Roma in Österreich: 20 Jahr Anerkennung als Volksgruppe
Wien (pk) - "Wir sind vom Rand der Dörfer in die Mitte gerückt", beschrieb Prof. Rudolf
Sarközi kürzlich die Entwicklung der österreichischen Roma seit deren Anerkennung als Volksgruppe
im Jahr 1993. Am 08.04., dem Internationalen Roma-Tag, lud Nationalratspräsidentin Barbara Prammer gemeinsam
mit VertreterInnen der österreichischen Roma - allen voran Prof. Rudolf Sarközi - prominente Gäste
zu einer Festveranstaltung unter dem Titel "20 Jahre Anerkennung der Roma als sechste Österreichische
Volksgruppe" in das Parlament ein. Die Veranstaltung beleuchtete die schmerzvolle Geschichte der Roma, die
erfolgreichen Bemühungen um Sprache und Kultur der Volksgruppe sowie die aktuellen Herausforderungen in Österreich
und in Europa bei der sozialen Integration dieser Menschen, die lange Zeit Opfer von Diskriminierung und Ausgrenzung
waren und es mancherorts immer noch sind. Die Festrede von Bundespräsident Heinz Fischer enthielt daher einen
Appell zum Kampf gegen Vorurteile und Ausgrenzung.
Prammer: Europäische Roma-Strategie MIT den Roma umsetzen
In ihren einleitenden Ausführungen würdigte die Nationalratspräsidentin die erfolgreiche Arbeit
der Roma-Vereine bei der Stärkung des Selbstbewusstseins der Roma und beim Sichtbarmachen der Volksgruppe.
Mit Freude berichtete Barbara Prammer über gemeinsame Projekte mit Roma-KünstlerInnen im Rahmen der Wiener
Festwochen und bekannte sich dazu, den Internationalen Roma-Tag auch künftig im Parlament zu begehen. Dabei
ist laut Prammer nicht nur über die Erfolge der österreichischen Volksgruppenpolitik, sondern auch über
deren aktuelle Herausforderungen zu sprechen. Und es sollen auch jüngere VertreterInnen der Roma zu Wort kommen,
lautete der Wunsch der Nationalratspräsidentin.
Über die Entwicklung der Volksgruppe gebe es bedauerlicherweise nicht nur Positives zu berichten. In einigen
europäischen Ländern leben die Roma und Sinti nach wie vor unter diskriminierenden Bedingungen am Rande
der Gesellschaft und oft werde ihnen die Existenzberechtigung abgesprochen. Es liege daher in der Verantwortung
der Politik in Österreich und in Europa, gegen die Ausgrenzung der Roma aufzutreten. An dieser Stelle verlangte
Prammer ausdrücklich, die Roma-Strategie der Europäischen Union nicht nur für die Roma, sondern
MIT den Roma umzusetzen. Es liege in der Verantwortung der Mehrheitsbevölkerungen, für die Integration
von Minderheiten zu sorgen und dazu gehörten insbesondere auch ausreichender Wohnraum und Beschäftigungsmöglichkeiten.
Es genüge nicht, den Roma am Internationalen Roma-Tag Wertschätzung auszudrücken, vielmehr gehe
es darum, sie in allen Ländern als Volksgruppe anzuerkennen und jede Form von Diskriminierung und Ausgrenzung
zu überwinden, betonte Prammer.
Steier: Burgenland ist Vorbild beim Zusammenleben der Volksgruppen
Der Präsident des Burgenländischen Landtags Gerhard Steier erinnerte in seinen Grußworten an
die schmerzvolle und demütigende Geschichte der österreichischen Roma, von denen 90% der NS-Gewaltherrschaft
zum Opfer fielen. Landtagspräsident Steier gab seiner Freude darüber Ausdruck, dass in der Geschichte
des Burgenlandes kaum Konflikte zwischen Volksgruppen zu verzeichnen waren. So habe sich das Burgenland zu einem
Vorbild für das Zusammenleben verschiedener Volksgruppen entwickelt. Die Menschen dieses Grenzlandes hatten
immer unter den Folgen von Unruhen zu leiden und haben die Erfahrung gemacht, dass es keine Rolle spiele, welche
Sprache die Menschen sprechen oder welcher Religion sie angehören, wenn man gemeinsam arbeitet und miteinander
lebt. Dennoch seien die Roma lange Zeit am Rande der Gesellschaft gestanden, sagte Steier und würdigte das
Eintreten des ehemaligen Bundeskanzlers Franz Vranitzky und Prof. Rudolf Sarközis für die Anerkennung
dieser Volksgruppe.
