4. März 1933: Anfang vom Ende der Demokratie
 in der Ersten Republik

 

erstellt am
05. 03. 13
14.00 MEZ

Symposium im Parlament zur Staats- und Verfassungskrise 1933
Wien (pk) – Es war ein "Putsch auf Raten" fasste Parlamentsvizedirektorin Susanne Janistyn die Ereignisse rund um die dramatische Sitzung des Nationalrats vom 4. März 1933 zusammen, in der die drei Nationalratspräsidenten aus taktischen Gründen zurücktraten und damit den Weg zur Ausschaltung des Parlaments und zur autoritären Regierungsdiktatur ebneten. Helmut Wohnout unterstrich in seinem Referat, es habe keinen "Masterplan" von Dollfuß gegeben, vielmehr habe sich das Ganze wie ein Schneeball entwickelt, der zu einer diktatorischen Lawine angeschwollen sei.

Janistyn moderierte das Symposium "Staats- und Verfassungskrise 1933", das heute im Parlament stattfand. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler waren eingeladen, im Rahmen des Symposiums die Ereignisse vor 80 Jahren aus den unterschiedlichsten Aspekten zu beleuchten und die Frage zu stellen, inwiefern Gegenwartsbezüge hergestellt und welche Lehren daraus gezogen werden können. Im Mittelpunkt des ersten Teils standen historische Zusammenhänge, Demokratiekrise und Staatsentwürfe, der zweite Teil der Veranstaltung widmete sich der wirtschafts- und europapolitischen Dimension der damaligen Ereignisse. Sonja Puntscher-Riekmann sah die EU und ihre Struktur als eine Antwort auf den Zivilisationsbruch der autoritären und totalitären Regime der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ihrer Meinung nach führt an der weiteren Stärkung des Europäischen Parlaments kein Weg vorbei.

Neben den ReferentInnen saßen die beiden Universitätsprofessoren Anton Pelinka und Ernst Bruckmüller auf dem Podium.

Zatloukal: Demokratiekonzepte waren nicht miteinander vereinbar
Den Reigen der Referentinnen und Referenten eröffnete Ilse Reiter-Zatloukal, Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte der Universität Wien. Sie setzte sich mit dem Begriff "Demokratie" auseinander, der in der Zwischenkriegszeit in Österreich ein vielbenutztes politisches Schlagwort war und je nach politischer Ausrichtung unterschiedlich interpretiert wurde. Das Demokratiekonzept Kelsens und der Bundes-Verfassung 1920 geht von der Demokratie als Parteienstaat aus, führte Zatloukal einleitend aus und ging dann auf die divergierenden Auffassungen und Konzeptionen des konservativen und linken Lagers ein.

So habe die Sozialdemokratie den revolutionären Weg zum Sozialismus und die Rätediktatur abgelehnt, erläuterte sie, die austromarxistische Lösung sei in der Selbstbeschränkung des Proletariats gelegen. Das Parlament sollte demnach als Waffe im Klassenkampf das Vollzugsorgan zur proletarischen Umwälzung werden, gleichzeitig hätten die SozialdemokratInnen aber auch mit der Diktatur als "Notwehrakt" gedroht und seien somit zum "Bürgerschreck" geworden. Die Christlichsozialen wiederum hätten zunehmend die Republik mit der Sozialdemokratie gleichgesetzt und ihr die Schuld an der demokratischen Krise gegeben. Die Wurzel des Übels lag für sie im Parteienstaat, weshalb die "wahre Demokratie" in ihren Augen die Verbindung von Autorität und Freiheit darstellte. Seitens der Heimwehr, die den Gehorsam besonders positiv bewertete, wurde die "Führerdemokratie" präferiert. Damit sei klar, dass die verschiedenen Konzepte von Demokratie und Staatsverfassung zur damaligen Zeit kaum überbrückbar waren, betonte Zatloukal.

