Jülicher Wissenschaftler weisen Schlüsselregion für soziale Urteile nach
Jülich (forschungszentrum) - Ein Blick, ein Satz - es dauert nicht einmal Sekunden, dann haben wir
ein erstes Urteil über unser Gegenüber gefällt. Dabei spielen verschiedene Eindrücke eine Rolle.
Jülicher Wissenschaftler haben untersucht, welche Hirnareale aktiv sind, wenn Menschen Stimmen beurteilen.
Ihre Erkenntnis: Es ist dieselbe Region, die auch tätig wird, wenn wir Gesichter einschätzen. Aus Sicht
der Forscher muss es daher im Gehirn eine Schlüsselregion für soziale Bewertungen geben - unabhängig
davon, ob wir sie anhand der Stimme oder des Gesichtes treffen.
Kontakte und Beziehungen zu unseren Mitmenschen sind für uns lebensnotwendig. Doch nicht jeder oder jede darf
uns näher kommen. Wir bewerten und wählen aus, etwa ob jemand als künftiger Lebens- oder Geschäftspartner
in Frage kommt. Dabei geht es vor allem um die Bewertung von Eigenschaften wie Attraktivität und Vertrauenswürdigkeit.
"Bislang hat sich die Forschung allerdings vorwiegend damit beschäftigt, wie wir Gesichter diesbezüglich
einschätzen. Stimmen spielen aber eine ebenso bedeutende Rolle", sagt der angehende Mediziner Lukas Hensel,
der am Jülicher Institut für Neurowissenschaften und Medizin für seine Doktorarbeit forscht und
dort eng mit Prof. Simon Eickhoff, Prof. Karl Zilles, Dr. Veronika Müller und Dr. Danilo Bzdok zusammenarbeitet.
Bei einem Experiment des Teams haben 44 gesunde Erwachsene beurteilt, wie attraktiv und vertrauenswürdig sie
verschiedene Stimmen finden. Dabei lagen die Versuchspersonen in einem Magnetresonanztomographen (MRT), mit dessen
Hilfe die Gehirnaktivität gemessen wurde. Immer wenn die Probanden ihre Entscheidung fällten, war eine
bestimmte Region aktiv, der sogenannte dorsomediale Präfrontalkortex (dmPFC) im vorderen Bereich des Gehirns.
Genau das hatten die Jülicher Forscher auch festgestellt, als sie kurz zuvor den gleichen Versuch mit Gesichtern
durchgeführt hatten. "Diese Region steht schon länger im Verdacht, eine Schlüsselfunktion für
unsere soziale Verarbeitung inne zu haben. Unsere Forschung hat das nun bestätigt", betont Prof. Eickhoff.
Als nächstes wollen die Forscher noch mehr über die zu Grunde liegenden Netzwerke herausfinden, zum Beispiel,
wie welche Hirnregionen zusammenwirken, damit letztlich ein Urteil entsteht. Von ihren Ergebnissen erhoffen sie
sich darüber hinaus neue Erkenntnisse über psychische Krankheiten wie Autismus, Schizophrenie und Depression.
Bei Menschen, die unter Autismus leiden, hat man festgestellt, dass die Funktionsweise des Gehirns gestört
ist. So können sich Autisten zum Teil nicht in andere Menschen hinein versetzen. Bei ihnen arbeitet der dorsomediale
Präfrontalkortex, der bei solchen Perspektivwechseln normalerweise aktiv ist, nicht wie gewünscht. Möglicherweise
ist unter bestimmten Voraussetzungen die Kommunikation dieser Region mit anderen Hirnarealen gestört. Dies
könnte erklären, warum man bei Patienten mit Autismus oder Schizophrenie verschiedene Beeinträchtigungen
der sozialen Interaktion beobachtet hat. So erwidern autistische Kinder oftmals nicht das Lächeln ihrer Eltern
oder strecken ihnen nicht die Arme entgegen, um hochgehoben zu werden.
Die Jülicher Wissenschaftler stellen ihre Ergebnisse im Rahmen der 57. Wissenschaftlichen Jahrestagung der
Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN) vor, die vom 21.
bis 23. März in Leipzig stattfindet. Auf der Pressekonferenz zur Tagung der DGKN am 21. März von 12.45
bis 13.45 Uhr wird Prof. Eickhoff die Arbeit ausführlich erläutern.
|