Von 28.09. bis 24.11. im freiraum quartier21 INTERNATIONAL / MuseumsQuartier Wien
Wien (mqw) - „FACELESS part I“ zeigte, welchen Reiz das Verstecken, Verhüllen oder Maskieren des Gesichts
auf Kunst und Mode nach 9/11 ausübte. Der zweite Teil der Ausstellung, der am 27.09. um 19 Uhr im freiraum
quartier21 INTERNATIONAL im MuseumsQuartier Wien eröffnet wird, führt diese Bestandsaufnahme fort und
gewinnt an partizipativem Charakter. Im Fokus stehen interdisziplinäre Arbeiten sowie Lectures, Performances
und Workshops, die vermitteln, wie man ohne Gesichtsverlust überleben und gleichzeitig revoltieren kann.
„So verräterisch ein Gesicht und sein Ausdruck auch sein mögen, so kreativ sind auch die Möglichkeiten,
diese so eindeutigen Oberflächen unleserlich, ja unsichtbar zu machen, ohne dabei Gefahr zu laufen, auch einen
sozialen Tod erleiden zu müssen“, so Brigitte Felderer, die in Zusammenarbeit mit dem Künstler Bogomir
Doringer die Gruppenausstellung „FACELESS part II“ kuratiert.
„Der Erfolg des ersten Teils der Ausstellung mit 12.000 BesucherInnen zeigt, wie aktuell das Thema ist und wie
sehr es die Leute interessiert. ‚FACELESS part II’ greift erneut kritisch Probleme unserer medialen Kultur auf“,
so MuseumsQuartier Direktor Dr. Christian Strasser.
Die Werke der 45 KünstlerInnen sind in Themenbereiche wie digitale Masken, Spiegel, Ikonen und unsichtbare
Personen unterteilt. Für die Inszenierung zeichnen sich erneut Studenten der Abteilung für Bühnen-
und Kostümgestaltung sowie Film- und Ausstellungsarchitektur der Universität Mozarteum Salzburg verantwortlich.
Ergänzt wird „FACELESS part II“ durch Fotos zu Gesichtslosigkeit von über 50 KünstlerInnen der Website
http://www.facelessexhibition.com (gesamt ca. 2.000
Posts).
In eine melancholische Atmosphäre taucht die BesucherInnen der eindringliche, poetische Sound von William
Basinskis Videoarbeit „Disintegration Loop 1.1.“, die im gesamten Ausstellungsraum zu hören ist. Der Film
des amerikanischen Komponisten wurde am Abend des 11. September 2001 gedreht und zeigt in einer einzigen über
60-minütigen Einstellung die von Rauchschwaden umhüllten Twintower.
Jill Magid ist mit der Installation „Article 12 / The Spy Project“ vertreten, die für den niederländischen
Geheimdienst entstand. Um ein „menschliches Gesicht“ der Organisation zu zeichnen, porträtiert sie die Spione.
Obwohl sie deren Identität stets wahrt, wurden einige Teile der Arbeit später zensiert und beschlagnahmt.
Zentrales Element der auf Texten basierenden Installation ist die Neonarbeit „I Can Burn your Face“, dessen grelle
Leuchtkraft das Entziffern der vertraulichen Informationen auch für die BesucherInnen der Ausstellung unmöglich
macht.
Dass der größte Suchmaschinenanbieter der Welt auch „Arbeiter vierter Klasse“ beschäftigt, deckt
Andrew Norman Wilson auf. Der Film „Workers Leaving the Googleplex“ thematisiert die sogenannten „ScanOps“, billig
entlohnte Zeitarbeiter, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit Bücher für Googles digitale Bibliothek
scannen. Dass es dabei auch zu unerwünschten (Darstellungs-) Fehlern der einzelnen Buchseiten kommt, machen
die Fotografien „ScanOps“ sichtbar. Die „unsichtbaren“ Migranten, die illegal die Grenze zwischen den USA und Mexiko
passieren, stellt die britische Künstlerin Lucy Wood ins Zentrum ihrer Installation „Distant Neighbors / Vecinos
Distantes“. Das langjährige Fotoprojekt „Exactitudes“ von Ari Versluis und Ellie Uyttenbroek zu Identität
und Uniformität zeigt, wie sich Individuen verschiedener sozialer Gruppen in Haltung und Dress Code ähneln/gleichen.
Ein Stück Privatsphäre zum Anziehen: Der amerikanische Künstler Adam Harvey kreiert gemeinsam mit
der Modedesignerin Johanna Bloomfield „Stealth Wear“, intelligente Tarnkleidung und Accessoires, die vor Überwachung
schützen. Als zweite Station nach dem New Museum in New York macht der „Privacy Gift Shop“ exklusiv in der
Ausstellung halt. Zu kaufen gibt es u.a. die Anti-Drohnen-Kollektion aus metallisiertem Textil, das verhindert,
durch Wärmebildkameras aufgespürt zu werden. Zach Blas, Gründer des Künstlerkollektivs „Queer
Technologies“, entwickelt Formen des Protests als Reaktion auf die Unschärfe biometrischer Daten. Sein Projekt
„Facial Weaponization Suite“ klärt auf, wie man Gesichtserkennung umgeht, falsche Daten abliefern oder das
„Gesicht von vielen“ tragen kann. „Da das Gesicht immer mehr zum Symbol von Kontrolle und Überwachung wird,
verändert sich auch das moralische Verhältnis dazu, das vermehrt Verunstaltung und Flucht beinhaltet.
