Herzgewebe neu herstellen statt Spenderherzen transplantieren: An der TU Wien wurden Substanzen
entwickelt, mit denen man funktionsfähige Herzzellen wachsen lassen kann.
Wien (tu) - Aufgeschürfte Haut wächst rasch wieder nach, geschädigtes Herzgewebe kaum – daher
hinterlässt ein Herzinfarkt oft schwere langfristige Schäden. An der TU Wien wurden nun Substanzen entwickelt,
die körpereigene Vorläuferzellen in funktionsfähige, schlagende Herzmuskelzellen umwandeln. Diese
Entdeckung könnte die Tür zu einer ganz neuen Art der regenerativen Medizin öffnen. Prof. Mihovilovic
von der TU Wien wurde dafür mit dem silbernen Inventum-Preis des Österreichischen Patentamtes ausgezeichnet.
Youtube-Movie:
Herzmuskelzellen aus dem Labor http://youtu.be/Wb9hMuq-_y0
The Heart in the Petri Dish http://youtu.be/Bjn3TwMr4xs
Schlagende Herzmuskelzellen im Labor
Embryonale Stammzellen können sich zu beliebigen Gewebetypen weiterentwickeln. Adulte Stammzellen können
sich auch noch in unterschiedliche Zelltypen umwandeln, haben aber schon ein deutlich geringeres Differenzierungspotenzial.
„Welche Mechanismen die Differenzierung von Stammzellen zum Gewebe im Detail beeinflussen ist heute bei Weitem
noch nicht verstanden“, sagt Prof. Marko Mihovilovic (Institut für Angewandte Synthesechemie, TU Wien). Seiner
Forschungsgruppe gelang es nun allerdings, Substanzen herzustellen, mit denen sich diese Differenzierung ganz gezielt
steuern lässt: So kann man Vorläuferzellen zu neuem Herzgewebe werden lassen, das schließlich direkt
in der Petrischale zu schlagen beginnt.
„Von verschiedenen Substanzen ist bekannt, dass sie eine Auswirkung auf die Entwicklung von Herzgewebe haben. Wir
haben systematisch Verbindungen mit cardiogenem Potential synthetisiert und getestet“, erklärt Thomas Linder,
der zusammen mit Kollegin Moumita Koley an der TU Wien über die Differenzierung von Herzgewebe arbeitet. Diese
maßgeschneiderten Substanzen werden dann an der Medizinischen Universität Wien an den Vorläuferzellen
von Mäusen getestet. „Mit unseren neuen Triazin-Derivatengelang eine dramatische Effizienzsteigerung im Umwandeln
von Vorläuferzellen zu Herzzellen im Vergleich zu bereits bekannten Substanzen, die bislang erprobt wurden“,
sagt Marko Mihovilovic. Das Team der TU Wien hat die neuen Verbindungen inzwischen patentiert.
Baukastensystem für Moleküle
Der entscheidende Vorteil der Syntheseverfahren, die an der TU Wien entwickelt wurden, ist ihre Flexibilität:
„Unsere modularen Synthesestrategien kann man mit LEGO-Bausteinen vergleichen: Aus sehr einfachen Grundbausteinen
lässt sich rasch ein hohes Maß an Komplexität schaffen“, sagt Marko Mihovilovic. So können
viele verschiedene Abwandlungen der Substanzen hergestellt werden, ohne jedes Mal ein neues Syntheseverfahren entwickeln
zu müssen.
Die Tür zu neuer Medizin
Nun geht es darum, aus dem neuen pharmakologischen Werkzeug einen echten Wirkstoff zu entwickeln, der für
den Menschen eingesetzt werden kann. „Wichtig ist es, den genauen Wirkmechanismus aufzuklären. Wir wollen
auf molekularer Ebene verstehen, wie unsere Substanzen Einfluss auf die Zellentwicklung nehmen“, sagt Mihovilovic.
Kennt man diesen Mechanismus, sollte es möglich sein, gezielte Therapieformen zu erarbeiten.
„Wir wollen die Tür zu einer völlig neuen Art der regenerativen Medizin aufstoßen“, hofft Marko
Mihovilovic. „Derzeit steht die Transplantationsmedizin im Vordergrund, doch viel besser wäre es, im Labor
das passende neue Gewebe herstellen zu können – mit der Original-DNA der Patienten, sodass Abstoßungsreaktionen
ausgeschlossen sind.“
Nicht nur die Differenzierung von Vorläuferzellen zu funktionalem Gewebe kann man durch chemische Signale
steuern. Es ist sogar möglich den umgekehrten Weg zu gehen und aus ausdifferenzierten Zellen wieder pluripotente
Zellen zu generieren, die sich danach zu unterschiedlichen Gewebetypen entwickeln können. „Unsere Zukunftsvision
ist: Wir verwenden Zellmaterial, das leicht zu entnehmen ist, etwa aus der Haut, behandeln es mit einem Cocktail
verschiedener Chemikalien und lassen dadurch neues Gewebe entstehen“, sagt Mihovilovic. Die Synthesechemie soll
helfen, die beschränkte Regenerationsfähigkeit des Herzens zu überwinden. Wenn sich die Therapie
auf den Menschen übertragen lässt, würde das die Lebensqualität der PatientInnen drastisch
verbessern und auch die Kosten für das Gesundheitssystem verringern.
Auszeichnung durch das Österreichische Patentamt
Das Österreichische Patentamt zeichnete am 4. März die besten Patente des vergangenen Jahres mit
dem INVENTUM-Award aus. Die Synthesechemie-Forschungsgruppe an der TU Wien errang dabei den zweiten Platz und kann
die silberne Inventum-Trophäe mit nach Hause nehmen. „Wir freuen uns über diese Anerkennung unseres ersten
großen Schrittes auf dem Weg zum maßgeschneiderten Herzgewebe. Wir hoffen, dass wir die nächsten
Schritte genauso erfolgreich setzen können“, sagt Marko Mihovilovic.
|