Recherchen zum Fotografischen heute. Von 19. Juli – 7. September 2013 in der Atterseehalle
/ Fotohof Salzburg
Salzburg (fotohof) - Die Fotografie ist auch im 21. Jahrhundert ein wirkmächtiges Medium der Weltwahrnehmung
und Reflexion. In der Ausstellung gehen wir der Frage nach, was das Medium Fotografie heute im Kern auszeichnet
– was ist Fotografie „hochdosiert“? Gerade auch in einer Zeit dramatischer technologischer Veränderungen in
der Bildproduktion, dem Gebrauch und der Präsentation des Mediums interessiert uns die Untersuchung von Konstanten
und Variablen des fotografischen Dispositivs.
Das Motiv auf der Einladungskarte zeigt ein Stillleben von Matthias Herrmann, in dem Utensilien der professionellen
Fotografie – verschiedene Farbfilter – mittels verführerischem Studiolicht in Szene gesetzt werden. Hier kommt
der analoge Abbildungsprozess Fotografie in einer historischen Phase selbst zu einem seiner letzten Auftritte:
Farbfilter haben ihre Funktion mit Aufkommen der digitalen Fotografie längst verloren und sind Relikte einer
vergangenen Zeit.
Auch wenn sich die technologische Basis des fotografischen Prozesses gerade neu formt, bleiben die Fragen an die
Fotografie und das Denken über sie über alle Generationen der AnwenderInnen im Wesentlichen dieselben.
Die Ausstellung zeigt einen Querschnitt wichtiger österreichischer Positionen mit ganz unterschiedlichen Haltungen
und Methoden.
Anliegen der Ausstellung ist es ganz aktuelle Arbeiten von KünstlerInnen zu zeigen, die das Medium Fotografie
in seiner autonomen Form gebrauchen und nicht etwa, wie häufig in der zeitgenössischen Kunst zu sehen,
als Transportmittel für andere bildnerische Strategien. Das kuratorische Konzept sieht eine Strukturierung
nach Kapiteln vor, wobei die Zuordnung der einzelnen Arbeiten nicht in jedem Fall eindeutig ist – manche Positionen
sind wie bei sich überlappenden Schnittmengen auch in anderen Zusammenhängen denkbar.
In die Ausstellung in der Atterseehalle sind einige zentrale historische von uns als „Ankerarbeiten“ bezeichnete
Werke integriert – von Heinz Cibulka, VALIE EXPORT, Horáková + Maurer, Leo Kandl, Friedl Kubelka,
Michaela Moscouw, Magherita Spiluttini, Christian Wachter und Manfred Willmann. Diese Werke, die für die jüngere
österreichische Fotogeschichte als beispielhaft innovativ und einflussreich gelten können, bilden gewissermaßen
den Prolog zu den einzelnen Kapiteln.
Die Arbeit am Bild (Medienreflexion - Beschwörung des Materials)
Matthias Herrmann ist, so konnten wir bei unserer Recherche feststellen, einer von vielen zeitgenössischen
Künstlern, die auf die schnellen Veränderungen in den technologischen Voraussetzungen der Fotografie
reagieren. Während sich Herrmann reflexiv mit einer gewissen Ironie und einem Hauch von Sentimentalität
mit den Gegenständen auseinandersetzt, die das Medium in seinem täglichen Gebrauch lange definiert haben,
setzen viele jüngere Positionen gegen den Zeitgeist auf die archaische Kraft, die dem analogen Prozess oft
zugesprochen wird. So wird in den Arbeiten etwa von Andreas Duscha, Robert Gruber, Michael Part, Elisabeth Schmirl
eine vielfältige Materialität beschworen, die Bildwirkungen von reduktionistischen Abstraktionen bis
hin zur malerischen Repräsentation ermöglichen.
