Innenausschuss beschließt ersten Teil des Demokratiepakets
Wien (pk) - Vorzugsstimmen werden voraussichtlich schon bei den kommenden Nationalratswahlen ein größeres
Gewicht haben als bisher. Der Innenausschuss des Nationalrats billigte am 13.03. mit breiter Mehrheit eine entsprechende
Änderung der Nationalrats-Wahlordnung. Damit könnte der erste Teil des von der Koalition geschnürten
Demokratiepakets noch vor Ostern vom Parlament beschlossen werden. Bei der Abstimmung wurde auch ein Abänderungsantrag
mitberücksichtigt, der im Wesentlichen lediglich legistische Bereinigungen und Präzisierungen enthält.
Neben den Koalitionsparteien stimmten auch die FPÖ und das BZÖ für die Gesetzesnovelle. Diese sei
zwar kein großer Wurf, gehe aber doch in Richtung mehr Persönlichkeitswahl und direkter Demokratie,
erklärte BZÖ-Abgeordneter Peter Westenthaler. Die Grünen lehnen das neue Vorzugsstimmensystem hingegen
als Wählertäuschung ab, zudem werden ihrer Meinung nach Frauen benachteiligt. Seitens des Teams Stronach
qualifizierte Abgeordneter Christoph Hagen die Novelle als nicht beschlussfähig. Staatssekretär Sebastian
Kurz bedauerte, dass die Hürden für ein Vorzugsstimmenmandat nicht noch mehr herabgesetzt werden, er
sprach aber von einem richtigen Schritt.
Kernpunkt des Gesetzentwurfs zur Änderung der Nationalratswahlordnung ist die Möglichkeit, künftig
auch auf Bundesebene Vorzugsstimmen zu vergeben. Erhält ein Kandidat bzw. eine Kandidatin 7 % der gültigen
Stimmen ihrer Partei, muss er bzw. sie vorgereiht werden. Gleichzeitig wird es für WahlwerberInnen leichter,
auf Regional- und auf Landesparteilisten vorzurücken. Für Regionalwahlkreise wurde der Vorzugsstimmen-Schwellenwert
auf 14 % der jeweiligen Pateistimmen herabgesetzt, im Landeswahlkreis sind es 10 %. Die Wahlzahl des Bundeslands
muss nicht mehr zwingend erreicht werden.
Darüber hinaus sind Änderungen bei den für Nationalratswahlen geltenden Fristen vorgesehen. Um eine
Ausgabe der Stimmzettel am 30. Tag vor der Wahl zu gewährleisten und AuslandsösterreicherInnen damit
eine rechtzeitige Stimmabgabe zu ermöglichen, muss der vom Hauptausschuss des Nationalrats gemeinsam mit dem
Wahltag festzulegende Stichtag in Hinkunft auf den 82. Tag vor der Wahl fallen, bisher war es der 68. Tag. Das
wirkt sich auch auf andere Fristen aus, etwa auf den letztmöglichen Zeitpunkt für die Einbringung von
Landes- und Bundeswahlvorschlägen.
Mit einer einstimmig angenommenen Ausschussfeststellung reagiert der Innenausschuss auf den Umstand, dass im Rahmen
der Wehrpflicht-Volksbefragung eine Reihe ungültiger Stimmen abgegeben wurde, weil viele BriefwählerInnen
vergessen haben, auf der Wahlkarte per Unterschrift zu bestätigen, dass sie den Stimmzettel persönlich,
unbeobachtet und unbeeinflusst ausgefüllt haben. Die Abgeordneten regen an, vor den nächsten Nationalratswahlen
mit einer Informationskampagne auf die Wichtigkeit der Eidesstattlichen Erklärung hinzuweisen. Außerdem
sprechen sie sich in Anbetracht der steigenden Bedeutung von Vorzugsstimmen dafür aus, die Präsentation
der einzelnen Kandidatinnen und Kandidaten auf der Website des Innenministeriums benutzerfreundlicher zu gestalten.
Über den zweiten Teil des Demokratiepakets, der unter anderem eine Aufwertung der parlamentarischen Behandlung
von Volksbegehren, die Möglichkeit der elektronischen Unterstützung von Volksbegehren und Bürgerinitiativen
sowie regelmäßige Bürger-Fragestunden im Nationalrat vorsieht, ist am 10. April ein Hearing im
Verfassungsausschuss anberaumt.
ÖVP hätte sich mehr Persönlichkeitselemente im Wahlrecht gewünscht
Im Rahmen der Diskussion äußerte Abgeordnete Sonja Steßl-Mühlbacher (S) die Hoffnung, dass
durch die höhere Gewichtung von Vorzugsstimmen die Wahl für die Bevölkerung attraktiver wird. Sie
sprach sich in diesem Zusammenhang dafür aus, die WählerInnen umfassend über die Möglichkeit
der Vergabe von Vorzugsstimmen zu informieren. Dass das neue System Frauen noch stärker als bisher benachteiligt,
wie die Grünen einwenden, glaubt ihre Fraktionskollegin Gisela Wurm nicht. Sie sei von der Novelle zwar "nicht
begeistert", sagte Wurm, diese sei aber ein akzeptabler Kompromiss. Generell bekräftigte sie, eine gleiche
Vertretung von Frauen und Männern im Nationalrat sei nach wie vor Ziel der SPÖ.
