Verfassungsausschuss: Demokratiepaket könnte zu "Volksbegehrenspaket" abgespeckt
werden
Wien (pk) - Im Zuge der Reform der zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit haben sich die damaligen fünf
Fraktionen des Nationalrats auch auf die Einführung der so genannten "Gesetzesbeschwerde" verständigt.
Verfahrensparteien in Zivil- und Strafverfahren soll demnach die Möglichkeit eingeräumt werden, sich
direkt an den Verfassungsgerichtshof zu wenden, wenn sie die Verfassungsmäßigkeit von im Verfahren anzuwendenden
Gesetzen anzweifeln. Zuletzt gerieten die Verhandlungen über zwei gemeinsame Gesetzesinitiativen allerdings
ins Stocken – viele Experten hatten im Zuge des Begutachtungsverfahrens die Befürchtung geäußert,
dass die derzeitige Gleichwertigkeit der Höchstgerichte (OGH, VwGH und VfGH) durch die Gesetzesbeschwerde
unterlaufen und der Verfassungsgerichtshof zu einer Art Supergerichtshof aufgewertet wird.
Nun kommt allerdings wieder Bewegung in die Sache. Die Beratungen über die beiden Fünf-Parteienanträge
( 2031/A, 2032/A) und einen Alternativvorschlag der FPÖ wurden in der heutigen Sitzung des Verfassungsausschusses
des Nationalrats zwar neuerlich vertagt, SPÖ und ÖVP sind aber zuversichtlich, bis zur nächsten
Ausschusssitzung Anfang Juni eine Einigung zu erzielen. Über einzelne Detailpunkte müsse zwar noch diskutiert
werden, meinte Ausschussobmann Peter Wittmann, seiner Einschätzung nach gibt es in den zentralen Fragen aber
bereits einen Konsens aller Parteien.
Die Opposition äußerte sich zu kürzlich von den Koalitionsparteien vorgelegten Vorschlägen
zwar noch zurückhaltend, sie begrüßte jedoch den neuerlichen Verhandlungsvorstoß und stellte
sich weiter ausdrücklich hinter das Instrument der Gesetzesbeschwerde.
Erneut vom Verfassungsausschuss vertagt wurde auch der zweite Teil des Demokratiepakets der Koalition. ÖVP-Verfassungssprecher
Wolfgang Gerstl hofft nun, unter dem Titel "Volksbegehrenspaket" zumindest eine abgespeckte Variante
beschließen zu können.
Gesetzesbeschwerde: Parteien wollen Bedenken von Kritikern ausräumen
Was die Gesetzesbeschwerde betrifft, soll laut Ausschussobmann Peter Wittmann (S) nunmehr der Antrag der FPÖ
als Basis für eine Lösung herangezogen werden. Er sieht in einigen Punkten allerdings noch Verhandlungsbedarf
und verwies auf einen eigenen Entwurf der Koalitionsparteien, der vor kurzem an die Oppositionsparteien verschickt
wurde. Den Verdacht, dieser Alternativentwurf sei nur erarbeitet worden, um die Verhandlungen weiter in die Länge
zu ziehen, wies Wittmann strikt zurück. Er betonte ausdrücklich seine Bereitschaft, die Gesetzesbeschwerde
noch im Juni im Verfassungsausschuss zu beschließen, "am liebsten als Fünf-Parteien-Antrag".
Auch ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl sprach sich dafür aus, die Gesetzesbeschwerde noch vor dem
Sommer zu beschließen. Jeder Bürger solle die Möglichkeit erhalten, sich an den Verfassungsgerichtshof
zu wenden, wenn er sich in seinen Rechten verletzt fühlt, betonte er. Über einzelne Punkte bedürfe
es zwar noch Diskussionen, das Ziel ist für ihn aber klar: ein Beschluss im Verfassungsausschuss in der ersten
oder zweiten Juniwoche.
