Welche Altersgruppen sind Nettozahler und welche sind Nettoempfänger? Eine Studie der
TU Wien macht Geschlechterunterschiede sichtbar und berücksichtigt den Wert unbezahlter Arbeit.
Wien (tu) - Kinder werden von den Eltern versorgt, im Alter hoffen wir auf Versorgung durch den Staat. Irgendwo
dazwischen müssen die Ressourcen erwirtschaftet werden, die es dann zwischen den Generationen umzuverteilen
gilt. An der TU Wien wurden nun im Rahmen des Projekts „Welfare, Wealth and Work for Europe - WWW for Europe“ Daten
von mehreren europäischen Ländern analysiert: Angesichts der demographischen Entwicklung erscheint eine
Pensionsreform in vielen Staaten unvermeidlich. Dabei darf man aber nicht nur finanzielle Transferleistungen berücksichtigen,
auch unbezahlte Arbeit spielt bei der Umverteilung eine wichtige Rolle, vor allem die Kindererziehung. Während
Männer einen größeren Teil der finanziellen Transfers zu tragen haben, leisten Frauen deutlich
mehr unbezahlte Arbeit.
Netto zahlen oder netto empfangen?
Die mittlere Altersgruppe, die im Erwerbsleben steht, finanziert die anderen Altersgruppen mit. Um die Belastung
der Bevölkerung im Erwerbsalter anzugeben wird oft einfach die Zahl der über 65-jährigen mit der
Zahl der Menschen im Erwerbsalter in Relation gesetzt. Das ist aber nicht korrekt, sagt Alexia Fürnkranz-Prskawetz,
Professorin für mathematische Ökonomie an der TU Wien. Ihre Forschungsgruppe hat statistisch erhoben,
welche Werte in jedem einzelnen Lebensjahr erwirtschaftet werden und wie viel konsumiert wird. So lässt sich
genau berechnen, in welchem Alter das durchschnittliche Einkommen den durchschnittlichen Konsum übertrifft.
In Österreich gibt es viele Lehrlinge, die schon sehr früh ein eigenes Einkommen haben. Daher erwirtschaftet
man statistisch hier schon relativ früh – im Alter von 24 Jahren – mehr als man konsumiert. In Deutschland
und Italien, ebenso wie in Finnland und im Vereinigten Königreich, findet dieser Übertritt vom Nettokonsumenten
zum Nettoproduzenten erst mit 27 Jahren statt.
Für das Sozialsystem ist diese Zahl allerdings weniger entscheidend als die Altersgrenze, bei der das durchschnittliche
Lohneinkommen wieder unter die durchschnittliche Konsum-Grenze sinkt und man in ökonomische Abhängigkeit
gerät. In Österreich liegt diese Grenze im Durchschnitt bei 59 Jahren, in Deutschland bei 60. „Diese
Altersgrenze muss nach oben verschoben werden, insbesondere angesichts der steigenden Lebenserwartung. Das wird
nur durch höhere Zu- und Abschläge je nach Pensionsantrittsalter möglich sein.“, sagt Alexia Fürnkranz-Prskawetz.
Schweden gilt hier international als Vorbild: Bis zum Alter von 63 Jahren erwirtschaftet die schwedische Bevölkerung
im Durchschnitt mehr als sie konsumiert.
Geschlechterunterschiede
In Österreich und Deutschland geht nur etwa ein Drittel des Gesamt-Erwerbseinkommens an Frauen. In Schweden
sind es 41%, in Finnland 43%. In Österreich arbeiten viele Frauen in Teilzeitjobs – Kindererziehung ist hier
immer noch in erster Linie Frauensache. Der Übergang in die ökonomische Abhängigkeit am Ende der
Berufskarriere findet bei Frauen früher statt als bei Männern: Nur bis zum Alter von 55 Jahren (Männer:
59) erwirtschaften Frauen mehr als sie konsumieren. (Deutschland: Frauen: 53, Männer: 61)
„Wenn man Umverteilung zwischen Generationen und Geschlechtern analysiert, muss man allerdings unbedingt auch die
unbezahlte Arbeit miteinbeziehen“, betont Bernhard Hammer, Erstautor der Studie. Unbezahlte Leistungen wie Kinderbetreuung
und Hausarbeit werden hauptsächlich von Frauen übernommen. Die TU-Forschungsgruppe bezog nun diese Leistungen
in die Gesamtstatistik mit ein, bewertet mit einem Durchschnitts-Stundenlohn der jeweiligen Staaten.
Durch dieses Einbeziehen unbezahlter Arbeit wird der Unterschied zwischen Männern und Frauen in allen Staaten
deutlich kleiner. In Österreich und Deutschland bleiben Frauen trotzdem noch spürbar unter dem von Männern
erwirtschafteten Produktionswert. Allerdings ist dieser direkte Vergleich nur bedingt aussagekräftig: Wie
unbezahlte Arbeit finanziell zu bewerten ist, lässt sich letztlich nicht objektiv festlegen.
Gerade jüngere Frauen leisten einen großen Teil der nichtbezahlten Arbeit. Daher ändert auch die
statistische Miteinbeziehung unbezahlter Leistungen wenig am sehr frühen Übergang in die ökonomische
Abhängigkeit: Ab einem Alter von 58 Jahren erwirtschaften Frauen in Österreich nach dieser Berechnung
weniger als sie konsumieren. (Männer: 60, gesamt: 59. Deutschland: Frauen: 58, Männer: 62.)
Bei einer Reform des Sozialsystems müssen unbezahlte Leistungen auf jeden Fall berücksichtigt werden.
Hausarbeit und Kindererziehung trägt zum allgemeinen Wohlstand genauso bei wie Erwerbsarbeit. Die Konsequenz
muss sein, sowohl Erwerbsarbeit als auch unbezahlte Arbeit gerecht aufzuteilen. „Wir sollten Frauen besser ermöglichen,
voll ins Berufsleben einzusteigen, aber uns darüber im Klaren sein, dass unsere Gesellschaft auch für
die unbezahlte Arbeit aufkommen muss“, sagt Alexia Fürnkranz-Prskawetz.
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