Gemeindebund fordert Reformen in vielen Bereichen ein
Wien (gemeindebund) - Im Vorfeld des 60. Österreichischen Gemeindetages hat der Gemeindebund in einer
repräsentativen Umfrage des "Instituts für qualitative Marktforschung" das Vertrauen in die
politischen Ebenen abfragen lassen. Die Ergebnisse (1.273 Telefoninterviews) geben auch Aufschluss darüber,
in welchen Themenfeldern die Österreicher/innen den größten Reformbedarf sehen.
"Wir lassen solche Befragungen fast jedes Jahr machen", erklärt Gemeindebund-Chef Helmut Mödlhammer.
"Das dient auch der Überprüfung unserer eigenen Arbeitsschwerpunkte und gibt den Gemeinden wichtige
Hinweise darauf, in welchen Bereichen sie ihre Anstrengungen verstärken müssen." Gerade weil die
Nationalratswahlen unmittelbar bevorstehen, sei es auch wichtig zu wissen, welche Themen die Bevölkerung aktuell
bewegen, ergänzt Hans Hingsamer, selbst auch Bürgermeister und Präsident des Oberösterreichischen
Gemeindebundes.
Vertrauen in die Gemeinden ist ungebrochen groß
Insgesamt ist das Vertrauen der Menschen in die Gemeinden ungebrochen hoch. "Österreichweit vertrauen
47 Prozent der Menschen ihrer Gemeinde am meisten", berichtet Mödlhammer. Dahinter rangieren mit einem
Vertrauenswert von 33 Prozent die Bundesländer. Weit abgeschlagen liegen mit elf Prozent die Bundesebene und
mit sieben Prozent die Europäische Union. "Dieses Vertrauen ehrt die Gemeinden sehr, es ist auch Ansporn,
unsere bürgernahe Arbeit fortzusetzen. Interessant dabei sind aber auch die regional durchaus unterschiedlichen
Ergebnisse. So ist etwa das Vertrauen in die Landesebene bei den Burgenländer/innen mit 18 Prozent erschreckend
gering. In Vorarlberg wiederum vertrauen die Menschen ihrer Landesverwaltung in sehr hohem Ausmaß."
Spannend ist auch der Zusammenhang zwischen der Größe einer Gemeinde und dem Vertrauen der Menschen
in diese Einheit. In Städten über 50.000 Einwohner sinkt das Vertrauen in die Kommunalpolitik auf 36
Prozent, während in Gemeinden unter 10.000 Einwohner das Vertrauen in die Gemeindepolitik überdurchschnittlich
hoch ist (51 %). "Auch wenn man sich die verschiedenen Altersgruppen anschaut, so freuen wir uns besonders
darüber, dass in der Gruppe der 16-19-Jährigen das Vertrauen in die Kommunalpolitik besonders hoch ist",
so Mödlhammer.
Bei der Effizienz der Arbeit liefern sich die Gemeinden mit den Bundesländern ein Kopf-an-Kopf-Rennen. Österreichweit
halten 44 Prozent die Gemeinden für die effizientere Einheit, 43 Prozent finden, dass die Bundesländer
am effizientesten arbeiten. "In den Einzelbetrachtungen in Bundesländern gibt es dahingehend sehr deutliche
Unterschiede. Die Salzburger und die steirischen Gemeinden arbeiten - nach Meinung der Bevölkerung - besonders
effizient", so Mödlhammer.
Logische Schlussfolgerung aus der Summe an Vertrauen und Effizienz: Die Bevölkerung will, dass die Gemeinden
mehr Einfluss und Entscheidungsgewalt bekommen sollen. 43 Prozent wünschen sich, dass die Kommunen mehr zu
entscheiden haben. 37 Prozent wollen die Bundesländer gestärkt wissen, nur 20 Prozent wünschen sich
mehr Einfluss und Entscheidungsgewalt des Bundes.
Ernüchterung im Vorfeld der Nationalratswahl
"Ein Alarmsignal sind für mich die Ergebnisse der Frage, ob die Menschen der nächsten Bundesregierung
die notwendigen großen Reformen zutrauen", so Mödlhammer. "Nur 21 Prozent haben die Hoffnung,
dass die großen Reformprojekte in der kommenden Legislaturperiode auch wirklich angepackt werden. 68 Prozent
glauben definitiv, dass der Reformstau weiterhin Bestand haben wird. Dieser Wert muss bei allen Parteien die Alarmglocken
schrillen lassen", so Mödlhammer.
Nächste Regierung muss Reformstau auflösen
Der Bedarf an Reformen, so Mödlhammer und Hingsamer, sei der Bevölkerung sehr bewusst. "Es ist angesichts
der Diskussionen in den letzten Monaten nicht sehr überraschend, dass das Bildungsthema sehr präsent
ist. Hier sehen 63 Prozent der Menschen dringenden Reformbedarf und man kann jeder Regierung nur dringend anraten,
dieses Thema endlich anzugehen." An zweiter Stelle steht im Empfinden der Bevölkerung schon eine Pensionsreform
(48 %). Auch bei den Themen Pflege (44 %), Bürokratieabbau (36 %) und Steuerreform (34 %) besteht Handlungsbedarf.
"Die Bildung ist eine Zukunftsfrage für unsere Gesellschaft", sagt Mödlhammer. "Und hier
reichen Sonntagsreden und Lippenbekenntnisse nicht aus. Deswegen bauen wir in den Gemeinden derzeit die Pflichtschulen
mit Hochdruck aus, um eine qualitätsvolle Nachmittagsbetreuung zu ermöglichen. Dazu brauchen wir aber
auch ein flexibleres Dienstrecht, sonst ist der Verwaltungsaufwand wieder um ein Stück höher", weiß
Mödlhammer.