Vieles sei geschehen, um Sprache und Kultur der Roma zu pflegen sowie Bildung und soziale Standards zu verbessern.
Man dürfe aber die Augen nicht vor der Realität verschließen, mahnte der burgenländische Landtagspräsident
und fügte abschließend hinzu: "Immer noch leben Angehörige der Volksgruppe am Rande der Gesellschaft.
Wir dürfen daher nicht innehalten. Es bleibt noch viel zu tun, um die soziale Situation der Roma an den Durchschnitt
der Bevölkerung heranzuführen".
Schmied: Immer mehr Roma erreichen höhere Bildungsabschlüsse
Bundesministerin für Unterricht und Kunst Claudia Schmied unterstrich, dass sich die Anerkennung einer Volksgruppe
nicht in einem juristischen Akt erschöpfe und Anerkennung auch mehr sei als die Förderung einer Volksgruppe.
Anerkennung aller Menschen zähle zu den Voraussetzungen einer humanen Gesellschaft und bedeute das Gegenteil
von Unterdrückung und Ignoranz. Während der Zugang der Minderheiten zu Bildung in vielen Ländern
immer noch erschwert sei, wie die Ministerin beklagte, nehme Österreich bei der Integration von Minderheiten
eine Vorreiterrolle ein. Ein Beispiel dafür sei die Volksgruppe der Roma, die vom Rand in die Mitte der Gesellschaft
gerückt sei, was seinen Ausdruck auch darin finde, dass immer mehr junge Mitglieder der Volksgruppe höhere
Bildungsabschlüsse erreichten, berichtete die Unterrichtsministerin.
Fischer erinnert an den Leidensweg der Roma
Bundespräsident Heinz Fischer brachte in seiner Festrede seine Wertschätzung für die Roma zum Ausdruck
und sprach von einem langen und steinigen Weg, den diese Volksgruppe in Österreich bis zu ihrer Anerkennung
und sogar noch danach zurückzulegen hatte. Die Würdigung der Roma und deren Anerkennung als Volksgruppe
verlange aber auch, daran zu erinnern, dass es im 20. Jahrhundert in der Zeit der NS- Diktatur die brutalsten Bemühungen
gegeben hat, diese Volksgruppe physisch auszulöschen, gab Fischer zu bedenken. Das Schicksal der österreichischen
Roma, von denen nur 10% die NS-Vernichtungspolitik überlebt hatten, sei erst in den Achtzigerjahren ein öffentliches
Thema geworden, wobei die Volksgruppe im Februar 1993 durch das Bombenattentat von Oberwart auf besonders tragische
Weise ins Licht der Öffentlichkeit rückte. Kritisch merkte Fischer unter Hinweis auf den Schlussbericht
der Österreichischen Historikerkommission an, die Republik sei in den ersten Jahrzehnten nach Kriegsende zögerlich
mit Rückstellungen oder Entschädigungszahlungen an Roma umgegangen.
Appell zum Kampf gegen Vorurteile und Ausgrenzung
Fischer machte ferner auf den europäischen Aspekt des Schicksals der Roma und Sinti aufmerksam. Mit 12
Millionen Menschen seien die Roma und Sinti die größte ethnische Minderheit in Europa, gehörten
aber zu den am meisten von Armut, Arbeitslosigkeit und Analphabetismus betroffenen Gruppen. In einzelnen europäischen
Ländern komme es noch immer zu Anfeindungen, Benachteiligungen oder gar Gewaltakten gegen Roma und Sinti,
warnte er. Der Bundespräsident hob in diesem Zusammenhang die Bedeutung des EU-Rahmens für nationale
Strategien zur Integration der Roma und Sinti hervor und betonte, Ziel müsse es sein, den Zugang der Angehörigen
der Volksgruppe zu Bildung, Beschäftigung, Gesundheitsfürsorge und Wohnraum zu verbessern.
