Zahlreiche Gedenkveranstaltungen – Parlament informiert mit Internet-Plattform und Broschüre
über vielfältige Formen des Erinnerns und Gedenkens in Österreich
Wien (pk) - Das Datum der von den Nationalsozialisten begangenen Pogrome des Jahres 1938 jährt sich
heuer zum 75. Mal. Auf Initiative von Nationalratspräsidentin Barbara Prammer wurden daher OrganisatorInnen
von Gedenkveranstaltungen eingeladen, ihre diesjährigen Veranstaltungen bekannt zu geben. Mehr als 130 von
verschiedenen Organisationen, KünstlerInnen und auf private Initiative geplante Gedenkveranstaltungen sind
nun auf einer eigens dazu gestalteten und laufend aktualisierten Plattform auf der Parlamentswebsite http://www.parlament.gv.at abrufbar. Die Termine sind zudem in einer Broschüre zusammengefasst.
Internet-Plattform und Broschüre wurden am 12.09. im Rahmen einer Pressekonferenz im Parlament vorgestellt.
In Vertretung der kurzfristig verhinderten Nationalratspräsidentin begrüßte Parlamentsdirektor
Harald Dossi die TeilnehmerInnen am Podium, darunter prominente Vertreter der jüdischen Gemeinden in Österreich
und ZeitzeugInnen ebenso wie VertreterInnen von Veranstaltungen und Gedenkinitiativen. Angesichts von mehr als
130 Veranstaltungen, die diesen Herbst in Österreich stattfinden werden, könne nur ein kleiner Ausschnitt
vorgestellt werden, um so die Vielfalt der Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in Österreich sichtbar
zu machen, sagt er. Das Parlament wird sich in einer Musikveranstaltung am 7. November dem Gedenken widmen.
Die Chefdramaturgin des Volkstheaters Wien Susanne Abbrederis erläuterte, dass seit fünf Jahren eine
Kooperation ihres Hauses mit dem Österreichischen Parlament zum Gedenken an die Opfer der Novemberpogrome
besteht. Heuer arbeite das Volkstheater überdies mit der Initiative "Steine der Erinnerung" zusammen
und stelle verfolgte KünstlerInnen in den Mittelpunkt.
Deutsch: Den Blick auch auf die Gegenwart richten
IKG Wien-Präsident Oskar Deutsch unterstrich, nicht nur das Gedenken sei wichtig, sondern man müsse auch
den Blick auf bedenkliche Entwicklungen der Gegenwart richten. So gebe es vielerorts einen neu aufkommenden Antisemitismus
und Manifestationen von Fremdenhass. Gegen diese menschenfeindlichen Tendenzen gelte es, gemeinsam anzukämpfen,
so sein Appell.
Der Präsident der IKG Salzburg Marko Feingold berichtete von seiner
Tätigkeit als Zeitzeuge. Die Salzburger Synagoge sei am 10. November 1938 auf Initiative lokaler Parteifunktionäre
zerstört und dann als Lagerraum verwendet worden. Erst 1968 gelang es der jüdischen Gemeinde, sie wieder
aufzubauen. Feingold sah es als symptomatisch für die österreichische Nachkriegszeit, dass ein Geldbetrag,
den die IKG Salzburg für das enteignete Gebäude erhalten hatte, noch 1947 nachweislich auf einem Bankkonto
lag, aber in der Folge nicht mehr auffindbar war.
Die wissenschaftliche Leiterin vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands (DÖW) Brigitte
Bailer skizzierte die Initiativen ihrer Institution, welche sich als überparteiliche Einrichtung der Erforschung
und Vermittlung der Zeit des Nationalsozialismus widmet. Heuer lasse man ZeitzeugInnen zu Wort kommen und gestalte
Veranstaltungen gemeinsam mit dem psychosozialen Zentrum ESRA, betonte sie.
Auch Andreas Erdmann (Leitung Dramaturgie am Wiener Burgtheater) berichtete über eine Veranstaltungsreihe,
in denen das Burgtheater in Lesungen die Lebenserinnerungen von ZeitzeugInnen in den Mittelpunkt stellt.
Manfred Mühlmann stellte sich als Betreiber der Webseite www.novemberpogrom1938.at vor, die die historische
Erinnerung an die Ereignisse der Pogromnacht in Innsbruck wach halten will. Vier Mitglieder der kleinen Innsbrucker
Gemeinde wurden in der Pogromnacht ermordet.
Dreier: Vermittlung von Zeitgeschichte kann nicht nur über die Schule erfolgen
Die Tätigkeit des "vereins erinnern.at", der sich mit LehrerInnenbildung und Entwicklung von Unterrichtsmaterial
zur Zeitgeschichte befasst, stellte Werner Dreier vor. Die Relevanz der Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus
und dem Holocaust könne die Schule nicht allein vermitteln, betonte er. Deshalb freue er sich besonders über
die Initiativen des Parlaments.
Wolfgang Kautek (Katholischer AkademikerInnenverband Wien) verwies auf Veranstaltungen unterschiedlichen Formats,
die unter dem hebräischen Titel "Mechaje hametim – Der die Toten auferweckt" stattfinden.
Ruth Steiner hielt fest, der Koordinierungsausschuss für christlich-jüdische Zusammenarbeit vertrete
den Grundsatz, dass es keine kollektive Schuld, sehr wohl aber kollektive Verantwortung und eine Verpflichtung
zum Gedächtnis gebe, und organisiere deshalb regelmäßig Gedenkveranstaltungen mit interreligiösem
Charakter.
Für Adalbert Wagner (Verein Gedenkdienst) war es charakteristisch für den österreichischen Umgang
mit der Vergangenheit, dass das Gedenken an die Novemberpogrome lange Zeit nur von der Zivilgesellschaft getragen
und erst spät von der Politik aufgenommen wurde. Gedenkinitiativen seien auch immer mit Fragen der Finanzierung
ihrer Tätigkeit konfrontiert. In diesem Kontext habe das Parlament eine sehr wichtige und positive Rolle gespielt,
hob er hervor.
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