Lichtwellen schwingen im rechten Winkel zu ihrer Ausbreitungsrichtung – so lernt man es in
der Schule. Doch an der TU Wien verwendet man nun longitudinal schwingendes Licht für Atom-Experimente.
Wien (tu) - Licht in Flaschen abzufüllen ist heute kein großes Problem mehr: Man schickt Laserstrahlen
in eine Glasfaser – allerdings nicht so, dass sie sich entlang der Glasfaser ausbreiten, sondern so, dass sie an
einer flaschenartig bauchigen Stelle um die Glasfaser herum im Kreis laufen. Etwa zehn Nanosekunden oder 30.000
Umläufe lang kann Licht auf diese Weise aufbewahrt werden - lange genug, um das Licht mit Atomen wechselwirken
zu lassen, die sich in unmittelbarer Nähe der Glasfaser befinden.
An der TU Wien konnte man nun zeigen, dass auf diese Weise Licht und Materie deutlich stärker aneinander gekoppelt
werden können als bisher angenommen. Der Grund dafür liegt in einer ungewöhnlichen Eigenschaft,
die das Licht in solchen Flaschen-Resonatoren zeigt: Es schwingt in longitudinaler Richtung.
Propellerflugzeug oder Helikopter?
Lichtwellen können in einer bestimmten Ebene schwingen, sie können sich auch schraubenartig drehen, doch
bei Lichtwellen, die sich eben und geradlinig ausbreiten ist diese Schwingung – man spricht auch von der Polarisation
– immer transversal, also senkrecht zur Ausbreitungsrichtung. „Man kann sich das vorstellen wie einen Flugzeugpropeller
– er dreht sich und steht dabei immer senkrecht zur Flugrichtung“, erklärt Prof. Arno Rauschenbeutel (Vienna
Center for Quantum Science and Technology, Atominstitut der TU Wien). „Licht, das in unserem Mikroresonator eingesperrt
ist, hat aber auch eine longitudinale Schwingungskomponente, also in Ausbreitungsrichtung. Die Lichtwelle verhält
sich dann so wie der Rotor eines vorwärts fliegenden Helikopters.“ Während sich ein Punkt auf dem Flugzeugpropeller
in einer Schraubenlinie fortbewegt, beschreibt ein Punkt auf dem Helikopter-Rotor eine kompliziertere geometrische
Bahn – eine sogenannte Zykloide.
Wellen-Überlagerungen
Für das Verhalten der Lichtwelle hat die Schwingungsrichtung eine große Bedeutung. Entlang des Umfangs
der Glasfaser kann das Licht nämlich in zwei Richtungen laufen – mit dem Uhrzeigersinn und gegen den Uhrzeigersinn.
Wenn sich auf diese Weise zwei transversal schwingende Lichtwellen überlagern, so werden sie sich an manchen
Stellen verstärken und an anderen auslöschen. Diese destruktive Interferenz limitiert die Stärke,
mit der die Lichtwellen an ein Atom außerhalb der Glasfaser gekoppelt werden können.
Schwingen die Lichtwellen allerdings auch in Ausbreitungsrichtung, dann unterscheidet sich der Schwingungszustand
der Welle, die im Uhrzeigersinn läuft von dem der gegenläufigen Welle.
In diesem Fall ist eine vollständige Auslöschung der gegenläufigen Lichtwellen durch destruktive
Interferenz unmöglich. „Das war zunächst für uns sehr überraschend: Dass Licht auch longitudinal
schwingen kann, ist zwar grundsätzlich nichts fundamental Neues – aber im Zusammenhang mit der Kopplung von
Licht und Materie in Mikroresonatoren hatte das bisher noch niemand bedacht“, erklärt Arno Rauschenbeutel.
Kopplung von Licht und Materie
Die Ergebnisse aus den Quanten-Labors der TU Wien könnten in ganz unterschiedlichen Fachgebieten ein neues
Nachdenken über longitudinal schwingendes Licht anstoßen: Sogar fokussierte Laserstrahlen im freien
Raum haben eine longitudinale Schwingungs-Komponente. „Vor allem aber wissen wir jetzt, dass unsere experimentelle
Methode viel besser funktioniert als erwartet“, sagt Rauschenbeutel. „Wir erzielen eine sehr starke Kopplung zwischen
dem Licht in der Glasfaser und einzelnen Atomen, die sich knapp außerhalb der Glasfaser befinden.“
Einerseits eröffnet das die Möglichkeit, extrem sensitive Sensoren zu bauen, die einzelner Atome mit
Licht detektieren können. Andererseits lassen sich in den Flaschen- Mikroresonatoren die quantenoptischen
Grundlagen der Wechselwirkung zwischen Licht und Materie untersuchen. Und schließlich planen die Forscher,
in ihrem Experiment eine Weiche für Licht zu realisieren, in der ein einzelnes Atom den Lichtstrom zwischen
zwei möglichen Ausgängen umschaltet. Eine solche quantenmechanische Lichtweiche könnte dann verwendet
werden, um zukünftige Quantencomputer mittels Glasfasern untereinander zu verbinden.
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