Von 19.03. bis 30.03.2013 im Oberen Belvedere
Wien (belvedere) - Im Rahmen der 2007 initiierten Ausstellungsreihe Intervention lädt das Belvedere
regelmäßig österreichische und internationale Künstler ein, ortsspezifische Arbeiten in Bezug
zur Architektur, zur Sammlung und zur Geschichte des Hauses zu entwickeln. Nach Werken von Gudrun Kampl, Brigitte
Kowanz, Franz Kapfer, Tillman Kaiser oder Lisa Oppenheim und Agnieszka Polska präsentiert das Museum ab 20.
März eine Intervention von Gerold Tusch. Ausgehend von der Auseinandersetzung mit dem Formenvokabular barocker
Bauplastik hat der österreichische Künstler großdimensionale Keramikobjekte im Bereich der Prunkstiege
sowie der Schlosskapelle des Oberen Belvedere gestaltet.
Zeitgenössische Positionen aus historischem Formenrepertoire
In seiner künstlerischen Praxis inszeniert Gerold Tusch historisches Formenrepertoire aus einem zeitgenössischen
Verständnis heraus und lenkt so die Aufmerksamkeit auf die etwas überholten Genres von Dekor und Kunsthandwerk,
die zumeist eine Nebenrolle in der Kunstgeschichte eingenommen haben. Häufig bedient er sich barocker Formen,
denen - weil sie hauptsächlich der Repräsentation oder Glorifizierung dienten - oftmals lediglich die
Rolle zierenden Beiwerks zugeschrieben wird. In einem Prozess des Herauslösens und Neuverhandelns dieser Formen
entwickelt Tusch eigenständige Positionen. Er löst ornamentale oder dekorative Objekte wie Prunkvasen,
Arabesken, Rocaillen oder vielfältige florale und vegetabile Elemente aus ihrem Kontext, isoliert sie, prüft
ihre formale wie inhaltliche Wirkung und setzt sie gestalterisch ein. Durch die Emanzipation vom ursprünglichen,
zweckgebundenen Zusammenhang entstehen eigenständige Formen, die der Künstler in keramischen Skulpturen
ausarbeitet.
"Gerold Tuschs Arbeiten wurden bereits in zahlreichen Ausstellungen, zumeist im Rahmen von sogenannten white
cubes, gezeigt. Wenn der Künstler historische Formen mit einem zeitgenössischen Verständnis neu
inszeniert, ergibt sich im Fall der Intervention im Schloss Belvedere aber eine einzigartige Situation: Die aus
dem ursprünglichen Kontext befreiten Elemente werden an diesem Ort zu ihrem formalen Ausgangspunkt zurückgeführt
und mit diesem konfrontiert - die Resultate einer Reflexion über barocke Formen und deren Aufgaben treffen
hier auf Barock in seiner höchsten Form", erklärt Agnes Husslein-Arco, Direktorin des Belvedere.
"Diese Verschiebungen von Form, Funktion, Farbe und Material sowie Dimension und Symmetrie innerhalb des barocken
Ensembles prüfen die Sehgewohnheiten und die Erwartungen an das Dekorative", führt Véronique
Aichner, Kuratorin der Intervention, weiter aus. Darüber hinaus stellt die Intervention eine Verbindung zu
der im Unteren Belvedere gezeigten Ausstellung Barock since 1630 her, die zum Ausdruck bringt, dass Barock kein
Schwelgen in der Vergangenheit, sondern Basis für die Moderne ist.
Umwidmung barocker Bauplastik und Skulptur
Im Rahmen der Intervention im Oberen Belvedere hat sich Gerold Tusch intensiv mit dem Formenrepertoire barocker
Bauplastik auseinandergesetzt und Positionen entwickelt, die das Historische mit zeitgemäßen Paraphrasen
konfrontieren. So werden Stuckwolken, die oftmals als Dekor die Pracht barocker Kirchenräume betonen sollten,
in eine neue künstlerische Form überführt und barocke Prunkvasen erleben eine neue Ausrichtung.
"Mit dem Zugang zur Empore der Schlosskapelle sowie der Prunkstiege hat der Künstler natürlich auch
ganz besondere Stellen innerhalb der barocken Anlage als Orte für sein künstlerisches Eingreifen gewählt",
erläutert Véronique Aichner. Mit dem großflächigen Wolkenobjekt Gloria II beim Zugang zur
Empore der Schlosskapelle greift Tusch gezielt das Sujet des Wolkenbildes als bedeutendes Element der Barockmalerei
und -skulptur auf. Bei Darstellungen der Apotheose - der Überwindung des irdischen Lebens und Aufnahme in
den transzendenten Raum - spielt es als Motiv eine zentrale Rolle. Gerold Tusch überführt die Wolke in
eine neue Form, die durch ihre räumliche Nähe zum himmlischen Raum der Schlosskapelle zu dessen zeitgemäßer
Entsprechung und Erweiterung wird. Die zwei leerstehenden Nischen der Prunkstiege bespielt Tusch mit Objekten,
die sich als neuartige Umwidmung der barocken Prunkvase verstehen. Ihr Titel Die drei Gorgonen lässt einen
Bezug zur thematischen Ausrichtung der Stiege herstellen, welche Alexander dem Großen gewidmet ist: Der hellenistischen
Überlieferung zufolge war die Gorgone ursprünglich die Schwester des antiken Feldherren. Das Sujet auf
spielerisch-ironische Weise aufgreifend folgt Tusch einer weiteren Quelle der nachhomerischen Dichtung, welche
von drei Gorgonen berichtet, und wählt die Dreizahl für seine Vasenobjekte, die in ihrer skulpturalen
Ausarbeitung einen Bruch zur Symmetrie der barocken Anlage darstellen.
Zeitgenössische Kunst im Belvedere
Das Belvedere präsentiert ganzjährig in der vom Barockarchitekten Johann Lucas von Hildebrandt für
den Bauherrn Prinz Eugen von Savoyen entworfenen und im Jahr 1723 fertiggestellten Sala terrena zeitgenössische
Kunst. Nach zwei Renovierungsphasen in den Jahren 2009 bis 2011, in denen die Sala terrena nach intensiver Forschungstätigkeit
und in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesdenkmalamt restauriert und in ihren Originalzustand rückgeführt
wurde, wird dort seit Sommer 2010 Franz Wests Arbeit Endlich zwei gute Skulpturen (2002) präsentiert.
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