Wohnout: Österreichs Entwicklung ist auch im internationalen Kontext zu sehen
Die Etappen auf dem Weg Österreichs in die Diktatur skizzierte Helmut Wohnout vom Institut für Geschichte der Universität Graz. Der Anstoß dafür sei mit dem 4. März 1933 erfolgt und habe in eine autoritäre Regierungsdiktatur geführt. Wohnout sprach in diesem Zusammenhang auch von einer "Kanzlerdiktatur" auf Grund der enormen Kompetenzfülle, die der Bundeskanzler durch die Verfassung 1934 und ihre Übergangsbestimmungen in der politischen Wirklichkeit der Jahre 1934 bis 1938 in seiner Hand vereinigte.

Am Anfang sei aber kein "Masterplan" gestanden, nach dem man Zug um Zug vorging, betonte er. Vielmehr könne man die Entwicklung mit einem Schneeball vergleichen, der von einer ursprünglich noch relativ begrenzten Verfassungsreform zu einer diktatorischen Lawine anschwoll. Nach dem 4. März sei für Dollfuß festgestanden, dass er ohne Parlament regieren wolle und er habe in diesem Sinne eine kleine Verfassungsnovelle angestrebt. Ein kompletter Bruch mit der Verfassung sei damals noch nicht intendiert gewesen.

Wohnout war es wichtig, die Entwicklung auch im internationalen Kontext zu betrachten, wobei er insbesondere auf die Folgewirkungen der deutschen Reichstagswahlen vom 5. März 1933 sowie auf die Anfänge der engen politischen Kooperation zwischen Österreich und Italien im Frühjahr und Sommer 1933 einging. Der nationalsozialistische Terror auf der Straße und der massive Druck aus Berlin mit dem Ziel, die Selbständigkeit Österreichs zu beenden, hätten erstmals zum Plan geführt, die Verfassung umfassender umzubauen, führte er aus. Die enge Anbindung an Mussolini, der Österreich als Pufferstaat erhalten wollte, sowie die Erfüllung seiner ultimativen Forderungen, unter anderem nach Ausschaltung der Sozialdemokratie, bereitete dann den Weg zu den blutigen Februarereignissen 1934 und schließlich zur Verfassung von 1934. Die Fehleinschätzung Mussolinis, man könnte durch Ausschaltung der Sozialdemokratie den Nationalsozialisten den Wind aus den Segeln nehmen, habe für Österreich fatale Folgen gehabt, resümierte Wohnout abschließend.

Wiederin: Verfassung 1934 um rechtsstaatliche Kontinuität bemüht
Ewald Wiederin, der in seinem Referat die rechtsstaatliche Komponente beleuchtete, meinte, die Verfassung von 1934 sei zwar in ihrer Entstehung von Verfassungsbrüchen begleitet worden – der Ausschaltung des Nationalrates und des Verfassungsgerichtshofs durch "rechtswidriges Recht" -, in ihren rechtsstaatlichen Partien aber sichtlich um Kontinuität bemüht gewesen. Sie habe am Legalitätsprinzip festgehalten, was, wie Wiederin zu bedenken gab, für autoritäre Verfassungen nicht selbstverständlich gewesen sei, und habe damit die Vorhersehbarkeit staatlichen Handelns abgesichert.

Die Grundrechte, die auf Religion, Ehe und Familie aufbauen, seien an den Anfang der Verfassung gerückt, wo sie zum Ausdruck bringen sollten, dass jede legitime Staatstätigkeit jene Rechte zu wahren habe, die Gott dem Menschen mit seiner Würde in die Wiege gelegt hat. Politische Rechte und demokratische Freiheiten hätten allerdings nicht dazu gezählt, weshalb es, wie Wiederin betonte, überall dort zu Rückschritten gekommen sei, wo Grundrechte Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung garantieren. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit sei ausgebaut worden und habe auch gegen Rechtsverweigerung Schutz geboten, die Verfassungsgerichtsbarkeit sei beibehalten worden. Mit der Formel von der Sicherung der Verfassungsmäßigkeit der Gesetzgebung und der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sah Wiederin zudem ein Leitbild ausgedrückt, das unser Verständnis von Rechtsstaatlichkeit bis heute prägt. Legistisch sei die Verfassung 1934 jedenfalls ausgezeichnet gestaltet, schloss er.

