Armuts-
und Ausgrenzungsgefährdung in Österreich stabil
Hundstorfer und Heinisch-Hosek präsentieren Armutsbericht – Erwerbsarbeit ist der
beste Schutz vor Armut - Kinderbetreuung ausbauen, um Frauenarmut zu verringern
Wien (bmask) - Sozialminister Rudolf Hundstorfer und Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek präsentierten
am 12.04. die aktuelle Studie zur Armutsgefährdung und sozialer Ausgrenzung der Statistik Austria "Armuts-
und Ausgrenzungsgefährdung in Österreich". Grundlage dafür bildet die jährlich von Statistik
Austria im Auftrag der EU und des BMASK durchgeführte Erhebung EU-SILC, welche die Einkommen und Lebensbedingungen
in der Europäischen Union dokumentiert. "Die Armuts-und Ausgrenzungsgefährdung in Österreich
bleibt stabil", so die beiden Minister. "Der Schlüssel zu weniger Armut ist und bleibt Erwerbsarbeit.
Wir müssen uns weiter intensiv um Beschäftigung sowie angemessene Wohn- und Lohnbedingungen bemühen
und Rahmenbedingungen für Beschäftigung wie qualitativ hochwertige Kinderbetreuungseinrichtungen mit
flexiblen Öffnungszeiten schaffen", zeigten sich die Hundstorfer und Heinisch-Hosek überzeugt. Zudem
unterstützen die beiden Minister die Forderung der Arbeitnehmervertreter nach einem Mindestlohn in der Höhe
von 1.500 Euro brutto.
Österreich erfüllt das EU-2020 Sozialziel
Trotz der weiterhin anhaltenden sozialen Folgen der Krise konnte die Gesamtzahl der Zielgruppe der Armuts- und
Ausgrenzungsgefährdeten (armutsgefährdete, erheblich materiell deprivierte Personen, erwerbslose Haushalte)
seit 2008 bereits um 125.000 Personen verkleinert werden. "Österreich ist damit auf einem guten Weg,
das für 2018 angestrebte Ziel einer Reduktion um 235.000 Personen zu erreichen. Österreich zählt
zu den wenigen Staaten in der EU, die das EU-Vorhaben einer Verringerung der Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung
auch tatsächlich umsetzen", sagte der Sozialminister.
Die Anzahl der armutsgefährdeten Personen stieg zwar leicht an (12,6 Prozent der Gesamtbevölkerung),
jedoch ist die Zahl der erheblich materiell deprivierten Personen (die sich bestimmte Grundbedürfnisse finanziell
nicht leisten können) seit 2008 um nahezu die Hälfte um knapp 200.000 Betroffene zurückgegangen.
Die mehr als eine Million Armutsgefährdeten haben ein Einkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle,
die 2011 bei 1.066 Euro monatlich (12x jährlich) für einen Einpersonenhaushalt liegt. Seit 2008 stiegen
der Armutsgefährdungsschwellenwert und damit auch der Lebensstandard der meisten Armutsgefährdeten kontinuierlich
an.
Allerdings ist ein sich vergrößernder Abstand der Medianeinkommen von Armuts- und Nicht-Gefährdeten
auf 19 Prozent im Jahr 2011 festzustellen. Ein Grund hierfür liegt darin, dass sich die Erwerbsintegration
für bestimmte Gruppen weiterhin schwierig gestaltet: Die Zahlen der Langzeitbeschäftigungslosen und vor
allem der Erwerbsfernen konnten noch nicht auf das Vorkrisenniveau gesenkt werden.
Steigende Wohnkosten sind wachsendes Problem
"Der hohe Wohnungsaufwand - gemessen am verfügbaren Haushaltseinkommen - ist ein wachsendes Problem",
so Hundstorfer. 19 Prozent der Gesamtbevölkerung und zwei Drittel der Armutsgefährdeten mussten mehr
als ein Viertel ihres Haushaltseinkommens für Wohnen aufwenden, deutlich mehr als im Jahr 2008. 40 Prozent
der MieterInnen geben mehr als ein Viertel ihres Einkommens für Wohnen aus. Der durchschnittliche monatliche
Wohnaufwand einer Familie mit zwei Kindern in einer Mietwohnung liegt bei 800 Euro. Die Wohnkosten sind deutlich
stärker als die generelle Inflationsrate gestiegen.
Erwerbsarbeit wirkt armutsvorbeugend, einige Gruppen benötigen zusätzliche Hilfen
Ein Fokus der diesjährigen Berichterstattung liegt auf Personen, die trotz Erwerbstätigkeit armutsgefährdet
sind. Ca. fünf Prozent der Erwerbstätigen (200.000 Personen) haben trotz Erwerbsarbeit ein Haushaltseinkommen
unter der Armutsgefährdungsschwelle. Insgesamt leben 470.000 Personen in Haushalten, die trotz Erwerbstätigkeit
armutsgefährdet sind. Im europäischen Vergleich ist die Gruppe der armutsgefährdeten Erwerbstätigen
in Österreich jedoch relativ klein, was nicht zuletzt auf den hohen Anteil kollektivvertraglich geregelter
Erwerbsverhältnisse und die Sozialleistungen Österreichs zurückzuführen ist", unterstrich
der Minister.
