Ein Stararchitekt und seine Wohnbauten an der Wiener Ringstraße – von 14. Mai bis 17.
August 2013 im WAGNER:WERK Museum Postsparkasse
Wien (kunstnet) Aus Anlaß des 200. Geburtsjubiläums des dänisch-österreichischen Ringstraßenarchitekten
Theophil Hansen zeigt das WAGNER:WERK Museum Postsparkasse vom 14. Mai bis 17. August 2013 die Ausstellung "Theophil
Hansen 1813 – 2013". Ein Stararchitekt und seine Wohnbauten an der Wiener Ringstraße. Präsentiert
werden Skizzen und Entwurfszeichnungen, Pläne, Fotos, Möbel und kunstgewerbliche Einrichtungsgegenstände
von zahlreichen in- und ausländischen Leihgebern.
Theophil Hansen, 1813 in Kopenhagen geboren, gehört zu jenen Architekten, die Wien in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts am stärksten geprägt haben. Der Fall der alten Stadtbefestigung und der Bau der
Ringstraße – sichtbarer Ausdruck der Entwicklung Wiens zur modernen Großstadt ebenso wie des Aufstiegs
des Bürgertums – gab Theophil Hansen die Möglichkeit, einige der wichtigsten Repräsentativbauten
der Haupt- und Residenzstadt zu planen. Zugleich wird die Ringstraße als europäisches Projekt erfahrbar.
Ziel war ein Gesamtkunstwerk als sichtbarer Ausdruck der neuen gesellschaftlichen Bedingungen – eine Parallele
zum späteren Werk Otto Wagners, ja selbst zu Wagners Schülern im späteren Gemeindebau des Roten
Wien. Die Ausstellung konzentriert sich daher auf Hansens Wohnbauten und bezieht seine öffentlichen Bauten
insoweit mit ein, als sie zum Verständnis des kulturhistorischen – und immanent politischen – Anspruchs dieser
Bauten beitragen.
Die Wiener Ringstrasse – Ein europäisches Projekt
Mit kaiserlichem Handschreiben vom 20. Dezember 1857 an Innenminister Bach verfügte Franz Josef – gegen den
Widerstand der Armeeführung, die eine neuerliche Revolution fürchtete – den Abbruch der Stadtbefestigung.
Damit wurde der größte Stadtumbau in der Geschichte Wiens ausgelöst. Ein europaweiter Wettbewerb
lieferte den „Grundplan“ für den Bau des Prachtboulevards auf dem ehemaligen Glacis. Noch im Weltausstellungsjahr
1873 war ein Großteil Wiens Baustelle. Zugleich wurde damit das Stadtwachstum beschleunigt – die Einwohnerzahl
stieg innerhalb der nächsten 50 Jahre von 400.000 auf zwei Millionen.
Die Eröffnung der Ringstraße erfolgte am 1. Mai 1865. Lediglich der Schottenring wurde erst in den 1880er-Jahren
fertig gestellt. Theophil Hansens mehrgeschossige Blockbebauung im Stil der „Wiener Renaissance“ wurde zum Vorbild
für die gesamte Stadterweiterung, zu Hunderten wiederholt in den Vorstädten und Vororten. Gesellschaftspolitisch
symbolisiert die Wiener Ringstraße vor allem den Anspruch des erstarkten Bürgertums auf sichtbaren Ausdruck
seiner – primär ökonomischen – Macht. Dies galt zunächst für die öffentlichen Bauten;
zur Machtdemonstration des Großbürgertums und „Industrieadels“ gehörte aber vor allem der repräsentative
Wohnbau. Insbesondere in den Bauten der Bankiers- und Industriellenfamilien Epstein, Todesco und Ephrussi wird
dabei augenscheinlich, wie sehr die „antiken“ Formen der öffentlichen Bauten auch im Inneren der Wohnungen
eingesetzt wurden, um deren Repräsentationsanspruch zu unterstreichen.
Mit dem als „schönstes Zinshaus der Welt“ gepriesenen Heinrichhof gegenüber der Oper und der Zinshausgruppe
am Schottenring schuf Hansen den Typus des bürgerlichen Mietshauses, dessen Blockbauweise und Renaissance-Fassaden
künftig praktisch das gesamte gründerzeitliche Stadtbild Wiens prägen sollten.
Theophil Hansen gab dem Bürgertum seinen eigenen Stil; zugleich bestand er auf einer Internationalisierung
der Architektur, die zu einer einheitlichen Form der kontinentaleuro-päischen Großstadt führen
sollte. Tatsächlich kann die Wiener Ringstraße als ein Projekt von europäischer Dimension beschrieben
werden: Nicht nur rekrutierte sich die Mehrzahl der Financiers und Bauherren aus dem Kreis der „Zuwanderer“; auch
die Architekten waren überwiegend „Ausländer“ – darunter Ludwig von Förster, Gottfried Semper, Friedrich
von Schmidt, August Sicard von Siccardsburg und Theophil Hansen.