Jabloner: Kompromissvorschläge einer "kontrollierten Diktatur"
Clemens Jabloner setzte sich mit den verschiedenen Verfassungsentwürfen im Gefolge der Verfassungskrise auseinander und stellte fest, verfassungshistorisch würden die auf den 4. März 1933 folgenden Monate einer sogenannten "autoritären Halbdiktatur" zunächst noch auf der Linie der Verfassungsnovelle von 1929 stehen. Diese stellte ihrerseits noch keinen Paradigmenwechsel dar, zumal der Versuch einer Kombination eines machtvollen Bundespräsidenten mit einer plebiszitären Rechtserzeugung damals misslang.

1933 aber wollten die auf einen neuen Staat mit autoritären Zügen drängenden Kräfte nachholen, was sie im Verfassungskompromiss 1929 verfehlt hatten, erinnerte Jabloner. Kompromissvorschläge suchten einen formalen Rückweg in die Bahnen der Bundesverfassung von 1920, dies freilich, um diese noch einmal, und zwar radikaler umzubauen. Jabloner wies in diesem Zusammenhang auf den Entwurf von Georg Fleischer hin, der ein verfassungsrechtliches Sonderregime in Form einer Ermächtigung zu einer "kontrollierten Diktatur" propagierte, wonach im Sinne eines Prinzips der "Staatsräson der Demokratie" die Gesetzgebung vorübergehend einem Exekutivorgan, zusammengesetzt aus dem Bundespräsidenten, der Bundesregierung und einem Parlamentsausschuss, übertragen werden sollte. Dies wiederum habe einen ersten Entwurf Karl Renners inspiriert, der Bundespräsident Miklas zugespielt wurde und der darauf abzielte, die bestehenden Kompetenzen auf andere Organe zu übertragen, die rascher handeln können, ohne dabei die Grundsätze der Gewaltenteilung zu verschieben. In einem zweiten Entwurf habe Renner dann bereits auf einer ständisch orientierten Verfassung aufgebaut, was ihm den Vorwurf des Opportunismus einbrachte. Sowohl Fleischer als auch Renner haben, wie Jabloner bemerkte, ihre Vorschläge in technisch durchaus ausgefeilten Entwürfen präsentiert.

Pelinka: Österreichs Weg in die Diktatur lag im europäischen Trend
Anton Pelinka resümierte, 1933 seien sämtliche Alternativen historisch gescheitert, dies sei nicht nur ein österreichisches, sondern ein europäisches und weltweites Scheitern gewesen. Österreichs Weg in die Diktatur war, wie Pelinka unterstrich, ein Teil des europäischen Trends der Dreißigerjahre. Erst nach 1945 hätten eine geänderte politische Kultur und geänderte internationale Rahmenbedingungen dazu geführt, dass sich die Demokratie wieder durchsetzen konnte. Es sei deshalb kein Zufall gewesen, dass man 1945 an die Kelsen-Verfassung von 1920 in der Fassung von 1929 angeknüpft hatte. Klar war für Pelinka, dass ein Rechtsstaat ohne politische Grundrechte, wie dies die Verfassung von 1934 versucht hatte, nach heutigem Verständnis nicht mehr möglich sei. Rückblickend meinte er überdies, der 4. März 1933 habe auf unumkehrbare Art jene Rahmenbedingungen hergestellt, die zum Untergang der Demokratie und der österreichischen Selbständigkeit geführt haben.

Schuberth: Krisenbewältigung braucht Absage an nationale Egoismen
Im Zeichen der wirtschafts- und sozialpolitischen Verortung des autoritären Ständestaats standen die weiteren Redebeiträge des Symposiums. Parlamentsvizedirektorin Susanne Janistyn eröffnete die RednerInnenrunde in Vertretung der erkrankten Helene Schuberth, Senior Advisor der Österreichischen Nationalbank, indem sie die Kerngedanken aus Schuberths Vortrag "Strategien der aktuellen Krisenbewältigung im historischen Vergleich" zusammenfasste.