Für die Zustimmung der ÖVP zur Gesetzesbeschwerde nannte Gerstl drei Punkte als Voraussetzung: Zum einen
dürfe die Gesetzesbeschwerde nicht zu Verfahrensverzögerungen führen, zum anderen sei es notwendig,
bestimmte Materien aus der Gesetzesbeschwerde auszunehmen. Und es dürfe nicht zu einer Ober- bzw. Unterordnung
der Höchstgerichte kommen.
Der nunmehr im Vordergrund stehende Antrag der FPÖ ( 2227/A) sieht im Gegensatz zu den in Begutachtung geschickten
Fünf-Parteien-Anträgen vor, den Verfahrensparteien nicht erst nach Abschluss des Gerichtsverfahrens den
Gang zum Verfassungsgerichtshof zu ermöglichen, sondern bereits bei Vorliegen eines erstinstanzlichen Gerichtsurteils.
Damit wollen die Abgeordneten Peter Fichtenbauer und Harald Stefan den Verdacht einer Urteilsbeschwerde vermeiden
und die Notwendigkeit der Wiederaufnahme von Gerichtsverfahren ausschließen. Zur Präzisierung dieses
Antrags legte Abgeordneter Fichtenbauer heute einen Abänderungsantrag vor, der unter anderem bestimmte Bereiche
– etwa das Ehe- und Kindschaftsrecht, einstweilige Verfügungen, strafrechtliche Ermittlungsverfahren sowie
das Insolvenzrecht – von der Möglichkeit der Gesetzesbeschwerde ausnimmt.
Generell betonte Fichtenbauer, das Parlament solle Selbstbewusstsein zeigen und die Gesetzesbeschwerde trotz anhaltender
Kritik mancher Seiten, etwa des Präsidenten des Obersten Gerichtshofs, beschließen. Im Detail sei er
zu Kompromissen bereit, sagte er, das Hauptanliegen, nämlich den Rechtsschutz auszuweiten und den Verfahrensparteien
die Möglichkeit zu geben, sich direkt an den Verfassungsgerichtshof zu wenden, dürfe jedoch nicht verwässert
werden.
Den von den Koalitionsparteien zuletzt vorgelegten Vorschlag wertete Fichtenbauer als zu kompliziert und in Richtung
Obstruktion gehend. Man müsse Ausnahmen von der Gesetzesbeschwerde verfassungsrechtlich verankern und dürfe
es nicht dem einfachen Gesetzgeber überlassen, einen Ausnahmekatalog zu formulieren, mahnte er. Ansonsten
könnte es dazu kommen, dass immer mehr Materien, etwa das Mietrecht oder das Liegenschaftswesen, ausgeklammert
würden.
Seitens der Grünen unterstrich Abgeordnete Daniela Musiol (G), ihre Partei stehe nach wie vor zum Vorhaben
der Gesetzesbeschwerde, da diese rechtspolitisch sinnvoll sei und es notwendig sei, den Rechtsschutz auszubauen.
Mittlerweile würden vier Vorschläge vorliegen, wobei ihr zufolge der FPÖ-Antrag in der Fassung des
Abänderungsantrags dem am nächsten kommt, was bei den letzten Verhandlungen zwischen den VerfassungssprecherInnen
vereinbart wurde. Allerdings sieht auch sie in einzelnen Punkten noch Diskussionsbedarf.
Abgeordneter Herbert Scheibner (B) äußerte Zweifel daran, dass die Koalition tatsächlich eine Einigung
über die Gesetzesbeschwerde erzielen will. Er sieht noch einigen Verhandlungsbedarf über den zuletzt
von SPÖ und ÖVP vorgelegten Vorschlag, hofft grundsätzlich aber wie die anderen Parteien auf einen
raschen Beschluss.
Beratungen über Demokratiepaket neuerlich vertagt
Vom Verfassungsausschuss neuerlich vertagt wurden auch die Beratungen über den zweiten Teil des von der Koalition
vorgeschlagenen Demokratiepakets. SPÖ und ÖVP wollen mit ihrem Gesetzesantrag ( 2177/A) die elektronische
Unterstützung von Volksbegehren und Bürgerinitiativen ermöglichen, Bürger-Fragestunden im Nationalrat
einführen, Volksbegehren durch ein neues Procedere für die parlamentarischen Beratungen aufwerten und
ein Zentrales Wählerregister einrichten.