Die Beschäftigung mit Voraussetzungen und Bedingungen des Mediums - die Medienreflexion - war immer schon
im Fokus künstlerischer Auseinandersetzung. Neben den besprochenen "Materialbeschwörungen"
werden in der Ausstellung zu diesem Bereich Arbeiten von Franz Bergmüller, Inge Dick, Gertrud Fischbacher,
Thomas Freiler, Maria Hahnenkamp, Ilse Haider, Horakova + Maurer, Herwig Kempinger, Hans Kuppelwieser, Lois Renner,
Gabriele Rothemann, Nikolaus Schletterer, Günther Selichar, Katharina Struber, Otmar Thormann und Anita Witek
präsentiert. Bei den beiden Bildern aus der Paparazzi-Serie der Künstlergruppe G.R.A.M ist die Medienreflexion
eine spielerische Auseinandersetzung mit Mechanismen des voyeuristischen Bildgebrauchs in Massenmedien.
Der magische Augenblick – hier und jetzt
Jede Fotografie ist unauflöslich mit dem Zeitpunkt und dem Ort ihrer Aufnahme verbunden. Paul Albert Leitners
Beiträge zur Ausstellung - eine Zusammenstellung von Selbstporträts und eine Reihe von Einzelbildern
betonen durch ihre präzisen Bildlegenden diesen realitätsverhafteten Charakter des Mediums, auch wenn
die Inszenierung dieser Realität, etwa in den Selbstporträts gelegentlich eine entscheidende Rolle spielt.
Leitners Beiträge ermöglichen auch Einblicke in die Strukturierung fotografischer Archive, bei Leitner
handelt es sich um analoge handbeschriebene Karteikarten.
Weitere Positionen in diesem Abschnitt, der sich mit dem selten gewordenen Genre der Street Photography beschäftigt,
sind Phillippe Gerlach, Christopher Mavric, Annelies Oberdanner, Ingeborg Strobl, Timotheus Tomicek und Michael
Ziegler.
Die Kombinatorik - Bildsequenzen
Dieses Kapitel setzt sich mit der bildnerischen Formulierung von Inhalten in Serien auseinander. Das Einzelbild,
vom Schnappschuss bis zum elaborierten Tafelbild, wird zur oft filmischen Serie erweitert, Bilder kommunizieren
miteinander und gemeinsam dem Betrachter gegenüber. Heinz Cibulkas „Hochgebirgsquartette“ sind zugleich ein
künstlerischer Beitrag zum alpinen ländlichen Leben im Bundesland Salzburg wie auch ein prototypisches
Beispiel für das Arbeiten mit Bildzusammenstellungen. Peter Dressler schürft in „Wiener Gold“ (2011)
in sieben Bildern nach Goldnuggets in einer Straßen-Baugrube in Wien. Die Serie zeigt einmal mehr das Vermögen
des österreichischen Staatspreisträgers für künstlerische Fotografie 2013 große Themen,
wie etwa die Finanzkrise, mit subtilem Humor in wenigen Bildern zu erhellen. Weitere Positionen sind Anja Manfredi,
die mit der Methodik des Tableaux arbeitet, sowie Michael Aschauer, der mit einem technisch avancierten Aufnahmeverfahren
ein großes Stück der Westautobahn - etwa 50 km – in einem Bild darstellt.
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Soziale Dokumente
Erich Lessing sprach in einer kürzlich ausgestrahlten Radiosendung aus Anlass seines 90. Geburtstags
vom Verlust einer fotografischen Kultur, die die Welt in Fotoalben als Papierbild speichert. Die digitalen Bildermassen
auf Festplatten würden seiner Ansicht nach aus technischen Gründen in der Zukunft nicht erhalten bleiben
– und man würde nicht mehr sehen können, wie die Menschen gekleidet waren, wie Menschen, Gebäude
und Autos auf den Straßen ausgesehen haben.
Wenn auch dieses kollektive visuelle Gedächtnis durch die neuen Gebrauchsweisen der Fotografie als Massenmedium
in Gefahr scheint ist das Interesse an der Fortführung der künstlerischen Tradition der Social Landscape
– der Blick auf den Einzelnen, der einen Blick auf die Gesellschaft ermöglicht - ungebrochen.
