EU muss sich stärker an Chancen und
 Herausforderungen orientieren

 

erstellt am
10. 05. 13
14.00 MEZ

Wien (wifo) - Anlässlich einer internationalen Tagung im Rahmen des Projektes "WWWforEurope - Welfare, Wealth and Work for Europe - Ein neuer Wachstumspfad für Europa" diskutierten in dieser Woche in London hochrangige Vertreter der teilnehmenden Forschungsinstitute und der Europäischen Kommission mit dem EU-Kommissar für Beschäftigung, Soziales und Integration László Andor über die Verbesserung der Steuerungsstruktur der EU, die Erfüllung ihrer langfristigen Ziele und die Zustimmung der Bevölkerung zum Reformprozess im Rahmen der Strategie Europa 2020. Das Projektkonsortium WWWforEurope diagnostiziert Umsetzungsdefizite im Bereich der Ziele der Strategie Europa 2020, Erfolge hinsichtlich der Beyond-GDP-Ziele und eine Verbesserung der Koordination, die aber deutlicher kommuniziert werden sollte.

Attraktive Ziele - Umsetzungsdefizite
Der Leiter des WIFO Karl Aiginger betont die attraktive Zielsetzung der Strategie 2020 mit den drei Säulen Steigerung der Einkommen, des sozialen Zusammenhaltes und der ökologischen Nachhaltigkeit. Diese dreifache Zielsetzung wird jedoch nicht genügend als Vision verwendet, um Reformen verständlicher zu machen und bei neuen Herausforderungen wirtschaftspolitische Maßnahmen strategisch von dieser Zielsetzung abzuleiten.

  • Wenn die EU die Einkommen tatsächlich steigern will, müssen das Innovationssystem verbessert und die Forschung forciert sowie die Ausbildung vom Vorschulalter bis zur Weiterbildung während der Berufslaufbahn als Priorität gesetzt werden. Die EU setzte sich bereits 2000 das Ziel, die Forschungsquote von 2% auf 3% des BIP zu erhöhen, die Quote stagniert aber weiter bei 2%.
  • Um den sozialen Zusammenhalt zu stärken, muss die Strategie zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte arbeitsplatzbewusst durchgeführt werden; ein Anstieg der Arbeitslosenquote auf 12% (und der Jugendarbeitslosenquote auf 20%) ist damit nicht vereinbar.
  • Das Ziel der EU, ökologischer Vorreiter zu sein, bedeutet, dass die Steuern auf fossile Energieträger relativ zur Wirtschaftsleistung nicht sinken dürfen und die Subventionen für nicht erneuerbare Energieträger gestrichen werden müssen. Der Preis der CO2-Zertifikate müsste zur Erreichung der EU-Ziele einer Steigerung der Energieeffizienz und Forcierung erneuerbarer Energie bei 300 Euro je Tonne liegen. Er hätte nicht durch den Zusammenbruch des europäischen Emissionshandelssystems auf 3 Euro je Tonne sinken dürfen, und das Europäische Parlament hätte den Versuch, dieses System zu reparieren, nicht ablehnen dürfen.


Erfolge hinsichtlich der Beyond-GDP-Ziele
Die EU hat die Chance, mit einer stärkeren Orientierung an der eigenen Strategie ein Wirtschaftsmodell zu entwickeln, das für reiche Gesellschaften die richtigen Prioritäten setzt und neben Einkommenszielen auch die Beyond-GDP-Ziele erfüllt. Die hohe Lebenserwartung und die niedrige Säuglingssterblichkeit in Europa sind schon heute wichtige Wohlstandsindikatoren, die auf die potentielle Überlegenheit des europäischen sozio-ökonomischen Modells hinweisen könnten. Der Euro wird künftig eine der stärksten Währungen der Welt sein. In den neuen Industrieländern Asiens und Afrikas ist das Interesse an Investitionen in dieser Währung groß. Als Voraussetzung dafür sind allerdings die internen Ungleichgewichte innerhalb des Euro-Raumes zu verringern und die Zukunftsinvestitionen zu erhöhen.

