3. Interdisziplinäres Symposium zur Suchterkrankung in Grundlsee 2013
Wien (welldone) - Unterschiedliche Auffassungen zur Drogenpolitik sorgten in Österreich zuletzt für
Verstimmung zwischen Innen- und Gesundheitsministerium. Im Zentrum der Debatte steht die Opioid-Erhaltungstherapie.
Bei ca. 30.000 bis 34.000 Personen in Österreich liegt laut Berechnung des Gesundheitsministeriums ein "problematischer
Drogenkonsum" vor. Etwa die Hälfte davon, genau 16.782 Suchtkranke, unterziehen sich einer Opioid-Erhaltungstherapie,
einer Behandlung, die durch qualifizierte Ärzte zu erfolgen hat. Beim 3. Interdisziplinären Symposium
zur Suchterkrankung vom 8. bis 9. März wurden die medizinischen, psychologischen, psychosozialen und juristischen
Aspekte der Suchterkrankung beleuchtet. Viele Experten bemängeln das Fehlen epidemiologischer wissenschaftlicher
Daten über Suchterkrankungen sowie das Fehlen einer einheitlichen Drogenstrategie. Einigkeit besteht in der
Notwendigkeit evidenzbasierter Ausbildungsgrundlagen für behandelnde Ärzte. Beim Symposium wurde von
Experten die dringende Aufforderung geäußert, dass das Thema Suchterkrankungen und eine, internationalen
Standards entsprechende, Behandlung in das Arbeitsprogramm der neuen Regierung aufgenommen wird.
"3. Interdisziplinäres Symposium zur Suchterkrankung: Medizinische, psychologische, psychosoziale
und juristische Aspekte", unter diesem Motto trafen rund 150 in der Suchttherapie tätige Experten aus
ganz Österreich in Grundlsee, Steiermark, zusammen. Auf der Tagesordnung des Symposiums stand ein breites
Themenspektrum, mit dem Fokus auf Suchtdiagnostik und -therapie, Schmerztherapie von Patienten, die sich in der
Opioid-Erhaltungstherapie befinden, sowie strafrechtliche Aspekte und Risiken für Ärzte, die opioid-abhängige
Patienten betreuen. Vorgestellt wurde auch das neue "Quality Patient Care Network" (QPCN), das eine internationale
standardisierte, qualitätsgesicherte Ausbildung zur Diagnostik und Behandlung der Suchterkrankung darstellt
und in Österreich ab sofort implementiert werden soll.
Im Rahmen des Symposiums fand eine Podiumsdiskussion zum Thema "Burden of Disease der Suchterkrankung: Ökonomische
Überlegungen und gesundheitspolitische Imperative" statt. Die Diskutanten waren sich einig, dass die
Behandlung der Suchterkrankung primär eine Aufgabe der Medizin, also ein Gesundheitsproblem, und nicht Aufgabe
der Justiz sei. Als weiterer wichtiger Aspekt wurde festgehalten, dass eine österreichweite einheitliche Drogenstrategie
zur Suchterkrankung unumgänglich für eine Optimierung der Situation für die Betroffenen, die behandelnden
Ärzte als auch die involvierten Ministerien sei. Am Podium diskutierten Univ.-Prof. Alois Birklbauer, Leiter
der Abteilung Praxis der Strafrechtswissenschaften und Medizinstrafrecht an der Johannes-Kepler-Universität
Linz, Univ.-Prof. Gabriele Fischer, Leiterin der Drogenambulanz, Suchtforschung und -therapie der Medizinischen
Universität Wien, Dr. Ursula Hörhan, Geschäftsführerin der Fachstelle Suchtprävention
und Suchtkoordinatorin in Niederösterreich, Dr. Christoph Klein, Stellvertretender Generaldirektor des Hauptverbands
der Österreichischen Sozialversicherungsträger, General Franz Lang, Direktor des Bundeskriminalamts und
Dr. Anna Vavrovsky, MSc, Managing Partner der Academy for Value Health GmbH.
Substanzabhängigkeit ist eine chronische Erkrankung, die entsprechend einer stabilisierenden Langzeitbehandlung
bedarf Univ.-Prof. Fischer beschreibt das Gesamtbild für österreichische Suchtpatienten im Vergleich
zu anderen Ländern der EU als sehr gut. "In Österreich herrscht allerdings ein Mangel an evidenzgesicherten
Zahlen zur Substanzabhängigkeit insgesamt. Wir wissen nicht, wie viele Personen von welcher Substanz abhängig
sind, im Bereich der Opioidabhängigkeit sind nach Schätzungen nur ca. 50 Prozent der Betroffenen in entsprechender
Behandlung. Zusätzlich muss zwischen den Ministerien für Gesundheit, Justiz und Inneres ein professionalisierter
Dialog nicht nur zum Daten- und Faktenaustausch etabliert werden, der sich künftig auch in Richtung Ökonomie
erweitern soll, sondern vor allem ein vereinheitlichter Kenntnisstand des Wissens etabliert werden", erklärt
Fischer. Zwei Drittel der Kosten im Bereich der illegalen Substanzabhängigkeit resultieren aus indirekten
Kosten (z.B. Kriminalität, Erwerbsunfähigkeit) und ein Drittel aus dem Medizinbereich. Je früher
Diagnose und Therapieumsetzung, optimalerweise durch Psychiater, je geringer die Folgekosten. Alleine stellt die
Psychiatrie ein Mangelfach dar, daher sollte in allen psychiatrischen Abteilungen eine Anlaufstelle sein, um mit
niedergelassenen Allgemeinmedizinern kooperieren zu können. Rund 60 Prozent der Patienten leiden auch an zusätzlichen
psychiatrischen Erkrankungen, die enge Zusammenarbeit zwischen Allgemeinmedizinern, Psychiatern bzw. Klinischen
Psychologen ist eine Voraussetzung zur Optimierung dieser Schnittstellen im System", stellte Gabriele Fischer
klar. Nach wie vor werden Suchterkrankte von der Gesellschaft stigmatisiert, das betrifft sogar behandelnde Ärzte.
