SPÖ, ÖVP und Grüne für verpflichtende Volksbefragung über qualifiziert
unterstützte Volksbegehren
Wien (pk) - Erfolgreiche Volksbegehren sollen künftig einer Volksbefragung unterzogen werden, wenn
das Parlament den Forderungen nicht von sich aus Rechnung trägt. Darauf haben sich die Koalitionsparteien
und die Grünen verständigt. Voraussetzung dafür ist, dass die Initiative von mehr als 10 % der Wahlberechtigten
– bzw. 15 % im Falle von Verfassungsgesetzen – unterstützt wurde und ein konkretes Gesetzesanliegen zum Inhalt
hat. Unzulässig ist eine Befragung über Forderungen, die gegen geltendes EU-Recht, Völkerrecht oder
gegen Grund- und Freiheitsrechte verstoßen, außerdem müssen die InitiatorInnen bei einer drohenden
erheblichen finanziellen Belastung des Bundes einen finanziellen Bedeckungsvorschlag unterbreiten.
Ob der am 28.06. im Verfassungsausschuss des Nationalrats formell eingebrachte Antrag noch vor den Wahlen beschlossen
wird, ist offen. Wie SPÖ-Klubobmann Josef Cap und ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl im Ausschuss
festhielten, soll zunächst das heute einstimmig beschlossene Begutachtungsverfahren abgewartet und die Beratung
nach Tagungsbeginn am 9. September fortgesetzt werden. Nach Ansicht von Abgeordneter Daniela Musiol würde
sich ein Beschluss im September, für den neben einer Sitzung des Verfassungsausschusses auch noch zwei Sondersitzungen
des Nationalrats erforderlich wären, ausgehen.
Den Verdacht von Grün-Abgeordnetem Albert Steinhauser, die SPÖ könnte das Begutachtungsverfahren
als "Exitstrategie" nutzen, wies Cap strikt zurück und bekräftigte, er stehe klar hinter dem
Vorhaben. FPÖ und BZÖ blieben bei ihrer Forderung, die Hürde für eine verpflichtende Volksbefragung
nach einem erfolgreichen Volksbegehren mit 4 % der Stimmberechtigten festzulegen und kritisierten, dass ihr Alternativvorschlag
nicht ebenfalls einer Begutachtung unterzogen wird.
Zur Abgabe von Stellungnahmen zum Vorschlag der Koalition und der Grünen sind unter anderem die rechtswissenschaftlichen
Fakultäten, die Höchstgerichte, private Demokratieinitiativen, die Interessenvertretungen, die Bundesministerien,
die Länder, Städte- und Gemeindebund und der Datenschutzrat eingeladen. Als Frist für die Stellungnahmen
haben die Abgeordneten den 15. August festgelegt.
Bundeswahlbehörde soll Entscheidung über Durchführung einer Volksbefragung treffen
Die Entscheidung, ob eine Volksbefragung über ein qualifiziert unterstütztes Volksbegehren durchzuführen
ist, soll laut dem vorgelegten Entwurf die Bundeswahlbehörde treffen, wobei die InitiatorInnen des Volksbegehrens
Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof einlegen können. Auch die Feststellung des Nationalrats, dass mit einem
erfolgten Gesetzesbeschluss das Anliegen des Volksbegehrens umgesetzt ist, kann beim VfGH angefochten werden.
Für den Fall, dass eine Volksbefragung stattfindet, kann der Nationalrat einen alternativen Gesetzesvorschlag
unterbreiten, wobei der Bevölkerung auch die Möglichkeit geboten werden soll, sowohl den auf dem Volksbegehren
beruhenden Vorschlag als auch den Gegenvorschlag des Nationalrats abzulehnen.
Generelle Aufwertung der parlamentarischen Behandlung von Volksbegehren
Vorgesehen ist darüber hinaus, die parlamentarische Behandlung von Volksbegehren generell aufzuwerten. So
soll etwa für jedes Volksbegehren, das mehr als 100.000 Unterschriften erhält, künftig eine eigene
Nationalratssitzung einberufen werden. Bei dieser Sitzung darf auch der Bevollmächtigte des Volksbegehrens
das Wort ergreifen und die zentralen Forderungen der Initiative erläutern. Eine Stellungnahme des zuständigen
Regierungsmitglieds ist zwingend, für die Fraktionen gelten kurze Blockredezeiten. Anschließend soll
das Volksbegehren einem Spezialausschuss zugewiesen werden, danach ist für die abschließenden Beratungen
eine zweite Nationalratssitzung in Aussicht genommen.