Helene Schuberth weist darin auf Parallelen der Geschichte von Finanzkrisen hin. Diese seien in der Regel durch Deregulierung des Finanzsystems, steigende Verschuldung, Ungleichgewichte und Ungleichheit verursacht, erläutert sie, die historische Erfahrung zeige, dass von der wirtschafts-politischen Reaktion auf die Krise gesellschaftspolitische Konsequenzen ausgehen und sich in autoritäre Strukturen verfestigen können. In den USA sei aber im Unterschied zu Kontinentaleuropa das demokratische System gestärkt aus der großen Depression hervorgegangen.

Wenn letztendlich die negativen Wirkungen der Krise seit 2007 begrenzt werden konnten, sei das vor allem einer historisch erstaunlichen internationalen Kooperationsbereitschaft und der Absage an nationalstaatliche Egoismen zu verdanken, hält Schuberth fest. Langfristig erfolgreich werde die Krisenbewältigung aber nur dann sein, wenn parallel zu den kurzfristigen Stabilisierungsmaßnahmen, inklusive Liquiditätsunterstützung durch Notenbanken, das Banken- und Finanzsystem strikt und effektiv reguliert werde. Die Europäische Union habe auch in dieser Hinsicht, zuletzt etwa mit der Zentralisierung der Bankenaufsicht, die Weichen dafür gestellt, dass Europa gestärkt aus der Krise hervorgehen werde, so das Resümee Schuberths.

Stiefel: Machtpolitik als Grundlage der ständestaatlichen Wirtschaft
Der Wirtschaftshistoriker Dieter Stiefel von der Universität Wien umriss zunächst die sozialpolitischen Verhältnisse im Österreich der 1920er Jahre. Zwar sei damals die Arbeiterbewegung erstarkt und Löhne sowie Sozialleistungen seien gemessen am Bruttoinlandsprodukt bis 1931 gestiegen, so Stiefel, bei Kapitaleinkommen sei jedoch eine vergleichsweise starke Abnahme zu verzeichnen gewesen und Wirtschaftstreibende hätten auf Grund von Absatzproblemen kaum Gewinnmöglichkeiten gehabt. Die Diktatur des Ständestaats habe als reaktionäre Bewegung darauf die liberale Wirtschaftspolitik der zwanziger Jahre mit autoritären Mitteln fortgesetzt, allerdings unter Bedingungen, in denen sie in den meisten anderen Ländern bereits aufgegeben worden sei, analysierte Stiefel.

Entgegen seines christlich-sozialen Anspruchs sei der Ständestaat von der Unterdrückung der ArbeitnehmerInnen sowie von Lohnkürzungen gekennzeichnet gewesen, erläuterte er weiters. Die Finanzpolitik habe dominiert, für Bankensanierungen sei mehr aufgewendet worden als für die Wiederherstellung des Arbeitsmarktes, damit habe man "einen Faschismus ohne Begeisterung der Massen" etabliert. Das theoretische Ziel einer selbständigen Verwaltung der Branchen sei durch staatliche Eingriffe wie einseitige Subventionen und Steuern unterbunden worden, denn die vorrangige Zielsetzung dieser Wirtschaftspolitik war Stiefel zufolge, den autoritären Ständestaat gegen Angriffe rechter und linker politischer Gruppierungen abzusichern.