Die bürgerlichen Auftraggeber Theophil Hansens und dere Palais
Simon Georg von Sina
Der griechische Gesandte in Wien gehörte bereits in Athen zu Hansens wichtigsten Förderern. Er war
maßgeblich an der Einladung Hansens nach Wien durch Ludwig von Förster beteiligt. Sina unterstützte
den griechischen Freiheitskampf und die griechische Gemeinde in Wien. Zu Hansens Bauten für Sina gehören
Palais in Wien und Venedig sowie der Erweiterungsbau der griechischen Kirche am Fleischmarkt. Der Bankier galt
als der zweitreichste Mann Österreichs nach Rothschild.
Ignaz von Ephrussi
Die Familie Ephrussi stammte aus der jüdischen Gemeinde in Odessa und baute in Paris und Wien große
Handels- und Bankhäuser auf. Ignaz von Ephrussi beauftragte 1869 Theophil Hansen mit dem Bau seines Zinspalais
am Franzensring (heute: Universitäts-ring), das mit seiner prächtigen Ausstattung, der umfangreichen
Bibliothek und der bedeutenden Kunstsammlung zum Mittelpunkt der großbürgerlichen „Zweiten Gesellschaft“
wurde. Das Bankhaus überstand den Börsenkrach 1873 und die Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre. 1938 wurde
es arisiert; Ignaz´ Schwiegertochter Emmy beging Selbstmord, seinem Sohn Viktor gelang die Flucht nach England.
Das gesamte Vermögen wurde geraubt und nach 1945 nur zu einem geringen Teil restituiert.
Gustav von Epstein
Die Familie Epstein kam aus dem wohlhabenden jüdischen Bürgertum Prags. Gustav übernahm 1857
die Wiener Niederlassung des Handelshauses und wandelte dieses in eine Privatbank um. Epstein war auch Direktor
der Nationalbank, Mitglied des Börsenvereins und Vorstandsmitglied der Israelitischen Kultusgemeinde. Er
förderte soziale und kulturelle Projekte wie die Gesellschaft der Musikfreunde. Das von Theophil Hansen errichtete
Palais (mit dem jungen Otto Wagner als ausführenden Baumeister!), eines der ersten und prächtigsten am
Ring, verlor er in Folge des Börsenkrachs 1873. Als Epstein 1879, erst 51jährig, starb, war vom enormen
Reichtum des Bank- und Handelshauses so gut wie nichts geblieben.
Eduard von Todesco
Die aus Rumänien stammende jüdische Familie Todesco (ursprünglich Todescu) war Anfang des 19.
Jahrhunderts nach Wien gekommen. Eduard übernahm 1848 die Textilfabrik in Marienthal. Das noch kleine Handelshaus
wandelte er in eine Privatbank um, die in der Folge wichtige Infrastrukturprojekte finanzierte. Im prachtvollen
Ambiente des von Ludwig von Förster und Theophil Hansen erbauten Palais gegenüber der Hofoper führte
Eduards Ehefrau Sophie geb. Gomperz einen der bekanntesten Wiener Salons, in dem später u.a. Johann Strauß
und Hugo von Hofmannsthal verkehrten. Durch Verheiratung seiner Töchter war Eduard von Todesco mit den Familien
Lieben und Oppenheimer – letztere wohnten ebenfalls im Palais – verbunden.
Heinrich von Drasche
1811 in Brünn geboren, übernahm Heinrich Drasche die Ziegelfabrik seines Onkels Alois Miesbach am
Wienerberg und baute sie zum größten Ziegelwerk Europas aus. Außerdem kaufte er zahlreiche Grundstücke
an und ließ fast 400 Zinshäuser errichten – darunter den von Theophil Hansen geplanten Heinrichhof gegenüber
der Hofoper. Um die Jahrhundertwende beschäftigen die 1869 in eine Aktiengesellschaft umgewandelten Ziegelwerke
etwa 8.000 Arbeiter. Die Arbeitsbedingungen waren allerdings berüchtigt und wurden durch Studien Victor Adlers
über „die Sklaven vom Wienerberg“ öffentlich bekannt. 1870 wurde Drasche in den Adelsstand erhoben. Nach
seinem Tod 1880 übernahm sein Sohn Richard das Unternehmen.
Theophil Hansen – Das Gesamtkunstwerk
Theophil Hansen widmete sich im Rahmen seiner Tätigkeit als Architekt in Wien auch der kompletten Innenraumgestaltung,
die die gesamte Bauausstattung, Fenstergitter, Geländer, Beleuchtungskörper, Tapeten und Möbel umfassen
konnte. Durch seine Ausbildung in Kopenhagen und einen mehrjährigen Aufenthalt in Athen verfügte Hansen
bereits über das nötige Rüstzeug als Gestalter von Gebrauchsgegenständen. Bei seinen Möbelentwürfen
wandte der Architekt eine persönliche Formensprache an, die sich durch eine klare, sehr feine Detaillierung,
der konsequenten Tektonik des Gesamtaufbaus und der Einbeziehung von vollplastischen Einzelmotiven wie Akanthusranken,
Delphinen, Sphingen oder Putti auszeichnet.