Seitens der ÖVP hielt Abgeordneter Wolfgang Gerstl fest, seine Fraktion hätte sich eine stärkere
Umgestaltung des Wahlrechts in Richtung Persönlichkeitswahl gewünscht. Seiner Meinung nach wäre
es zu begrüßen, wenn mehr direkt gewählte Mandatare im Nationalrat sitzen. Man habe aber einen
Kompromiss gefunden, mit dem alle gut leben können. Gerstl zufolge wird es künftig zwischen 4.000 und
6.000 Stimmen für ein Direktmandat im Regionalwahlkreis brauchen.
Grüne: WählerInnen wird Mitsprachemöglichkeit "vorgegaukelt"
Abgeordneter Dieter Brosz (G) wollte sich der Einschätzung von Abgeordnetem Gerstl allerdings nicht anschließen
und wertete die vorliegende Novelle hingegen als falschen Schritt in die falsche Richtung. Für ihn ist das
Vorzugsstimmensystem in Anbetracht der unterschiedlichen Hürden auf Regional-, Landes- und Bundesebene inkonsistent.
Den WählerInnen werde eine Mitsprachemöglichkeit "vorgekaukelt", die sie nicht haben, kritisierte
er. Brosz glaubt, dass das neue System lediglich zu mehr Direktmandaten auf Regionalwahlkreisebene führen
wird, während auf Landes- bzw. Bundesebene die Vorzugsstimmenhürde kaum zu überspringen ist. Ein
SPÖ-Abgeordneter würde auf Bundesebene voraussichtlich mehr als 100.000 Vorzugsstimmen für eine
Vorreihung benötigen, rechnete er vor. 25.000 Vorzugsstimmen müssten ihm zufolge aber in jedem Fall für
ein Mandat reichen.
Auch Grün-Abgeordnete Judith Schwentner sprach von einem "faulen Kompromiss", der ihrer Meinung
nach außerdem nichts dazu beitragen wird, den Frauenanteil im Nationalrat zu erhöhen. Vielmehr befürchtet
sie, dass sich das neue Vorzugsstimmensystem zu Lasten der Frauen auswirken wird. Frauen hätten es auf Regionalebene
besonders schwer, in der Politik Fuß zu fassen, gab sie zu bedenken und bedauerte, dass kritische Stellungnahmen
im Begutachtungsverfahren von den Abgeordneten nicht aufgegriffen worden seien.
BZÖ und FPÖ für, Team Stronach gegen Gesetzesnovelle
Abgeordneter Peter Westenthaler stellte die Zustimmung des BZÖ zur Änderung der Nationalrats-Wahlordnung
in Aussicht. Diese sei zwar kein großer Wurf, meinte er, aber doch ein Schritt in Richtung mehr Persönlichkeitswahl
und direkter Demokratie. Wichtig ist für ihn, dass das neue Vorzugsstimmensystem aktiv beworben wird.
Erfreut zeigte sich Westenthaler darüber, dass mit der vorliegenden Gesetzesnovelle die immer wieder diskutierte
Einführung eines Mehrheitswahlrechts vorerst vom Tisch ist. Ein Mehrheitswahlrecht würde kleine Parteien
benachteiligen, hob er hervor. Generell sprach er sich für die Forcierung von E-Voting aus.
Abgeordneter Christoph Hagen (T) meinte für das Team Stronach, die Gesetzesnovelle sei alles andere als beschlussfähig.
Er vermisst stärkere direktdemokratische Elemente im Wahlrecht.
Abgeordneter Walter Rosenkranz (F) hielt zur Kritik der Grünen fest, man werde den mündigen Wähler
nicht verhindern können und müsse diesem selbst die Entscheidung überlassen, ob er sich von einem
Kandidaten oder einer Kandidatin besser im Nationalrat vertreten fühlt. Was die stärkere Gewichtung von
Vorzugsstimmen betrifft, richtete er eine kleine Spitze gegen das Team Stronach und meinte, die neuen Bestimmungen
würden jemandem, der von Vornherein sage, er werde ein Mandat nicht annehmen, natürlich nichts nutzen.
Skeptisch äußerte sich Rosenkranz zum E-Voting: solange Sicherheitsfragen nicht lückenlos geklärt
werden können, solle man die Finger davon lassen.
Staatssekretär Sebastian Kurz begrüßte es ausdrücklich, dass bei Wahlen Personen direkt unterstützt
werden können. Man hätte seiner Ansicht nach mit der Gesetzesnovelle weiter gehen und die Hürden
für eine Vorreihung durch Vorzugsstimmen weiter senken können, sagte er, die Gesetzesnovelle sei trotzdem
ein Schritt in die richtige Richtung. Die Anregung der Abgeordneten, die Vergabe von Vorzugsstimmen zu bewerben,
werde das Innenressort gerne aufnehmen, betonte er. Die von Abgeordneter Schwentner vorgebrachte Idee, die Vergabe
von zwei Vorzugsstimmen zu erlauben, eine davon verpflichtend an eine Frau, wertete Kurz als skurril.
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