Fischer sah dabei vor allem das Grundproblem der immer noch tief verwurzelten Vorurteile gegenüber bestimmten
Volksgruppen angesprochen und unterstrich mit Nachdruck, es gelte, diesen Vorurteilen gemeinsam mit aller Kraft
entgegenzutreten. Die Erkenntnis, dass alle Menschen gleich an Rechten und Würde geboren sind, müsse
in die Köpfe aller Eingang finden und zur Selbstverständlichkeit im täglichen Leben werden, stand
für den Bundespräsidenten fest. Dies sei vielleicht immer noch eine Utopie, doch das Bekenntnis dazu
bilde die Voraussetzung, dass diese Utopie zur Realität werden kann, schloss Fischer.
Vranitzky und Sarközi: Aufruf zu weiterem Engagement für die Roma
Zu einer Diskussion nahmen dann gemeinsam mit Bundeskanzler a.D. Franz Vranitzky, Prof. Rudolf Sarközi, der
Gründer des Kulturvereins österreichischer Roma, der Geschäftsführer des Vereins, Andreas Sarközi,
sowie Gitta Martl, Gründerin des Vereins Ketani und dessen Geschäftsführerin Nicole Sevik und Mario
Baranyai, Urenkel von Holocaust-Überlebenden am Podium im festlich geschmückten Sitzungssaal des Nationalrats
Platz. Gemeinsam reflektiert wurde über damalige Voraussetzungen zur Anerkennung der Roma als Volksgruppe,
aber auch über notwendige gegenwärtige und zukünftige Schritte für deren weitere Integration
in alle Bereiche der Gesellschaft.
Eine gute Tat habe immer viele Väter und Mütter, so das Fazit des Bundeskanzlers a.D. Franz Vranitzky
über das politische Zustandekommen der Anerkennung in den 1990iger Jahren. Für den Redner stand jedoch
überdies fest, dass diese Entwicklung untrennbar und besonders mit dem Namen Rudolf Sarközi verbunden
ist. Aber nicht nur die Gespräche mit dem Gründer des Kulturvereins österreichischer Roma habe damals
zur Anerkennung beigetragen, auch internationale Entwicklungen wie das europäische Integrationsprojekt hätten
zu einer anderen atmosphärischen Grundlage geführt, auf deren Basis man ungezwungener und offener agieren
habe können. Nicht zuletzt sei das positive Ergebnis auch der damaligen Bundesregierung und dem Nationalrat
zu verdanken, die dieses Anliegen unterstützten. Geht es jedoch um die Roma-Politik in anderen europäischen
Ländern, plädierte Vranitzky dafür, sich diesem Thema in der EU eingehender zu widmen. Am Zug seien,
stellte Vranitzky fest, die einzelnen Regierungen, um die Botschaft einer humanistischen Vereinigung zu vermitteln.
"Ich bin ins kalte Wasser gesprungen, heute ist es warm", resümierte Prof. Rudolf Sarközi sinnbildlich
die Entwicklung seiner Aktivitäten für das Zustandekommen der Anerkennung der Roma als sechste Volksgruppe
in Österreich und seiner nunmehrigen Arbeit zur gesellschaftlichen Integration der Roma in alle Lebensbereiche.
Es sei die Wut der jungen Menschen über die Ausgrenzung gewesen, die der Motor zur Initiative gewesen sei,
erinnerte sich Sarközi und gab mit seinen Erzählungen Einblick in sein Tun. Persönlich habe er auf
seinem Weg viele Freunde und Unterstützer gefunden, bei denen sich der Redner bedankte. Auch wenn man vom
Rand in die Mitte und damit angekommen sei, so forderte der Gründer des Kulturvereins österreichischer
Roma in seinen Schlussworten, sich der Thematik mitsamt seinen Problemen weiterhin zu stellen.
Im Rahmen der Festveranstaltung, durch die der Historiker Gerhard Baumgartner als Moderator führte, zeichnete
ein Video den "Weg der Anerkennung der Roma als Volksgruppe" nach. Für die musikalische Umrahmung
mit der österreichischen Bundeshymne an der Spitze sorgte das Martin Denic Ensemble.
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