Hansen entwickelte seine Möbelentwürfe immer für konkrete Auftraggeber und im direkten Bezug zu
den von ihm gestalteten Räumen. Abgesehen von den bereits angeführten Bankiersfamilien zählen auch
Kunsthandwerker und Industrielle, die als Produzenten hochwertiger kunstgewerblicher Erzeugnisse aktiv an der Wiener
Kunstgewerbereform beteiligt waren, zu Hansens Auftraggebern. Diese betrauten Künstler sowohl mit der Gestaltung
ihrer Produkte als auch mit der Ausstattung ihrer Wohnungen und Geschäfte. Mit Lobmeyr verband Hansen eine
besonders intensive Zusammenarbeit: neben zahlreichen Glasgegenständen für die Firma entwarf der Künstler
auch die Wohnungseinrichtung des Firmenbesitzers Ludwig Lobmeyr.
Die Auftraggeber spielten insgesamt eine wesentliche Rolle. Simon Georg Freiherr von Sina d.J. vertraute ebenso
Hansens Geschmack wie Erzherzog Leopold Ludwig, in dessen Schloss Hernstein er auch für die bewegliche Ausstattung
– vom Altargerät bis zur Schreibtischgarnitur – verantwortlich zeichnete. Theophil Hansen musste dabei seine
gestalterischen Ideen mit den persönlichen Wünschen der Kunden in Einklang bringen. Der konstruktive
Aufbau und die Auseinandersetzung mit Vorbildern und Stilzitaten waren dem Künstler auch bei den kunstgewerblichen
Arbeiten ein Anliegen.
Darüber hinaus lieferte er Entwürfe für Tischgerät, Bestecke, Glasservice, Geschirr, Tischtücher,
aber auch Schmuckstücke und besondere Ehrengaben wie Pokale und Prunkeinbände. Dadurch war Hansen mit
den bedeutenden Firmen der Wiener Ringstraßenzeit in Kontakt: die Bronzewarenfabrik Hollenbach’s Erben, die
erwähnte Glasfirma J.& L. Lobmeyr, der Juwelier A.E.Köchert, der Silberschmied Mayerhofer & Klinkosch
u.a.
In der Ausstellung werden Möbel und Objekte aus dem Palais Epstein, aus der Wohnung Lobmeyr und aus Schloss
Hernstein in NÖ zu sehen sein.
Eine vielschichtige Beziehung: Theophil Hansen und Otto Wagner
Otto Wagners Auseinandersetzung mit dem Klassizismus und Theophil Hansen zeigen sich deutlich in Wagners früher
Schaffensperiode – hier finden sich bei Wagner sogar zitathafte Übernahmen Hansenscher Lösungen. Das
ist auch nicht weiter verwunderlich. Wagner fungiert ab 1868 beim Hansenschen Palais Epstein, in dem Hansen idealtypisch
die Gestaltungsprinzipien des Wiener Zinspalais an der Wiener Ringsstraße ausformuliert, als ausführender
Baumeister. Hier hatte sich Wagner erstmals mit der Bauaufgabe des großbürgerlichen Zinspalais auseinanderzusetzen.
Er lernt nicht nur, wie der Grundriss der noblen Beletagewohnung für den Bauherrn mustergültig zu organisieren
und dessen Repräsentationsanspruch nach außen mit der Fassade einzulösen sind, sondern insgesamt,
wie ein vielschichtiges funktionales und gleichzeitig repräsentatives Ganzes darüber hinaus zu einem
Gesamtkunstwerk wird und dies, ohne die bei einem Zinspalais immer eine Rolle spielenden ökonomischen Überlegungen
zu vernachlässigen.
Ideal und monumental verwirklicht hat Theophil Hansen seine Konzeption eines Gesamtkunstwerkes mit dem historistischen
Monumentalbau an der Wiener Ringstraße schlechthin, dem Wiener Parlament. Ein solches Bauwerk wird Otto Wagner
erst kurz nach 1900 mit dem Gebäude der Postsparkasse gelingen. Architektonisch und stilistisch alle Wagnerschen
Vorstellungen von „Moderne“ innen und außen dem Betrachter präsen-tierend, bleiben trotz seiner totalen
Absage an den Historismus bei der Postsparkasse wichtige Verbindungen zu Theophil Hansen weiter bestehen. Wie das
Parlament ist auch die Postsparkasse durchdrungen von der Idee des Gesamtkunstwerkes – Otto Wagner entwirft hier
ebenso jedes Möbel selbst; alle Interieurs bis zu den Türklinken und Teppichen werden nach seinen Entwürfen
eingerichtet. Aus dem Diskurs mit den Gestaltungsprinzipien von Theophil Hansen kommt Wagner zu seiner modernen
Architektur.
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