Frankfurt (idw) - Dass Musik auf viele Menschen mit Demenz einen positiven Einfluss hat, ist aus der musiktherapeutischen
Praxis zwar schon lange bekannt, war jedoch bisher wissenschaftlich nur eingeschränkt nachweisbar. Prüft
man nämlich, ob sich das Gedächtnis oder die Denkleistung des Patienten verändern, findet man keinen
Effekt. Dagegen verbessern sich das Wohlbefinden und der emotionale Ausdruck während der Musiktherapie deutlich.
Frankfurter Psychologen haben nun ein methodisches Vorgehen entwickelt, diese aus der Erfahrung bekannten Wirkungen
auch empirisch zu quantifizieren.
Arthur Schall, Musikwissenschaftler und Psychologe im Arbeitsbereich Altersmedizin der Goethe-Universität,
erzählt gern die Geschichte eines Patienten, der gegenüber der Musiktherapie anfangs sehr reserviert
war. Dieser bemerkte das Voranschreiten seiner geistigen Defizite, thematisierte es aber nicht und war entsprechend
unausgeglichen und aggressiv. Er ließ sich lediglich darauf ein, mit der Musiktherapeutin klassische Musik
anzuhören und darüber zu sprechen. Mit fortschreitender Erkrankung ließ sein Sprachvermögen
nach und damit auch die Fähigkeit, über seine Defizite bewusst zu reflektieren. Gleichzeitig sank die
Hemmschwelle, auf einfachen Instrumenten wie Trommeln oder einem Xylophon zu spielen. Er begann stundenlang zu
musizieren und wurde ausgeglichener. Die Musiktherapeutin leitete daraufhin die Ehefrau zur gemeinsamen Improvisation
an. „Die Frau berichtete, sie habe ganz neue Seiten an ihrem Mann entdeckt und die non-verbale Kommunikation habe
ihre Beziehung deutlich verbessert“, berichtet Schall.
In einer zweijährigen Pilotstudie mit Musiktherapeuten der Fachhochschule Frankfurt untersuchte Schall die
Auswirkungen von Musik auf Menschen mit fortgeschrittener Demenz, die im häuslichen Umfeld gepflegt wurden.
Die wöchentlichen, etwa 45-minütigen musiktherapeutischen Besuche wurden auf Videos festgehalten. Zur
Auswertung wendete die Arbeitsgruppe um Prof. Johannes Pantel in der Gerontopsychiatrie der Goethe-Universität
eine Methode an, die normalerweise zur Analyse von Börsenkursen oder meteorologischer Daten angewandt wird:
die Zeitreihenanalyse. Sie zerlegten jedes Video in 30 Sekunden lange Sequenzen, welche von geschulten Beobachtern
hinsichtlich der Kommunikationsfähigkeit, des Wohlbefindens sowie des emotionalen Ausdrucksverhaltens der
Erkrankten anhand spezifischer Skalen und bestimmter Kriterien eingeschätzt wurden. So konnten die Wissenschaftler
den zeitlichen Verlauf genau verfolgen und mit einer gewöhnlichen Alltagssituation vergleichen, die kurz vor
der Musiktherapie registriert wurde.
In Trend- und Interventionsanalysen, in denen die Daten aller einzelnen Verläufe zusammengefasst wurden, konnten
die Forscher nachweisen, dass sich non-verbale Kommunikationsfähigkeit, Wohlbefinden und emotionaler Ausdruck
der demenzkranken Menschen während einer Musiktherapie signifikant verbessern. „Menschen haben ein elementares
Bedürfnis, sich mitzuteilen. Wenn die Sprachfähigkeit nachlässt, gewinnen non-verbale Kommunikationsformen
zunehmend an Bedeutung und ermöglichen insbesondere auch die Äußerung von Emotionen“, erklärt
Schall. Nach Ablauf der Studie baten viele Angehörige um die Fortsetzung der Musiktherapie und finanzierten
diese sogar, sofern es ihnen möglich war, aus eigenen Mitteln.
In einem weiteren Projekt mit dem Frankfurter Städel-Museum wollen Prof. Johannes Pantel, Arthur Schall und
Dr. Valentina Tesky künftig auch die Potenziale von Kunst bei der Therapie Demenzkranker erforschen. Im Museum
of Modern Art in New York gibt es bereits Kunstführungen für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen.
„Wir möchten zusätzlich Atelier-Arbeiten anbieten, die es den Kranken ermöglichen sollen, sich kreativ
auszudrücken“, erläutert Pantel. Ebenso wie bei dem Musikprojekt sollen auch die pflegenden Angehörigen
im Atelier künstlerisch arbeiten, was sowohl zur Verbesserung der zwischenmenschlich kommunikativen Beziehung
zum demenzkranken Menschen als auch zu ihrer eigenen Entlastung beitragen soll.
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