Brüssel (ec.europa) - Um zu sondieren, wie der Rechtsschutz für Verbraucher und Gewerbetreibende in
grenzübergreifenden Fällen mit geringem Streitwert gestärkt werden kann, hat die Europäische
Kommission heute ein öffentliches Konsultationsverfahren eingeleitet. Mit dem Europäischen Verfahren
für geringfügige Forderungen können grenzüberschreitende Rechtsstreitigkeiten mit einem Streitwert
unter 2000 EUR billig und einfach geregelt werden. Die Verbraucher können auf dieses Verfahren zurückgreifen,
um ihre Rechte durchzusetzen, wenn beispielsweise in einem anderen EU-Land bestellte Waren nicht geliefert wurden.
Wie jedoch ein im vergangenen Jahr veröffentlichter Bericht des Netzes der Europäischen Verbraucherzentren
(EVZ-Netz) zeigt, ist dieses benutzerfreundliche Verfahren einer breiten Öffentlichkeit noch unbekannt und
wird noch nicht oft genug genutzt. Die Europäische Kommission fordert nun Verbraucher, Unternehmen und die
breite Öffentlichkeit auf, ihre Meinung zur derzeitigen Handhabung dieses Verfahrens darzulegen und Vorschläge
zu unterbreiten, wie es verbessert, vereinfacht oder modernisiert werden könnte. Auf diese Weise soll das
Vertrauen in grenzübergreifende Geschäfte gestärkt werden, damit Verbraucher und Unternehmen die
Möglichkeiten des europäischen Binnenmarktes voll ausschöpfen können.
Vizepräsidentin und EU-Justizkommissarin Viviane Reding sagte dazu: „Verbraucherinnen und Verbraucher können
dank des EU-Binnenmarktes grenzüberschreitend nach den günstigsten Angeboten Ausschau halten. Das Internet
macht die Suche nach solchen Angeboten heutzutage sogar noch einfacher. Doch manchmal geht etwas schief, und es
gibt Beanstandungen bei den Waren oder Probleme mit der Lieferung. In solchen Fällen sollten Verbraucher ihre
Rechte in Europa wirksam durchsetzen können, ohne komplizierte, teure und langwierige Gerichtsverfahren anstrengen
zu müssen. Deswegen hat die EU ihnen den Rechtsschutz erleichtert“.
Die heute eingeleitete Konsultation wird bis 10. Juni 2013 dauern. Anschließend wird die Kommission die eingegangenen
Beiträge auswerten und vor Ende 2013 einen Bericht über die Erfahrungen der ersten fünf Jahre seit
Einführung des Verfahrens vorlegen, gegebenenfalls zusammen mit einem Vorschlag für eine Überarbeitung
der Verordnung. Der Fragebogen enthält Fragen zur praktischen Handhabung des Verfahrens und zu Verbesserungsmöglichkeiten.
So möchte die Kommission beispielsweise erfahren, ob die Beteiligten eine Anhebung des Höchstbetrags
über 2000 EUR, die elektronische Übermittlung von Schriftstücken für Gerichtsverfahren oder
eine Regulierung der Gerichtsgebühren für sinnvoll halten.
Rund 20 % der europäischen Verbraucher gaben an, dass sie in Inlandsmärkten in den zwölf Monaten
zuvor Probleme mit einer Ware, einer Dienstleistung, einem Händler oder einem Dienstleister hatten. Der durchschnittliche
Verlust betrug dabei schätzungsweise 375 EUR. 60 % der Befragten gelang es, direkt mit dem Unternehmen eine
zufriedenstellende Lösung zu finden. Die restlichen 40 % gingen leer aus, wobei 25 % nicht einmal versucht
hatten, sich zu beschweren. Nur sehr wenige Verbraucher (2 % derjenigen, bei denen in den zwölf Monaten zuvor
ein Problem aufgetreten war) verklagten das Unternehmen. Viele beschwerten sich nicht, weil es um zu geringe Summen
ging (26 %) oder weil ihrer Ansicht nach das Verfahren im Verhältnis zum Streitwert zu teuer (13 %) oder zu
langwierig gewesen wäre (12 %).
Genau für diese Fälle wurde das Verfahren für Bagatellforderungen eingeführt. Allerdings ist
es bisher kaum bekannt und wird selten genutzt. Die Europäische Kommission arbeitet deshalb gemeinsam mit
den Mitgliedstaaten daran, den Bekanntheitsgrad des Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen
zu erhöhen und die Vollstreckung der getroffenen Entscheidungen zu gewährleisten. Ferner arbeitet sie
mit den Gerichten und den europäischen Verbraucherzentren zusammen, um das Verfahren bei Verbrauchern und
Richtern bekannt zu machen.
Ein erfolgreiches Beispiel aus der Praxis
Ein österreichischer Verbraucher bestellte Surfbekleidung auf einer deutschen Website. Er überwies dem
Händler im Voraus 228 EUR. Weder lieferte der Händler die bestellten Artikel, noch zahlte er dem Verbraucher
den Kaufpreis zurück. Der Verbraucher strengte daraufhin ein Europäisches Verfahren für geringfügige
Forderungen an. Das Gericht in Linz erließ ein Urteil zugunsten des Verbrauchers, das von den deutschen Behörden
in Charlottenburg vollstreckt wurde. Der Verbraucher erhielt den gezahlten Betrag zurück.
Hintergrund
Das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen (Verordnung (EG) Nr. 861/2007) soll den Zugang
zur Justiz erleichtern, indem es grenzüberschreitende Gerichtsverfahren bei geringfügigen zivil- und
handelsrechtlichen Ansprüchen vereinfacht und die damit verbundenen Kosten senkt. Es soll den Rechtsschutz
von Verbrauchern und den Zugang zur Justiz in grenzüberschreitenden Angelegenheiten stärken. Das Verfahren
trat am 1. Januar 2009 in Kraft.
„Geringfügige Forderungen“ sind Rechtssachen mit einem Streitwert bis 2000 EUR ohne Zinsen, Kosten und Auslagen
(zum Zeitpunkt des Eingangs beim zuständigen Gericht). Das Urteil ergeht in dem Wohnsitzstaat des Verbrauchers
oder – auf Wunsch des Verbrauchers – in dem Land des beklagten Unternehmens. Es schützt die Verfahrensrechte
der Verbraucher und ist im Land der unterlegenen Partei und in jedem anderen EU-Mitgliedstaat unmittelbar vollstreckbar.
Das Verfahren wird vorwiegend schriftlich anhand standardisierter Formulare durchgeführt. Eine Vertretung
durch einen Anwalt ist nicht vorgeschrieben.
Seit Jahresbeginn können Verbraucher in sieben Mitgliedstaaten (Portugal, Estland, Frankreich, Deutschland,
Niederlande, Tschechische Republik und Österreich) im Rahmen eines Pilotprojekts das Formular für geringfügige
Forderungen im Internet ausfüllen und das Verfahren online über das Europäische Justizportal abwickeln. Elektronische Fassungen der Formulare stehen bereits
in 22 EU-Amtssprachen zur Verfügung.
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