Der machtpolitische Antrieb habe sich zudem in den Bestrebungen, den Agrarmarkt auf Kosten der anderen Wirtschafts­bereiche und des Massenkonsums zu monopolisieren und so die Agrarpreise stabil zu halten, verdeutlicht, so Stiefel. Als Hauptgrund dafür sah er den Umstand, dass bis in die 1930er Jahre ein Drittel der Erwerbstätigen Österreichs in der Landwirtschaft beschäftigt waren, dieser Wirtschaftssektor also eine verlässliche politische Basis für das ständestaatliche Regime gebildet habe. Letztendlich habe die Arbeitgeberseite verstanden, dass nur die Zusammenarbeit mit den Arbeitnehmerorganisationen erfolgreiches Wirtschaften ermögliche. Darin sah Stiefel die Grundlage für die Sozialpartnerschaft ab 1945.

Lindseth: Die Verfassungsgeber der Nachkriegszeit haben aus der Krise gelernt
Peter Lindseth (University of Connecticut) behandelte in seinem Beitrag "The European Context: From Interwar Crisis to Postwar Constitutional Settlement and Beyond" die Lehren, die man aus den Verfassungskrisen der Zwischenkriegszeit für die verfassungsmäßige Ordnung der Nachkriegszeit zog. Laut Lindseth vertraten die Verfassungstheoretiker Deutschlands und Frankreichs seit dem 19. Jahrhundert die Auffassung, wonach das republikanische Parlament die zentrale Institution der nationalen Souveränität sei. Es konnte gemäß dieser Konzeption die verfassungsgemäße Gewaltenteilung zwischen Legislative und Exekutive je nach Maßgabe der Umstände festlegen. In der Zwischenkriegszeit machten die Parlamente Deutschlands und Frankreichs auch wiederholt Gebrauch von der Möglichkeit, umfassende Vollmachten an die Exekutive zu übertragen. Diese Praxis sei letztlich zur Rechtfertigung für Diktatur und Aufhebung der Gewaltenteilung benützt worden.

Nach 1945 zogen die Verfassungsexperten Westdeutschlands und Frankreichs daraus zwei Schlüsse, so Lindseth. Erstens müsse es stets einen "Rest" an Staatsmacht geben, den auch ein republikanisches Parlament nicht an die Sphäre der Exekutive und Verwaltung delegieren könne. Zweitens müsse es eine unabhängige Körperschaft geben, welche diesen Delegationsvorbehalt auch dem Parlament selbst gegenüber durchsetzen kann. Das habe zur Einrichtung der Verfassungsgerichte geführt. Lindseth erkennt hier eine zentrale verfassungsrechtliche Innovation. Zwar sei dadurch die klassische Auffassung von der absoluten Vormachtstellung des Parlaments im republikanischen System abgeschwächt worden, gleichzeitig habe aber paradoxerweise diese Einschränkung der Legislative zu einer Stärkung der Parlamente und Gerichte in Bezug auf die Legitimierung der Handlungen von Exekutive und Verwaltung geführt. Die EU basiere auf dieser Konzeptionen der Verfassungsgesetzgebung der Nachkriegszeit und entwickle sie weiter, folgerte Lindseth.

Puntscher-Riekmann: Europäisches Parlament hat wichtige Funktion
Sonja Puntscher-Riekmann, Universitätsprofessorin für Politische Theorie, Leiterin des Salzburg Centre of European Union Studies und Vizerektorin der Universität Salzburg, setzte sich als letzte Referentin des Symposiums unter dem Titel "Legitimität und Repräsentation in der EU in zeitgeschichtlicher Perspektive" mit dem immer wieder konstatierten Demokratiedefizit in der Europäischen Union auseinander. Ihrer Meinung nach führt an der weiteren Stärkung des Europäischen Parlaments und an der umfassenden Parlamentarisierung des "unionalen Handelns" kein Weg vorbei, will man dieses Demokratiedefizit beseitigen. Auch wenn dem Europäischen Parlament von vielen Seiten immer wieder abgesprochen werde, eine echte Volksvertretung zu sein, weil etwa das Prinzip "one man one vote" nicht gelte, die Distanz zwischen Abgeordneten und WählerInnen groß sei und eine europäische Öffentlichkeit fehle, so sei es gemäß dem Vertrag von Lissabon doch jenes EU-Organ, das die EU-Bürgerinnen und EU-Bürger repräsentiere und von diesen auch direkt gewählt werde, betonte sie.