Um eine breite Diskussion über qualifiziert unterstützte Volksbegehren anzuregen, ist geplant, alle Volksbegehren,
die von mehr als 10 % bzw. 15 % der Stimmberechtigten unterstützt wurden, automatisch einem Begutachtungsverfahren
zu unterziehen. Dabei sollen auch die wesentlichen finanziellen Auswirkungen sowie etwaige Auswirkungen auf die
Wirtschaft, die Umwelt, den Konsumentenschutz, die Gleichstellung von Männern und Frauen sowie die Erhöhung
von Verwaltungskosten geprüft werden.
Zur umfassenden Information der Bevölkerung über Volksbegehren ist die Einrichtung einer eigenen Internet-Plattform
des Parlaments vorgesehen. Wird über ein qualifiziert unterstütztes Volksbegehren eine Volksbefragung
durchgeführt, ist die Nationalratspräsidentin verpflichtet, eine Broschüre mit allen wesentlichen
Sachargumenten bereitzustellen.
Elektronische Unterstützung von Volksbegehren und Bürgerinitiativen wird möglich
Sowohl Volksbegehren als auch Bürgerinitiativen sollen künftig elektronisch unterstützt werden können.
Voraussetzung dafür ist eine eindeutige Identifikation durch die Verwendung der Bürgerkarte, entweder
in der klassischen Form oder in Form der Handy-Signatur. Damit sollen doppelte Unterstützungserklärungen
durch Wahlberechtigte ausgeschlossen und die Authentizität der Stimmabgabe bestätigt werden.
Um die Abgabe elektronischer Unterstützungserklärungen überhaupt erst zu ermöglichen, ist die
Einrichtung eines Zentralen Wählerregisters (ZeWaeR) beim Innenministerium erforderlich, wobei die ursprünglichen
Bestimmungen gründlich überarbeitet wurden, um datenschutzrechtlichen Bedenken Rechnung zu tragen. Das
Register soll auch administrative Erleichterungen für die Gemeinden bei der Abwicklung von Wahlen und Volksabstimmungen
bringen und für eine verbesserte Datenqualität sorgen. Zudem wird dadurch die Voraussetzung dafür
geschaffen, Volksbegehren in jeder Gemeinde – und nicht nur in der Heimatgemeinde – unterschreiben zu können.
Auch AuslandsösterreicherInnen können damit künftig, anders als bisher, Volksbegehren unterschreiben.
Inkrafttreten soll das Gesetzespaket grundsätzlich mit 1. Jänner 2015. Die neuen allgemeinen Bestimmungen
über die Beratung von Volksbegehren im Nationalrat könnten allerdings schon im nächsten Jahr gelten.
Nicht mehr im Gesetzespaket enthalten ist die ursprünglich geplante Bürger-Fragestunde.
Formell wurde der zwischen den Koalitionsparteien und den Grünen erzielte Kompromiss als gesamtändernder
Abänderungsantrag zum ursprünglichen Antrag der Koalitionsparteien ( 2177/A) eingebracht. Dazu kommt
ein weiterer Gesetzentwurf, der die Rolle des Verfassungsgerichtshofs im Volksbegehrensverfahren betrifft.
Auch FPÖ und BZÖ haben einen gemeinsamen Abänderungsantrag zum Antrag 2177/A vorgelegt: er orientiert
sich am Gesetzentwurf, den die Parlamentsdirektion auf Ersuchen der Opposition ausgearbeitet hat und setzt die
Hürde für die Durchführung einer Volksbefragung nach einem erfolgreichen Volksbegehren mit 4 % der
Stimmberechtigten an.
FPÖ und BZÖ halten 10%-Hürde für zu hoch
Im Rahmen der Debatte kritisierten sowohl Abgeordneter Harald Stefan (F) als auch Abgeordneter Herbert Scheibner
(B), dass die Hürde zur Einleitung einer Volksbefragung mit 10% bzw. 15% der Stimmberechtigten viel zu hoch
angesetzt sei. Scheibner erinnerte daran, dass in den letzten zehn Jahren ein einziges Volksbegehren diese Hürde
überschritten hat. Für ihn ist es außerdem unverständlich, dass der Nationalrat entscheidet,
ob ein von ihm gefasster Gesetzesbeschluss dem Anliegen des Volksbegehrens Rechnung trägt, und nicht die ProponentInnen
des Volksbegehrens selbst.
Abgeordneter Stefan verwies darüber hinaus auf zahlreiche legistische Unklarheiten und widersprüchliche
Bestimmungen im Begutachtungsentwurf. Es dränge sich das Gefühl auf, dass man, "aus Angst übrig
zu bleiben", noch schnell etwas hinausgeschossen habe, das nicht wirklich durchdacht sei, meinte er. Zur öffentlichen
Äußerung von Bundespräsident Heinz Fischer merkte Stefan an, er verstehe nicht, warum der Bundespräsident
Angst davor habe, dass das Volk Gesetze formuliere, schließlich würden bereits jetzt die meisten Gesetze
nicht im Parlament geschrieben, sondern von der Regierung und von Interessenvertretungen.
