien) zu steigern. Dies liegt daran, dass die CEE-Länder bereits
ein höheres Niveau der wirtschaftlichen Entwicklung erreicht haben. Allerdings werden die Tschechische Republik,
Ungarn, die Slowakei, Polen und die Türkei bis 2050 auch weiterhin mehr Wachstum als die westlichen Länder
verzeichnen können.
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