Die armutsmindernden Effekte von Erwerbsarbeit zeigen sich besonders in Haushalten mit Kindern: In Mehrpersonenhaushalten
mit einem Kind reduziert sich die Armutsgefährdungsquote bei Erwerbstätigkeit der Frau von 14 Prozent
auf vier Prozent, bei Haushalten mit zwei Kindern von 21 Prozent auf sechs Prozent, bei Haushalten mit drei oder
mehr Kindern von 39 Prozent auf 18 Prozent und in Ein-Eltern-Haushalten von 57 Prozent auf 18 Prozent. "Der
beste Schutz gegen Armut ist eine eigene Arbeit. Und zwar eine Vollzeitarbeit, denn Teilzeit kann zur Armutsfalle
werden", so die Frauenministerin. Die relativ hohe Armutsgefährdungsquoten von erwerbstätigen AlleinerzieherInnen
und von kinderreichen Familien mit einer erwerbstätigen Mutter weisen auf die Notwendigkeit hin, neben einer
weiteren Verbesserung der Rahmenbedingungen von Familie und Beruf und einer angemessenen Entlohnung im Niedriglohnbereich
auch die sozialpolitischen Anreize für Erwerbtätigkeit noch stärker auszubauen. "Es braucht
mehr und bessere Kinderbetreuungsplätze. Unser Modell dazu liegt auf dem Tisch, es ist kostenneutral und würde
150 Millionen pro Jahr für den Ausbau der Kinderbetreuung vorsehen. Genau das braucht es, damit Frauen auch
einer Arbeit nachgehen, von der sie auch leben können", so Heinisch-Hosek.
In Österreich gibt es fünf Prozent Working Poor - "das sind fünf Prozent zuviel", so Hundstorfer.
In der der EU zählen neun Prozent der Erwerbsbevölkerung zu den Working Poor. Österreich hat als
einziges Land sowohl eine verhältnismäßig geringe Arbeitslosenzahl also auch eine geringe Zahl
an Working Poor.
"Wir haben eine hohe Beschäftigungsquote, die niedrigste Arbeitslosenquote und niedrigste Langzeitarbeitslosenquote
Europas. Aber auch bei uns steigt Arbeitslosigkeit", sagte Hundstorfer. Daher gelte es, die erfolgreiche aktive
Arbeitsmarktpolitik fortzuführen und eine Wohnbauoffensive zu starten: diese schaffe leistbaren Wohnraum und
Arbeitsplätze und wirke somit doppelt gegen Armut, betonten Hundstorfer und Heinisch-Hosek abschließend.
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Regierungsstrategie gegen Armut und Ausgrenzung wirkt nicht
Öllinger und Schwenter: Grüne Vorschläge für neue Antworten auf reale
Probleme nach Scheitern der Regierung
Wien (grüne) - "Die österreichische Strategie gegen Armut und Ausgrenzung wirkt nicht. Das
ist die Hauptaussage der heute veröffentlichten Zahlen zu Armut und Ausgrenzung für 2011", sagt
Karl Öllinger, Sozialsprecher der Grünen, und ergänzt: "Auch wenn der Minister immer wieder
betont, dass sich der Anstieg der armutsgefährdeten Menschen um fast 50.000 im Bereich der statistischen Schwankungsbreite
befindet, täuscht das nicht darüber hinweg, dass keine Verbesserung der Situation eintritt. Die Regierung
hat sich offenkundig damit abgefunden, dass jeder achte Mensch in Österreich armutsgefährdet ist."
"Die Strategie gegen Armut und Ausgrenzung findet keine wirkungsvollen Antworten auf reale Probleme",
meint Öllinger. "Nachdem das Hoffen auf die Mindestsicherung nicht gefruchtet hat, ist es hoch an der
Zeit, auch noch andere Schritte zu setzen. Dazu zählen ein gesetzlicher Mindestlohn, eine Erhöhung des
Arbeitslosengeldes zumindest auf den EU-Schnitt und staatliche Investitionen in neue Beschäftigung in Zukunftsbranchen
wie Pflege, Bildung, Beratung und Betreuung oder Umwelt."
Geradezu zynisch ist nach Ansicht Öllingers die Tatsache, dass nur 0,9 Prozent des BIP ausreichen würden,
um allen armutsgefährdeten Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen. "Das ist in etwa der
Betrag, der für die Rettung der Hypo-Alpe-Adria aufgewandt wurde. Ich betreibe da keine platte Aufrechnung,
sondern verweise nur auf die Selbstverständlichkeit, mit der das Geld zur Bankenrettung flüssig gemacht
wurde, während im Parlament nur die Grünen dafür eintreten, zusätzliches Geld für den
Kampf gegen Armut und Ausgrenzung, aufzuwenden. Da geht es immerhin um das Leben, die Lebensqualität und die
Lebenschancen von mehr als einer Million Menschen, darunter 331.000 Kinder und Jugendliche", sagt Öllinger.
Alarmierend ist auch der Befund zu den "Working Poor", meint die Grüne Frauensprecherin Judith Schwentner.
Vor allem Frauen sind von prekären Arbeitsverhältnissen und unfreiwilliger Teilzeit betroffen. "Wer
Armut verhindern will, muss Teilzeit aufwerten. Wir brauchen qualifizierte Teilzeitstellen, die Frauen und Männer
in bestimmten Lebensphasen die Chance bieten, Beruf und Familie besser zu vereinbaren. Damit Teilzeit nicht zur
Sackgasse wird, braucht es einen Rechtsanspruch auf einen Wechsel in Vollzeit. Unternehmen sollten Vollzeitstellen
immer zuerst intern ausschreiben müssen", sagt Schwentner.
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