Dabei geht es notwendigerweise nicht um das gegenseitige Erkennen sondern um kollektive Veränderungen, die
zugleich chaotisch als auch standardisiert sind. Die Maske ist die bekannteste Form von Entstellung und Symbol
für Verweigerung aber auch Verwandlung“, so Zach Blas.
Der deutsche Konzeptkünstler Aram Bartholl ist wie Addie Wagenknecht und KATSU Teil des New Yorker Künstlerkollektivs
„F.A.T. - Free Art and Technology Lab“. In „How to Vacuum Form“ gibt er weiter, wie man eine Guy-Fawkes-Maske,
das Accessoire des Protests, selbst herstellen kann. Jeremy Bailey mimt in seinen Videos und Performances gekonnt
die Figur des Nerds. Der kanadische Künstler ist in der Ausstellung und im Rahmenprogramm vertreten, wo er
u.a. Teenagern im „Hey You with the Awesome Face“-Workshop beibringt, wie man die Webcam austrickst um populärer
auszusehen. Der niederländische Künstler Arthur Elsenaar bringt das Gesicht zum Tanzen. Sein Forschungsprojekt
„ARTIFACIAL“ macht es möglich, Bewegungen der Gesichtsmuskel durch elektrische Impulse digital zu steuern.
Im Video „The Punishment“ von Ondrej Brody und Kristofer Paetau exerzieren Kinder den scheinbar natürlichen
Drang das Böse – in diesem Fall eine Fotografie von George Bush – lustvoll zu bestrafen. In dem die Gesichter
in den digitalen Porträts von Ben DeHaan zerrinnen, wird die Fragilität digitaler Formate, ihre Ablaufzeit
thematisiert. Die japanische Hutmacherin Maiko Takeda kreiert Masken und Kopfbedeckungen wie aus einer virtuellen
Welt, die Björk seit einigen Monaten auf Konzerten trägt. Der deutsche Künstler Martin Backes adaptiert
den Pixel-Filter von Google Street View, der Gesichter unkenntlich macht, auf den Stoff seiner Masken „Pixelhead“.
Auf der Suche nach dem richtigen/perfekten Gesicht Dank plastischer Chirurgie testet der Künstler und Filmemacher
Martin C de Waal die Grenzen seiner Persönlichkeit. „Narciss“, Mirko Lazovic's Skulptur aus Spiegeln, verwehrt
das eigene Abbild darin zu sehen. Die vielen gezeichneten Gesichter des Bryan Lewis Saunders: Der amerikanische
Künstler erschafft seit vielen Jahren Tag für Tag ein Selbstporträt. „FACELESS part II“ zeigt die
48-teilige Serie „Under the Influence“, die unter dem Einfluss täglich wechselnder Drogen und Substanzen entstand.
KünstlerInnen
Martin Backes (DE), Jeremy Bailey (CA), Jonathan Barnbrook (UK) for David Bowie, Aram Bartholl (DE), William
Basinski (US), Zach Blas (US), Heiko Bressnik (AT), Ondrej Brody (CZ) & Kristofer Paetau (FI), Mark Brown (NL/GB),
Cracked Labs (AT), Ben DeHaan (US), Sofie Groot Dengerink (NL), DENNATON (Jonatan Söderström & Dennis
Wedin) (SE), Arthur Elsenaar (NL), Hrafnhildur Gissurardottir (IC), Adam Harvey (US), Jakob Lena Knebl (AT) &
Thomas Hörl (AT), KATSU (US), Miodrag Krkobabic' (RS), Matthieu Laurette (FR), Mirko Lazovic' (RS/NL), Theo-Mass
Lexileictous (CY), Vanessa Lodigiani (MX), Jill Magid (US), Alberto de Michele (IT), Jelena Miskovic' (RS), Bob
Miloshevic' (RS), Andrew Newman (AU/DE), Bernd Oppl (AT), Marco Pezzotta (IT), RAF SIMONS, Tarron Ruiz-Avila (AU),
Bryan Lewis Saunders (US), Tim Silver (AU), Maiko Takeda (JP), Ari Versluis (NL) & Ellie Uyttenbroek (NL),
Daniel Vom Keller (CH/NL), Martin C de Waal (NL), Anne Wenzel (NL), Lucy Wood (UK), Andrew Norman Wilson (US) und
Marcus Zobl (US/AT).
*Einige der teilnehmenden KünstlerInnen leben und arbeiten im Rahmen des Artist-in-Residence
Programms des quartier21/MQ in Wien.
„FACELESS part II“ wird in Kooperation mit dem Bundesministerium für
europäische und internationale Angelegenheiten, Artistic Technology Research (Universität für angewandte
Kunst Wien), der Universität Mozarteum Salzburg, dem Bund Europäischer Jugend/Junge Europäische
Föderalisten (BEJ/JEF) sowie mit Unterstützung von Partnern und Sponsoren aus dem In- und Ausland organisiert.
Ein Symposium sowie Führungen, Performances, Lectures und Workshops finden u.a. während der VIENNAFAIR
und VIENNA ART WEEK statt.
|