FH-Projekt erfasst und analysiert akustische Umwelt
St. Pölten (fhstp) - Uns umgebende Klänge und Geräusche sind Spiegelbild unserer Kultur,
unserer Gesellschaft. Während unsere Welt zunehmend von akustischer Umweltverschmutzung geprägt ist,
drohen akustische Ereignisse, die unsere (Hör)kultur über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte prägten,
an Bedeutung zu verlieren oder gar in Vergessenheit zu geraten: Kirchturmgeläute, Posthorn, Geräusche
von alten Handwerkzeugen und mechanischen Geräten. Das Forschungsprojekt "Klänge der Regionen"
des Instituts für Creative\Media/Technologies (IC\M/T) der FH St. Pölten erforscht und dokumentiert die
akustische Umwelt Niederösterreichs. Dadurch soll der Umgang mit dieser bewusster werden – individuell und
auf Seiten der Raumplanung. Im Klangturm St. Pölten bilden die Ergebnisse des Projekts das Zentrum der Ausstellung
2013. Heute wird die Ausstellung eröffnet.
Hörschäden, Tinnitus, Herz-Kreislauf-Krankheiten: Sie alle können Folge der (immer stärker
werdenden) Lärmbelastung unserer zunehmend technisierten Welt sein. Laut einer aktuellen Studie der Weltgesundheitsorganisation1
kosten Beeinträchtigungen durch Lärm den EuropäerInnen jährlich in Summe mehr als eine Million
gesunde Lebensjahre. Kinder, die in einer lärmbelasteten Umgebung aufwachsen, beginnen später zu sprechen.
Doch akustische Ereignisse sind mehr als Lärm. Denn Klänge, Geräusche, Sprache und Musik sind seit
jeher wichtige Träger menschlicher Kultur.
Das Projekt „Klänge der Regionen“ der FH St. Pölten erforscht und dokumentiert die Klänge niederösterreichischer
Regionen. Teil des Forschungskonzepts ist es, verschiedene Bevölkerungsschichten in die Forschungsarbeiten
zu integrieren, zum Beispiel durch Workshops, Interviews oder durch das Mitwirken bei Dokumentation und Aufnahme
der Klänge. Dies führt zu einem aufmerksameren Umgang mit der uns umgebenden Klangwelt und einem stärkeren
Bewusstsein dafür, wie das eigene Land, der uns umgebende Lebensraum, klingt.
Im Projekt werden auch Richtlinien für den Umgang mit der akustischen Umwelt entwickelt, etwa für eine
Raum- und Landschaftsplanung, die akustische Kriterien berücksichtigt. Daher werden im Projekt auch ArchitektInnen,
RaumplanerInnen und PolitikerInnen eingebunden.
Die Erfahrung aus dem Projekt lässt sich aber auch für Sounddesign in halböffentlichen Räumen
nutzen, zum Beispiel in Thermalbädern, Supermärkten oder Fußballstadien. Erste Interessenten und
potentielle Partner haben bereits ihr Interesse bekundet.
Flüchtige Klänge – unbelebte Stille
Während visuelle Sinneseindrücke bzw. Bilder statische Objekte repräsentieren, die sich schon
in ihrer ursprünglichen Form vergleichsweise einfach speichern, archivieren, analysieren und ausstellen lassen,
sind akustische Ereignisse grundsätzlich flüchtig. Klang ist Ausdruck von Veränderung und Bewegung.
Nur in einer völlig statischen und somit leblosen Umgebung herrscht „Totenstille“.
Doch akustische Ereignisse wurden bisher nur in vergleichsweise geringem Ausmaß in wissenschaftlich strukturierter
Form gespeichert, nach verschiedenen akustischen, kulturwissenschaftlichen, soziologischen, historischen und anderen
Kriterien analysiert, kategorisiert und der Gesellschaft in geeigneter Weise wieder zugänglich gemacht. Dies
hängt vor allem mit der Tatsache zusammen, dass Schallspeicherung bis vor rund 135 Jahren völlig undurchführbar
war und erst seit wenigen Jahrzehnten in ansprechender Qualität zu überschaubaren Kosten technisch möglich
ist.
Durch die strukturierte Dokumentation und Erforschung der akustischen Umwelt im Projekt „Klänge der Regionen“
wird die uns umgebende Klangumwelt Stück für Stück aufgearbeitet, intensiv erlebt und für spätere
Generationen bewahrt.
Klänge der Regionen im Klangturm St. Pölten
Wichtiger Teil des Projekts ist auch die Vermittlung und Präsentation der Ergebnisse. In der Wissenschaftskommunikation
gibt es dafür im Bereich der Akustik bisher aber nur wenig Erfahrung. Nun werden Zwischenergebnisse des Projekts
– in klanglicher und multimedialer Form – bei der Ausstellung im Klangturm St. Pölten der Öffentlichkeit
vorgestellt. Die Präsentationen erfolgen mit dem neuesten Stand der Technik und beziehen innovative und interaktive
Methoden sowie pädagogische Ansätze mit ein.
Die Ausstellung im Klangturm präsentiert unter anderem die Medieninstallation "Mund.Art". Sie geht
den umgangssprachlichen bzw. dialektalen Unterschieden in verschiedenen österreichischen Regionen in Niederösterreich,
Vorarlberg, Tirol, Wien, der Oststeiermark, dem Salzkammergut und anderen Regionen nach und lädt anhand zahlreicher
fast schon vergessener Dialektwörter zum Entdecken von Begriffen ein. Die Installation zeigt die Wechselwirkungen
zwischen kultureller und regionaler Prägung und sprachlichen Äußerungen. Die BesucherInnen können
auf spielerische Weise die verschiedenen Dialekte und Wörter der unterschiedlichen Regionen miteinander vergleichen.
Eine „Klang.Schatzkarte“ präsentiert besondere Hörplätze Niederösterreichs in den Kategorien
Umwelt, Handwerk und Musik – vom Wildkatzengehege im Nationalpark Thayatal über Viergesang aus Annaberg bis
zum Geräusch gärenden Weins in der Wachau. In einer sogenannten Klangschatztruhe können BesucherInnen
Wünsche für weitere Orte zur klanglichen Dokumentation hinterlegen – die dann wissenschaftlich erfasst
und in der nächsten Saison der drei Jahre laufenden Ausstellung im Klangturm präsentiert werden könnten.
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[1] World Health Organization (2012). Environmental health inequalities in Europe : assessment report. Geneva:
World Health Organization.
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