Im Rahmen der Diskussion kritisierte Abgeordnete Daniela Musiol (G), dass seit der letzten Verhandlungsrunde am
11. April "gar nichts" passiert sei. Zwar habe es in der Öffentlichkeit einige Ankündigungen
gegeben, man habe mit der Opposition aber weder weitere Gespräche geführt noch den angekündigten
Alternativvorschlag zur Wählerevidenz vorgelegt, skizzierte sie. Musiol sieht sich dadurch in ihrem ursprünglichen
Eindruck bestärkt, dass die Koalitionsparteien in Wirklichkeit gar nicht an einer Demokratiereform interessiert
sind. Man könne über Kompromissvorschläge diskutieren, etwa darüber, erfolgreiche Volksbegehren
einer Volksbefragung statt einer Volksabstimmung zu unterziehen, sagte Musiol, dazu müsse es aber erst einmal
Vorschläge geben.
Auch die Abgeordneten Herbert Scheibner (B) und Harald Stefan (F) äußerten Zweifel an der Ernsthaftigkeit
der Verhandlungsbereitschaft der Koalition. Das Zeitfenster werde immer kleiner, warnte Scheibner. Für ihn
wäre eine Volksbefragung im Anschluss an ein erfolgreiches Volksbegehren durchaus ein möglicher Kompromiss.
Abgeordneter Wolfgang Gerstl (V) machte die SPÖ dafür verantwortlich, dass es seitens der Koalition keine
weiteren Zugeständnisse gibt. Um doch noch zu einem Gesetzesbeschluss vor dem Sommer zu kommen, will er nun
die von der Opposition massiv kritisierte Bürgeranfrage aus dem Demokratiepaket herausnehmen und dieses zu
einem "Volksbegehrenspaket" abspecken. Er erwarte sich, dass die Opposition nun zu dem stehen werde,
was sie in der Vergangenheit vertreten habe, betonte Gerstl, nämlich durch eine zentrale Wählerevidenz
die Unterstützung von Volksbegehren in allen Gemeindeämtern und online zu ermöglichen.
SPÖ-Klubobmann Josef Cap warf der Opposition vor, sich zwar immer wieder lautstark zur direkten Demokratie
zu bekennen, aber keine praktikablen Modelle vorzulegen, die in der Praxis funktionieren könnten. Damit bleibe
man in der Bekennerphase stecken, kritisierte er. Das von der Koalition vorgelegte Demokratiepaket ist für
ihn dem gegenüber ein konkreter Entwurf, der einige Fortschritte bringen würde. Cap hält, wie er
sagte, auch die Bürgeranfrage für ein gutes Instrument, um Druck auf die Verwaltung auszuüben. Weiter
ablehnend äußerte er sich über automatische Volksabstimmungen nach erfolgreichen Volksbegehren,
bei politischen Entscheidungen müssten auch jene gesellschaftlichen Gruppen berücksichtigt werden, die
kein Volksbegehren initiieren.
Sowohl Abgeordnete Musiol als auch Abgeordneter Scheibner wiesen die Behauptung zurück, dass es von Seiten
der Opposition keine konkreten Vorschläge für mehr direkte Demokratie gebe. Zu Abgeordnetem Gerstl merkte
Musiol an, wenn man die Opposition im Boot haben wolle, müsse man konkrete Vorschläge vorlegen.
Mit dem Koalitionsantrag mitvertagt wurden nicht nur Entschließungsanträge der FPÖ, der Grünen
und des BZÖ zur Ausweitung der direkten Demokratie, sondern auch ein von Abgeordneter Helene Jarmer (G) im
Zuge der Beratungen eingebrachter Entschließungsantrag, der auf einen barrierefreien Zugang behinderter Menschen
zu Wahlen, einheitliche Schwellenwerte für Vorzugsstimmen auf Regional-, Landes-, und Bundesebene sowie die
Schaffung eines gendergerechten Vorzugsstimmenrechts abzielt. Auf jeder Wahlebene sollen demnach zwei Vorzugsstimmen
vergeben werden können, wobei eine Vorzugsstimme an eine Kandidatin gehen muss. Jarmer bekräftigte, man
müsse behinderten Menschen die Teilnahme an Wahlen erleichtern.
