Innsbruck (universität/idw) - Einen tiefen Einblick in das Wesen quantenmechanischer Phasenübergänge
gewannen Innsbrucker Quantenphysiker um Rainer Blatt und Peter Zoller im Labor. Sie haben als erste Forscher den
Kampf gegensätzlicher Dynamiken an einem neuartigen Übergang zweier quantenmechanischer Ordnungen simuliert
und berichten darüber in der Fachzeitschrift Nature Physics.
„Bringen wir Wasser zum Kochen, steigen Wassermoleküle als Dampf auf. Eine solche Änderung der physikalischen
Ordnung von Materie nennen wir Phasenübergang“, erklärt Sebastian Diehl vom Institut für Theoretische
Physik der Universität Innsbruck. Zusammen mit Kollegen vom Institut für Experimentalphysik und dem Theoretiker
Markus Müller von der Complutense-Universität in Madrid hat er den Übergang zwischen zwei quantenmechanischen
Ordnungen untersucht, der so noch nie beobachtet werden konnte. Die Quantenphysiker in Innsbruck nutzen dafür
ein neues Instrument, das aktuell zu den vielversprechendsten Entwicklungen in der Quantenphysik zählt: einen
Quantensimulator. Dieser funktioniert ähnlich wie ein Quantencomputer und kann physikalische Phänomene
nachbilden, die kein klassischer Rechner simulieren kann. „Die Eigenschaften eines Quantensimulators erlauben es
uns, auch Quantenphänomene in Vielteilchensystemen, die an eine Umgebung gekoppelt sind, im Labor zu untersuchen“,
sagen die Experimentalphysiker Philipp Schindler und Thomas Monz.
Wettbewerb beobachtet
Mit wenigen gefangenen Ionen in einer Vakuumkammer können die Wissenschaftler bereits die komplexe Physik
quantenmechanischer Phasenübergänge simulieren. Dafür müssen sie die Teilchen sehr exakt kontrollieren
und manipulieren können. Die Innsbrucker Experimentalphysik ist hier weltweit führend. „Hier haben wir
aus vier beziehungsweise fünf Ionen einen programmierbaren Quantensimulator gebaut“, erzählt Philipp
Schindler. Eines der Teilchen dient dazu, gezielt Störungen in das System zu bringen. Mit den anderen Ionen
wird gerechnet. „Wir nennen das einen offenen Quantensimulator. Während Störungen sonst möglichst
unterbunden werden, weil sie die fragilen Quanteneffekte zerstören, nutzen wir sie hier, um ein quantenmechanisches
System zu ordnen“, sagt Schindler. „Im konkreten Fall erzeugen wir auf diese Weise mit einer Sequenz von Rechenoperationen
zwischen den Teilchen fragile, quantenmechanische Korrelationen über große Distanzen hinweg.“ Dieser
räumlich geordnete Zustand, für den es in unserer klassischen Welt kein Gegenstück gibt, wurde in
Innsbruck überhaupt zum ersten Mal gezielt durch solche maßgeschneiderten Störungen erzeugt und
beobachtet. In einem weiteren Schritt unterbrechen die Physiker diese Dynamik immer wieder durch weitere, anders
geartete Rechenoperationen. „Dadurch wird die ordnende Dynamik zeitweise unterbrochen“, erklärt Theoretiker
Sebastian Diehl. „Wir können dann beobachten, wie die beiden Prozesse miteinander konkurrieren und was an
diesem Übergang zwischen zwei Ordnungen passiert.“
Fehler reduziert
Das Experiment verlangt enorme Präzision, weshalb es auch notwendig ist, allfällige Rechenfehler
sofort zu korrigieren, um die physikalischen Prozesse korrekt simulieren zu können. Da eine umfassende Fehlerkorrektur,
wie sie für Quantencomputer entwickelt wird, mit enormen technischen Aufwand verbunden ist, wählten die
Innsbrucker Physiker einen anderen, zukunftsweisenden Weg. Sie identifizierten die wichtigsten Fehlerquellen während
der Simulation und gingen gezielt gegen solche Fehler vor. „Diese Art der Fehlerreduktion wird sicher Vorbildwirkung
für weitere Experimente haben“, ist Schindler überzeugt. „Während die allgemeine Quantenfehlerkorrektur
ein langfristiges Ziel bleibt, könnten auf diese Art und Weise sehr viel früher verlässliche Quantensimulationen
größerer Systeme erfolgreich durchgeführt werden“, ergänzt Markus Müller.
Enge Verzahnung von Theorie und Experiment
Dieser tiefe Einblick in das Wesen quantenmechanischer Phasenübergange ist weltweit einzigartig. Möglich
war er nur dank der erfolgreichen Verbindung von enorm fortgeschrittenem experimentellem Know-how mit der federführenden
theoretischen Forschung, die für dieses Projekt in einer engen Zusammenarbeit der Physiker aus Innsbruck und
Madrid entwickelt wurde. „Diese ideale Verbindung zwischen Theoretikern und Experimentalphysikern mit direktem
und intensivem Austausch gibt es nur an ganz wenigen Standorten und ist eine der größten Stärken
der Innsbrucker Quantenphysik. Sie führte uns wieder einmal in einen Bereich der Physik, den bisher noch niemand
betreten hatte“, freut sich Rainer Blatt. „Hier wird in einem Experiment mit wenigen gefangenen Ionen sehr erfolgreich
die Physik von Vielteilchensystemen simuliert. Das zeigt eindrücklich das Potential und die Möglichkeiten
der Quantensimulation auf“, ergänzt Peter Zoller.
Publikation: Quantum simulation of dynamical maps with trapped ions. P. Schindler,
M. Müller, D. Nigg, J. T. Barreiro, E. A. Martinez, M. Hennrich, T. Monz, S. Diehl, P. Zoller und R. Blatt,
Advance online publication, Nature Physics am 19. Mai 2013 DOI: 10.1038/NPHYS2630
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