Meissner-Blau im Gespräch mit Jugendlichen zur Annexion im März 1938 - "Seid
wachsam vor politischer Verführung!"
Wien (pk) - 1938. Das Jahr der Annexion Österreichs an NS-Deutschland, des sogenannten "Anschlusses".
Authentische Berichte über die fatalen Folgen der Märztage 1938, die sich heuer zum 75. Mal jährten,
bietet die Demokratiewerkstatt des Parlaments seit dem Frühjahr im Rahmen spezieller Workshops zur Annexion.
Die TeilnehmerInnen, Jugendliche mit schulischem Vorwissen zum Thema Nationalsozialismus, treffen bei den Workshops
auf ZeitzeugInnen des Anschlusses. Am Ende jedes Gesprächs verbinden die SchülerInnen das Gehörte
mit der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Situation der NS-Zeit in einem Film, setzen sich also bewusst
mit dem System der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft auseinander.
Meissner-Blau: Die Faszination der Masse riss viele mit
Am 11.06.fand der letzte Annexions-Workshop vor dem Sommer statt. Eingeladen war dazu die frühere Nationalratsabgeordnete
und erste Klubobfrau der Grünen Freda Meissner-Blau. Geboren 1927 erlebte sie am 12. März 1938, einen
Tag nach ihrem 11. Geburtstag, den "Anschluss" Österreichs in Linz mit. Obwohl ihre Eltern es verboten
hatten, folgte sie dem Lärm auf den Straßen in die Innenstadt, ohne den Grund der großen Aufregung
zu kennen. "Die Menschen riefen 'Wir wollen unseren Führer sehen' und ich, die ich nichts über die
Hintergründe wusste, schlängelte mich durch die Menge, bis ich Hitler sah, der in keiner Weise dem 'Lichtmenschen'
meiner Vorstellung glich. Enttäuscht lief ich wieder heim", erzählte Meissner-Blau ihren jungen
GesprächspartnerInnen aus der Klasse 7b der AHS St. Ursula von der Begeisterung der Massen beim Einmarsch.
Getrieben war der irrationale Zuspruch zur Annexion zum einen durch die manipulative Nazi-Propaganda und die Bedrohung
jener, die ihr nicht folgten, was dann auch zu mehr als 99% Zustimmung bei der Volksabstimmung über die Vereinigung
Österreichs mit dem Deutschen Reich führte, skizzierte Meissner-Blau. Zum anderen litt die Bevölkerung
nach dem ersten Weltkrieg unter unvorstellbarer Not, sagte sie, da vermittelte das scheinbare Aufblühen der
Wirtschaft im Rahmen der Kriegsvorbereitung Hoffnung. Zwar gab es auch einige, die sich nicht von der Masseneuphorie
im März 1938 mitreißen ließen und verzweifelt oder zornig daheim blieben, "doch die sah man
nicht".
Einer dieser Propagandagegner war ihr Vater, der wegen seiner regimekritischen Zeitungsartikel als "Staatsfeind"
auf die 'Schwarze Liste' der GESTAPO gesetzt wurde. Er floh nach Großbritannien. "Als Gymnasialschülerin
kam ich gemeinsam mit meinen Schulkolleginnen automatisch zur 'Jungmädchenschaft' der Nazis", so Meissner-Blau.
Anfangs angetan von den Unternehmungen mit Gleichaltrigen, hörte sie dort zum ersten Mal, die Tochter eines
"Volksverräters" zu sein, woraufhin sie sich von der Vereinigung abwandte. Mit einer Schwester und
ihrer Mutter emigrierte Meissner-Blau nach Tschechien, da die Repressalien gegen die Familie in Österreich
immer schlimmer wurden. Um nach Kriegsende nicht der sowjetischen Armee in die Hände zu fallen, ging sie nach
Deutschland und wurde mit dem Entsetzen im bombardierten Dresden konfrontiert. "Diese Eindrücke brachten
mich schließlich zur Friedenbewegung, um alles daran zu setzen, dass Menschen einander nie wieder so etwas
antun" erklärte Meissner-Blau den Ursprung ihres späteren politischen Wirkens.
NS-Terror aus erster Hand geschildert
Im letzten Quartal trafen die WorkshopteilnehmerInnen auf die Holocaust-Überlebenden Gertrude Schneider und
Eva Dutton sowie auf Widerstandskämpfer Wilfried Daim. Moderiert von Historikerin Ulrike Felber bieten die
persönlichen Gespräche mit den ZeitzeugInnen für die SchülerInnen Einblicke in Entstehung und
Verbrechen des NS-Terrorregimes. Nicht zuletzt verfolgt das Parlament mit dieser neuen Bildungsinitiative das Ziel,
jungen Menschen den hohen Wert demokratischer Grundrechte näherzubringen. Im Herbst werden weitere Werkstätten
mit ZeitzeugInnen stattfinden. Wichtige Kooperationspartner bei der Aufbereitung der Workshopreihe waren das Dokumentationsarchiv
des österreichischen Widerstandes (DÖW) und das Unterrichtsministerium.
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