Durch die Ausgrenzung der Patienten und des Suchtproblems im Allgemeinen entstehen in der Gesellschaft hohe Folgekosten
und bei Betroffenen und deren Familien viel Leid. Die Suchterkrankung gilt als eine der schwersten psychiatrischen
Erkrankungen, die es gilt, qualifiziert in das Gesundheitssystem zu integrieren, um neben einem verbesserten Behandlungszugang
auch eine Entstigmatisierung zu erreichen", erklärt Fischer abschließend.
Univ.-Prof. Alois Birklbauer hält ebenfalls fest, dass bei der Sucht der Krankheitsaspekt, und nicht der Kriminalisierungsaspekt
im Vordergrund stehen soll. Beim Umgang mit Suchtmitteln agiere der Staat geradezu schizophren: "In Österreich
ist der Konsum von Suchtgift nicht strafbar, sondern als 'Suchtgiftmissbrauch' die Basis für eine gesundheitsbezogene
Maßnahme. De Facto kann man aber nur konsumieren, wenn man besitzt und das Besitzen ist strafbar. An diesem
Punkt wird die Sucht mit der Kriminalität verknüpft", so Birklbauer. Weiters kritisiert er das vom
Gesetzgeber nur halbherzige Bekenntnis zu "Therapie statt Strafe": "Dieser Grundsatz baut auf einem
kriminalisierten Verhalten auf. Der Erfolg des Konzeptes, Strafe als Druckmittel für die Bereitschaft zu einer
Suchttherapie einzusetzen, ist enden wollend und nicht der richtige Weg. Es wäre an der Zeit, sich weitgehend
von der Kriminalisierung des Suchtmittelbesitzes und -erwerbs für den eigenen Bedarf zu verabschieden",
erklärt Birklbauer.
Stärkere Vernetzung
Dr. Ursula Hörhan erläutert, dass es in verschiedenen Regionen noch mehr qualitätsbezogene psychosoziale
Einrichtungen und eine noch bessere Vernetzung zwischen den niedergelassenen Ärzten und den Suchthilfeeinrichtungen
brauche. In Hinblick auf den Datenschutz und die Verschwiegenheitspflicht, die in den verschiedenen Berufsbildern
und im §15 Suchtmittelgesetz verankert ist, gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen dem ambulanten und
stationären Bereich wie auch zwischen Ärzten, Amtsärzten, Apotheken, den Suchthilfeeinrichtungen
und der Polizei immer schwieriger.
Bekenntnis zu Opioid-Erhaltungstherapie und Präventionsarbeit
Dr. Christoph Klein hielt fest, dass auch aus Sicht der Sozialversicherung Suchterkrankungen als solche im Gesundheitssystem
behandelt werden müssen und dass die Opioid-Erhaltungstherapie als Krankenbehandlung gemäß ASVG
eingestuft wird - auch wenn die Opioid-Erhaltungstherapie nicht notwendigerweise und in allen Fällen eine
vollständige Abstinenz zum Ziel haben kann. Schon allein die Stabilisierung und Festigung der Gesundheit der
Patienten weise eine hohe Rentabilität für die Sozialversicherungen auf. Weiters machte Klein aufmerksam,
dass ab Sommer mit den dann von der Sozialversicherung herausgegebenen Rezeptformularen, Qualität und Ökonomie
der Substitutionsmittelverschreibungen nachvollziehbar würden und kündigte einen Dialog zwischen Sozialversicherung
und der Substitutionsmedizin über die daraus resultierenden Erkenntnisse an. General Franz Lang hob die Wichtigkeit
der Präventionsarbeit hervor. Es müsse an der Ursache des Problems angesetzt werden, also vor allem im
pädagogischen Bereich und ein frühes Greifen des Gesundheitssystems sichergestellt werden. Dies setzt
voraus, dass mit Methoden "State of the Art" die Art und die Regelmäßigkeit des Suchtmittelkonsums
diagnostiziert wird und darauf aufbauend die richtigen Maßnahmen gesetzt werden.
Ökonomische Aspekte der Suchterkrankung
Anna Vavrovsky betrachtete die Opioid-Erhaltungstherapie aus Sicht der Gesundheitsökonomie und hielt fest,
dass diese Form der Therapie durchaus eine kosteneffektive Behandlungsoption darstelle, die Kriminalität reduziere
und durch den Ansatz der Stabilisierung der Patienten, Produktivitätsverluste eingrenze. Allerdings bemängelte
auch Vavrovsky die Datenlage, die in Österreich im Vergleich zu anderen EU-Ländern sehr schlecht sei.
Abschließend hielt sie fest, dass eine evidenz-basierte nationale Drogenstrategie dazu beitragen könnte,
die Kosten weiter zu senken.
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