Gemeinden fordern Bürokratieabbau
Auch einen zweiten Punkt will Mödlhammer von der nächsten Regierung ernstgenommen wissen: "Wir in
den Gemeinden leiden jeden Tag unter den tausenden Vorschriften und Gesetzen, die es für jedes kleine Detail
gibt und die von Bund und Ländern zu uns herunterkommen. Wir verlangen einen Belastungsstopp, Schluss mit
neuen Aufgaben für die Gemeinden und ein drastisches Herunterfahren der Ministerialbürokratien. Dort
werden ständig neue Vorschriften und Regeln gemacht, die in der Praxis bei den Gemeinden einen unglaublichen
Aufwand verursachen. Bei uns arbeiten ja nur 15 bis 20 Prozent der Mitarbeiter/innen in der Verwaltung und die
können das alles bald nicht mehr stemmen."
Einsparungen sollen durch Ausgabenkürzungen kommen
Ein zweischneidiges Schwert ist die Haltung der Bevölkerung zur Frage, durch welche Maßnahmen die öffentlichen
Budgets saniert werden sollen. 63 Prozent geben an, dass dies durch die Kürzung von Ausgaben erfolgen soll.
14 Prozent wollen Leistungen kürzen, zehn Prozent sehen Steuererhöhungen als richtiges Mittel zur Sanierung
der Budgets an. Immerhin 14 Prozent sehen keine Notwendigkeit, die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren.
"Das ist deshalb ein zweischneidiges Schwert, weil das Kürzen von Ausgaben sehr oft natürlich auch
mit Leistungseinschränkungen verbunden ist", sagt Mödlhammer. "Den Gemeinden ist es in den
letzten Jahren immerhin gelungen, ihre Budgets zu stabilisieren und österreichweit einen Überschuss von
400 Millionen Euro zu erzielen. Das ging noch nicht zulasten von Leistungen der Gemeinde, aber schon zulasten von
Investitionen, die eigentlich nötig sind."
Gemeinden stellen Forderungen an künftige Regierung auf
Der Bundesvorstand des Österreichischen Gemeindebundes, der aus rund 60 Bürgermeister/innen aus allen
Bundesländern besteht, richtet daher kurz vor der Nationalratswahl einen Appell an alle Parteien, die Forderungen
der Gemeinden ernst zu nehmen. "Wir haben eine Vielzahl an Punkten erarbeitet, die uns am Herzen liegen und
die auch für die bald anstehenden Verhandlungen zum Finanzausgleich von Bedeutung sind", berichtet Mödlhammer.
Der Abbau von bürokratischen Hürden und das Eindämmen der Gesetzesflut sind zwei der wichtigsten
Punkte aus diesem Programm. "Wenn uns ständig neue Lasten in Form von Vorschriften und Regeln aufgebürdet
werden, darf sich niemand wundern, wenn wir das mit unseren schlanken Personalstrukturen irgendwann nicht mehr
schaffen", so Hans Hingsamer.
Auch der Wunsch nach der Vertragsfähigkeit der kommunalen Interessensvertretungen mit dem Bund ist ein dringendes
Anliegen der Gemeinden. "Wir sehen sehr oft, wieviel Zeit es kostet, wenn wichtige Projekte, wie etwa der
Ausbau der Kinderbetreuung, über jeweils eigene 15a-Vereinbarungen mit den Ländern geregelt werden müssen",
erzählt Mödlhammer. "Es wäre wesentlich effizienter, wenn wir mit dem Bund direkt Vereinbarungen
treffen könnten, so wie das ja auch beim Finanzausgleich der Fall ist."
Der Um- und Ausbau von Bildungseinrichtungen wie Schulen und Kindergärten ist angesichts der wachsenden Betreuungsanforderungen
ein sehr kostenintensiver Bereich. "Wir haben zähneknirschend zur Kenntnis genommen, dass wir bei den
meisten Investitionen die Möglichkeit verloren haben, uns die Vorsteuer zurückzuholen. Bei Bildungseinrichtungen
haben wir dafür überhaupt kein Verständnis. Wir verlangen vehement, dass wir hier bei der alten
Regelung bleiben. Sonst verteuert sich für die Gemeinden jeder Um- und Neubau auch weiterhin um 20 Prozent,
das kann nicht im Sinne eines Regierungsprogramms sein, egal welche Couleurs die neue Regierung beinhaltet."
Es ist in Ordnung, dass ständig mehr Kooperation von den Gemeinden verlangt wird. Jenen Gemeinden, die kooperieren
wollen, legt man aber steuerliche Steine in den Weg. "Es muss möglich sein, dass Gemeinden gemeinsam
Personal für spezifische Leistungen nutzen, ohne dafür Umsatzsteuer bezahlen zu müssen. Alles andere
wäre widersinnig und entspricht nicht dem Kooperationsgeist zwischen staatlichen Stellen, der andauernd eingefordert
wird."
Für die Verhandlungen zum neuen Finanzausgleich wird einer der zentralen Punkte die Forderung nach einem "Sondertopf
für strukturschwache Gemeinden" sein. "Es gibt Gemeinden, die nie in der Lage sein werden, ihre
wirtschaftliche Situation zu verbessern. Ihre Lage in strukturschwachen Gebieten erfordert dennoch eine minimale
Infrastruktur. Wir können diese Gebiete ja nicht absiedeln und der Natur überlassen", sagt Mödlhammer.
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