So zeigt sich generationsüberschreitend eine engagierte Fortschreibung einer fotografischen Haltung, die
als empathisch-kritisches Teilnehmen am Alltagsleben der Bildprotagonisten bezeichnet werden kann. Beispielhaft
steht hier die Serie „Weinhaus“ von Leo Kandl aus den späten 70er Jahren des 20. Jahrhunderts, auf die sich
etwa Klaus Pichler in seinen neuen Bildern explizit bezieht.
Die Rezeption von Bildern der Welt verschiebt sich zunehmend von der Ebene der klassischen Bildreportage in
Zeitschriften in den Kunstbereich, und hier im speziellen hin zum Medium Buch. So sind Matthias Aschauers Bilder
von Attnang-Puchheim Teil eines im Werden begriffenen Buches, eine Art Überprüfung seiner Herkunft, während
Paul Kranzlers bereits drittes Fotobuch die soziale Landschaft Oberösterreichs aus verschiedenen Blickwinkeln
vermisst. In den von Bernhard Fuchs fotografierten, in ein atmosphärisches Licht getauchten Höfen im
Mühlviertel, sind die Menschen abwesend und scheinen doch gleichermaßen präsent: ein Phänomen
das die Fotografie seit der Frühzeit auszeichnet. Bei Angelika Kampfer und Rudi Strobl ist der Mensch hingegen
ein unmittelbares Gegenüber. Kampfers berührende und zugleich sachliche Bilder zeigen hochbetagte Menschen
im Angesicht des Todes und eröffnen damit eine existenzielle Dimension, bei Strobl ist die Familie mit all
ihrem Konfliktpotential Anlass für autobiografische Analyse. Marko Mestrovics begibt sich in seiner Reportage
in die Welt des „Müllbarons“, einer subversiv alternativen Welt in Bosnien mit eigener Ökonomie und Regeln.
Konstruktionen des Raums als Bild - Recherchen zur Landschaft
Sehr spät, und von Anfang an als Konstrukt gedacht, trat die Landschaftsdarstellung als malerisches Genre
ihren Weg in die Kunstgeschichte an. Schon sehr früh hingegen nahmen die Fotografen des 19. Jahrhunderts die
Landschaftsdarstellung in ihr Repertoire auf. In ihrer Anwendung heute bedingt der fotografische Apparat nach wie
vor durch seine Zentralperspektive den Raum als medienimmanentes Konstrukt.
Von den großen Entwürfen einer von zivilisatorischen Eingriffen geprägten Landschaft von Markus
Krottendorfer, Margherita Spiluttini, Andrea Witzmann, bis zu den kameralosen, direkt abgescannten Landschaftsstücken
von Günter Stöger reicht das Spektrum in der Beschäftigung mit dem Thema des Außenraumes.
Aber auch die Auflösung des (architektonischen) Raums und dessen Neu(an)ordnung beschäftigt KünstlerInnen
wie Krüger & Pardeller, Anita Witek als Möglichkeit die „natürlichen“ Gesetze der Fotografie
zu hinterfragen und eine Brücke vom Abbild zum Sinnbild zu bauen. Weitere Aufarbeitungen dieses Themas liefern
Anna Barfuss, Aglaia Konrad, Matthias Kessler und Gregor Sailer.