Verbesserte Koordination
Um die Steuerung der EU-Wirtschaftspolitik zu verbessern, wurden in letzer Zeit zielgerichtete Reformen begonnen. Dazu gehört erstens das "Europäische Semester", in dem die Europäische Kommission wirtschaftspolitische Leitlinien vorgibt, die Regierungen ihre Reformpläne vorlegen und die Kommission länderspezifische Empfehlungen ausarbeitet. In diesen Empfehlungen soll die Einhaltung der offensiven Ziele (entsprechend der Strategie Europa 2020) ebenso beurteilt werden wie die Budgetkonsolidierung. Tatsächlich herrschten in den Empfehlungen zum Europäischen Semester in den letzten zwei Jahren durchwegs passive Ziele vor, die Zukunftsziele und ihre Verfehlung wurden kaum oder zumindest nicht eindringlich eingemahnt. Die Teilnehmer der Konferenz fordern die Kommission auf, bei der Formulierung der aktuellen länderspezifischen Empfehlungen die Ziele Forschung, Armutsbekämpfung und Bildung in den Vordergrund zu stellen. Wenn diese Ziele eine Ausweitung der Ausgaben erfordern, müssen Ausgaben für passive Ziele entsprechend stärker gekürzt werden - von Verwaltungsausgaben bis zu hohen staatlichen Pensionen.

Zweitens soll ein Frühwarnsystem (Imbalance Procedure) auf künftige Probleme aufmerksam machen. Allerdings ist das dafür entworfene System neuerlich asymmetrisch: Lohnerhöhungen über der Wachstumsrate der Produktivität werden als Ungleichgewicht gesehen, solche darunter nicht. Defizite in der Leitungsbilanz sollen lösen den Warnmechanismus aus, Überschüsse nicht. Wenn die Verschuldung des Unternehmenssektors steigt, löst das ein Warnsignal aus, nicht aber wenn der Unternehmenssektor Gewinne nicht für Investitionen nutzt und zum Nettogläubiger wird. Die Konferenzteilnehmer regen an, die Empfehlungen der Kommission im Rahmen des Europäischen Semesters verstärkt in den Parlamenten zu diskutieren und dabei den Bezug zur Stärkung des Wachstums, des sozialen Zusammenhaltes und der ökologischen Vorreiterposition Europas zu thematisieren.

Ein dritter positiver Ansatz besteht darin, dass die EU künftig Reformprogramme einzelner Länder durch einen Reformkontrakt unterstützen und auch finanzieren will. Das betrifft etwa Programme zur Verbesserung der Ausbildung, Erleichterung der Unternehmensgründung und Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit (Reform durch Wettbewerbsfähigkeitsverträge). Wie die Diskussion anlässlich der Konferenz jedoch gezeigt hat, ist heuer kein diesbezüglicher Vertrag geplant und auch die Finanzierung 2014 nicht gesichert. Wie Aiginger betont, könnte schon ein kleiner Reformkontrakt, der heuer noch abgeschlossen würde, die Rolle der Kommission in den südeuropäischen Ländern verändern: Sie wäre nicht immer die Quelle der Forderung nach neuen Einsparungen, sondern auch etwa eines Programmes zur Schaffung von Jugendbeschäftigung.

Der EU muss es gelingen, die positiven Ansätze in der Strategie und die Verbesserung der internen Koordination deutlicher zu kommunizieren. Zudem muss diese Strategie in dieser Phase der Budgetkonsolidierung durchgehalten und in allen wirtschaftspolitischen Aktionen und Empfehlungen verfolgt werden. Das Projekt WWWforEurope, in dem das WIFO mit 32 Partnern an der wissenschaftlichen Untermauerung eines neuen europäischen Wachstumspfades arbeitet, kann dazu einen Beitrag leisten.

 

 

 

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