Ob in Bezug auf die Vergabe von Vorzugsstimmen dem Anliegen von Behindertenorganisationen Rechnung getragen wird,
ist allerdings noch offen. ÖVP-Abgeordneter Franz-Joseph Huainigg sprach sich zwar dezidiert dafür aus,
jene Lösungsvariante umzusetzen, der zufolge in das Kandidatenfeld alternativ auch die Nummer des Kandidaten
bzw. der Kandidatin eingetragen werden kann, um Blinden mittels Schablone die Vergabe von Vorzugsstimmen zu ermöglichen,
Abgeordneter Josef Cap ist hinsichtlich der praktikablen Anwendbarkeit dieser Lösung allerdings noch skeptisch.
Auch FPÖ-Abgeordneter Stefan und BZÖ-Abgeordneter Scheibner traten für eine bessere Hilfestellung
für behinderte Menschen bei der Ausübung ihres Wahlrechts ein, lehnten das von den Grünen vorgeschlagene
gendergerechte Vorzugsstimmensystem allerdings ab.
Zum Demokratiepaket und zu den Oppositionsanträgen war im April ein Expertenhearing abgehalten worden.
Grüne für Offenlegung von Nebenbeschäftigungen von VfGH-RichterInnen
Von der Mehrheit der Abgeordneten ebenfalls vertagt wurde ein Entschließungsantrag der Grünen, der auf
eine verpflichtende Offenlegung von Nebenbeschäftigungen der Mitglieder und Ersatzmitglieder des Verfassungsgerichtshofs
abzielt. Nach dem Vorschlag von Abgeordneter Daniela Musiol sollen VfGH-RichterInnen nicht nur jede Art von Berufstätigkeit
melden müssen, sondern auch Beteiligungen an Rechtsanwalts- und Steuerberatungskanzleien, Beteiligungen an
sonstigen Unternehmen, Aufsichtsratstätigkeiten, Gutachtertätigkeiten und Publikationen sowie ehrenamtliche
Tätigkeiten und Mitgliedschaften.
In der Debatte begründete Daniela Musiol (G) den Antrag damit, dass Transparenz auch im Bereich des Verfassungsgerichtshofs
notwendig sei. Ihr Anliegen sei es nicht, VerfassungsrichterInnen eine Nebenbeschäftigung zu untersagen, erklärte
sie, es sei aber wichtig zu wissen, wenn jemand etwa im Aufsichtsrat eines Unternehmens sitze. Dem schlossen sich
auch die Abgeordneten Herbert Scheibner (B), Harald Stefan (F) und Peter Fichtenbauer (F) an, die in diesem Zusammenhang
auch auf die besondere Stellung des VfGH und die politischen Auswirkungen von dessen Entscheidungen hinwiesen.
Abgeordneter Wolfgang Gerstl (V) wies dem gegenüber darauf hin, dass dem Antrag der Grünen inhaltlich
bereits insofern Rechnung getragen wurde, als die Nebentätigkeit von Mitgliedern des Verfassungsgerichtshofs
auf der Webseite des VfGH veröffentlicht würden.
Staatssekretär Josef Ostermayer merkte an, er habe nichts gegen Transparenz, seiner Ansicht nach erweckt der
Antrag aber den Eindruck eines besonderen Misstrauens gegenüber dem Verfassungsgerichtshof. Wenn, dann sollte
man seiner Ansicht nach generell darüber diskutieren, welche Transparenzbestimmungen für die drei Höchstgerichte
gelten sollen. Diese Einschätzung teilte auch Abgeordneter Johannes Jarolim (S).
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