Eine Ausweitung der Rechte der nationalen Parlamente ist für Puntscher-Riekmann kein adäquater Ersatz für ein starkes Europäisches Parlament. Unionshandeln müsse durch ein Europäisches Parlament mitbestimmt und kontrolliert werden, schließlich seien nationale Parlamente per Definition Repräsentationsorgane nationaler und nicht europäischer Interessen, argumentierte sie. Während die EU-Staaten vom Rat bzw. vom Europäischen Rat repräsentiert werden, obliege es dem Europäischen Parlament, die EU-BürgerInnen in ihrer Gesamtheit zu vertreten. Sie schlug vor, für diese Gesamtheit statt des belasteten Begriffs "Volk" das Wort "Demos" zu verwenden. Vorausgesetzt, man wolle einen solchen europäischen Demos schaffen, könnte das über einen verfassungsgebenden Akt geschehen. Daher sollten die BürgerInnen Europas im Vorfeld gemeinsam über die nächste Vertragsänderung abstimmen können, so die Forderung Puntscher-Riekmanns.

Bruckmüller: 30er Jahre brachten Rückfall in Nationalwirtschaften
Die Referate des zweiten Teils des Symposiums fasste Universitätsprofessor Ernst Bruckmüller zusammen. Er wies unter anderem darauf hin, dass die Krisenjahre in der Zwischenkriegszeit von einem Rückfall in Nationalwirtschaften geprägt gewesen seien. Überall habe man neue Zollschranken und andere Schutzmauern hochgezogen. Darunter hätten vor allem kleine Länder wie Österreich gelitten. Sowohl die Importe als auch die Exporte seien rasant zurückgegangen. Im Falle Österreichs sei außerdem noch dazu gekommen, dass die heimischen Banken enorm viel Geld in den Nachfolgestaaten der Monarchie investiert haben, für die schiefgegangenen Investitionen musste ihm zufolge dann aber der österreichische Steuerzahler einspringen. Den Parteien habe niemand zugetraut, eine Lösung zu finden, die aus der Krise führt, unterstrich Bruckmüller.

Abschlussrunde der ReferentInnen: Internationale Krisen sind nur international zu lösen
Auch Dieter Stiefel hob in der Abschlussrunde der ReferentInnen hervor, dass die Staaten in den 30er Jahren vorrangig versucht haben, sich selbst zu retten und dabei auf Devisen- und Außenhandelskontrollen gesetzt haben. Darin sieht er auch einen großen Unterschied zur Bewältigung der aktuellen Finanzkrise. Man habe gelernt, dass internationale Krisen nur international zu lösen seien, meinte er. So unterstütze Österreich nicht nur andere EU-Länder wie Griechenland, sondern habe sich über den Internationalen Währungsfonds auch an der Bewältigung anderer Krisen, etwa in Mexiko, beteiligt. Generell merkte Stiefel an, Finanzkrisen verstärkten autoritäre Tendenzen nur dann, wenn es solche schon gebe, wobei es seiner Meinung nach stark von der Sozialisation abhängt, ob Menschen zu autoritären und hierarchischen Strukturen tendieren.

Sonja Puntscher-Riekmann ging auf die von Peter Lindseth geäußerte Skepsis ein, dem Demokratiedefizit in der EU durch "institutional engineering" begegnen zu können. Irgendwo müsse man ansetzen, betonte sie und zeigte sich davon überzeugt, dass es durchaus möglich sei, die EU demokratischer zu gestalten, wenn die politischen Eliten das wirklich wollten. Vielleicht gebe es auch einen besseren Weg als den konstitutionellen, meinte sie, ein solcher sei ihr aber noch nicht eingefallen. Auffallend ist für Puntscher-Riekmann, dass in der Finanzkrise mit der Europäischen Zentralbank und dem Rat vor allem jene EU-Organe gestärkt wurden, die am wenigsten demokratisch verankert sind.

 

 

 

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