Selbstvergewisserungen - Identität
Die Frage nach Identität ist zweifelsohne eine der am meisten gestellten Fragen in der Auseinandersetzung
mit Bildender Kunst heute. Ausgangspunkt ist oft die Inszenierung des (eigenen) Körpers, mit dem Fragen nach
Geschlecht, Herkunft und sozialer Zugehörigkeit durchgespielt werden. Die Fotografie hat sich mit dem Auftreten
der Body Art in den 1960er Jahren vom Tabu, den Körper in expliziten Posen abzubilden befreit. Friedl Kubelka
inszeniert sich bewusst als erotisches Objekt und konterkariert damit gängige feministische Positionen. Matthias
Herrmann formuliert in seinen Selbstporträts schonungslos eine homosexuelle Identität im Spannungsfeld
von Lust und HIV. Elisabeth Wörndl arbeitet in ihrer Serie mit dem Kleid ihrer Mutter, das sie als originales
Requisit ihrer inszenierten Selbstporträts ins Bild setzt. Michael Hueys gesamtes Werk ist eine konzentrierte
Spurensicherung einer weitverzweigten amerikanischen bürgerlichen Familie. Heidi Harsieber führt mit
den Mitteln des klassischen psychologischen Portraits Künstlerpersönlichkeiten mit ihren Partnern in
ein Wechselspiel von Darstellung und Selbstdarstellung. Weitere Positionen in diesem Kapitel sind Sissi Farassat,
Anja Manfredi, Michaela Moscouw und Judith Rohrmoser.
Diskurs - Geschichte
Fotografie als Klammer von Weltbeschreibung und Zeichen von geschichtlich relevanten Ereignissen, aber auch
von privaten Erfahrungen an Orten, an denen sich soziale und politische Wirklichkeiten eingeschrieben haben, hat
in den letzten Jahren mehr und mehr Bedeutung erlangt. Nicht das appellative, reportierende Agieren ist hier angesagt,
sondern vielmehr das subtile Zusammenführen von persönlich recherchierten Anliegen, die sich in einen
bildnerischen Prozess darstellen. Diese nachforschenden Reflexionen kennzeichnen Werke von Caroline Heider, Werner
Kaligofsky, Ulrike Lienbacher, Tatiana Lecomte, Markus Oberndorfer, Isa Rosenberger, Wolfgang Thaler und Christian
Wachter.
Filmprogramm
Im Foyer der Atterseehalle wird die Ausstellung permanent durch ein von Siegfried A. Fruhauf in Kooperation
mit sixpackfilm kuratiertes Filmprogramm begleitet – im Fotohof findet am 28. August 2013 eine einmalige Aufführung
statt.
Filme von: Michael Aschauer (aka m.ash), Miklos Boros, Carola Dertnig, Nikolaus Eckhard, Siegfried A. Fruhauf,
KarØ Goldt, Dariusz Kowalski, Claudia Larcher, Nana Swiczinsky
Liste der ausgestellten KünstlerInnen
Matthias Aschauer - Michael Aschauer - Anna Barfuss - Franz Bergmüller - Miklos Boros - Heinz Cibulka
- Inge Dick - Peter Dressler - Andreas Duscha - VALIE EXPORT - Sissi Farassat - Gertrud Fischbacher - Thomas Freiler
- Bernhard Fuchs - Philippe Gerlach - G.R.A.M - Robert Gruber - Maria Hahnenkamp - Heidi Harsieber - Ilse Haider
- Caroline Heider - Matthias Herrmann - Horáková + Maurer - Michael Huey - Werner Kaligofsky - Angelika
Kampfer - Leo Kandl - Herwig Kempinger - Matthias Kessler - Aglaia Konrad - Paul Kranzler - Markus Krottendorfer
- Krüger & Pardeller - Friedl Kubelka - Hans Kuppelwieser - Tatiana Lecomte - Paul Albert Leitner - Ulrike
Lienbacher - Anja Manfredi - Christopher Mavric - Marko Mestrovic - Michaela Moscouw - Annelies Oberdanner - Markus
Oberndorfer - Michael Part - Klaus Pichler - Hans Pollhammer - Lois Renner - Judith Rohrmoser - Isa Rosenberger
- Gabriele Rothemann - Gregor Sailer - Nikolaus Schletterer - Elisabeth Schmirl - Günther Selichar - Margherita
Spiluttini - Günter Stöger - Ingeborg Strobl - Rudi Strobl - Katharina Struber - Wolfgang Thaler - Otmar
Thormann - Timotheus Tomicek - Martin Vesely - Christian Wachter - Manfred Willmann - Anita Witek - Andrea Witzmann
- Elisabeth Wörndl - Michael Ziegler
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