Kritik äußerten Scheibner und Stefan weiters daran, dass der von FPÖ und BZÖ gemeinsam vorgelegte
alternative Gesetzesvorschlag mit der 4%-Hürde nicht in Begutachtung gezogen wird. Ein entsprechender Antrag
wurde zwar auch von den Grünen unterstützt, fand aber dennoch keine Mehrheit. Um die Beratungen zu beschleunigen,
kündigte Scheibner an, einen Antrag auf Permanenterklärung des Verfassungsausschusses im Sommer zu stellen.
Seitens der SPÖ machte Klubobmann Josef Cap geltend, seine Fraktion habe es sich nicht leicht gemacht und
sich wirklich bemüht, gemeinsam mit der ÖVP und den Grünen einen praktikablen Gesetzestext zustande
zu bringen. Er bedauerte, dass sich FPÖ und BZÖ dem Entwurf nicht angeschlossen haben. Man betrete in
vielen Punkten Neuland, betone er und wertete es insgesamt als positiv, dass das Parlament in den Entscheidungsprozess
eingebunden bleibt.
Die vorgesehene 10%- bzw. 15%-Hürde sieht Cap als nicht zu hoch angesetzt. Man könne das nicht mit früheren
Unterstützungszahlen vergleichen, da künftig auch eine elektronische Unterstützung von Volksbegehren
möglich sein werde, argumentierte er. Zudem glaubt Cap, dass die Motivation, ein Volksbegehren zu unterschreiben,
steigt, wenn die Aussicht auf eine Volksbefragung besteht.
Verteidigt wurde von Cap auch die Durchführung eines Begutachtungsverfahrens. Er erinnerte daran, dass maßgebliche
Verfassungsexperten auf eine Begutachtung gedrängt hätten, zudem sei ein solches im Sinne von Transparenz
und Demokratie wichtig. Er sei schon gespannt auf das Ergebnis, erklärte Cap und zeigte sich offen für
legistische Verbesserungen.
Abgeordnete Daniela Musiol (G) wies Kritik von Abgeordnetem Scheibner zurück, die Grünen hätten
den Konsens der Opposition verlassen. Für die Grünen sei der gemeinsame Antrag mit den Koalitionsparteien
nicht die Idealvariante, räumte sie ein, der erzielte Kompromiss sei aber besser als keine Lösung. Schließlich
verfüge die Opposition nicht über die notwendige Zweidrittelmehrheit, um ihren Antrag zu beschließen.
Musiol hob überdies hervor, dass sich die SPÖ insgesamt sehr stark bewegt habe und zudem der Katalog
von Ausnahmen eng gehalten werden konnte.
Was die 10%-Hürde betrifft, sprach sich Musiol dafür aus, genau zu beobachten, ob die elektronische Unterstützung
von Volksbegehren durch die Bürgerkarte in der Praxis genutzt wird. Ihr Fraktionskollege Wolfgang Zinggl wertete
die Hürde jedenfalls als zu hoch und äußerte in diesem Zusammenhang auch die Befürchtung,
dass Volksbegehren mit weniger als 650.000 Unterschriften künftig noch weiter als bisher unter die Wahrnehmungsgrenze
rutschen könnten.
Abgeordneter Albert Steinhauser (G) meinte, er hoffe nicht, dass das Begutachtungsverfahren von der SPÖ als
Exitstrategie genutzt werde. Dies wäre ein Zeichen schlechter Handschlagqualität, warnte er in Richtung
SPÖ-Klubobmann Cap. Es spreche nichts dagegen, einzelne Punkte noch zu korrigieren, es gehe aber nicht an,
den gesamten Vorschlag zu kippen. In Richtung FPÖ und BZÖ hielt Steinhauser fest, das Perfekte sei der
Feind des Guten.
Abgeordneter Wolfgang Gerstl zeigte sich namens der ÖVP erfreut darüber erfreut, dass nun alle Parlamentsfraktionen
hinter dem Vorhaben stehen, die direkte Demokratie zu stärken, auch wenn es unterschiedliche Zugänge
gebe. Für ihn wird mit dem vorgelegten Antrag ein Schritt in eine neue Ära der direkten Demokratie getan.
Der Weg der repräsentativen Demokratie werde nicht verlassen, unterstrich Gerstl, da die Letztentscheidung
beim Parlament bleibe, es kämen ergänzend aber wesentliche direktdemokratische Elemente hinzu. Die ÖVP
kann sich ihm zufolge auch noch weitergehende Schritte vorstellen.
Wichtig ist für Gerstl, dass mit den neuen Instrumenten die politischen Mitsprachemöglichkeiten von Bürgerinnen
und Bürgern ausgeweitet werden und nicht "bestimmte Pressure-Groups" in den Vordergrund drängen.
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