Linz (jku) - Einer der spannendsten Teilbereiche der Physik ist die Erforschung des Weltraums. Mit gewaltigen
Teleskopen werfen Forscher Blicke in Zukunft und Vergangenheit des Weltraums. Um unser Wissen weiter auszudehnen,
plant die Europäische Südsternwarte (ESO) den Bau eines neuen Teleskops: Das "European Extremly
Large Telescope (E-ELT)" soll einen Spiegel mit 39 Metern Durchmesser erhalten. Ein Teil der mathematischen
Algorithmen zur Steuerung des damit größten Teleskops der Welt wurden gemeinsam vom Johann Radon Institute
for Computational and Applied Mathematics (RICAM), dem Industrial Mathematics Competence Center (IMCC) und dem
Institut für Industriemathematik an der Universität (JKU) Linz entwickelt. Die Fortsetzung der Forschungsarbeiten
wurde nun für weitere drei Jahre gesichert.
Zum Vergleich: Der Hauptspiegel des berühmten Hubble-Teleskops hat einen Durchmesser von lediglich 2,4 Metern.
Anders als Hubble ist das europäische Mammut-Projekt aber nicht im Weltraum selbst, sondern in der chilenischen
Atacamawüste angesiedelt. Die wiederum liegt auf der Erde - und stellt die Entwickler des Teleskops vor gehörige
Herausforderungen. Denn Wind und Temperaturunterschiede in der Atmosphäre führen zu Turbulenzen, die
wiederum den Brechungsindex verändern. Kurz: Die Bildqualität verschlechtert sich. Und genau hier kommt
die JKU ins Spiel.
Österreich startet Weltraumzeitalter
Im Juli 2008 ist Österreich der ESO beigetreten, rechtzeitig, um sich am Projekt des "European Extremly
Large Teleskop" zu beteiligen. In Zusammenhang mit dem Beitritt wurden Prof. Ronny Ramlau und sein Team vom
Institut für Industriemathematik beauftragt, die auftretenden Schwierigkeiten bei der Steuerung des Teleskops
zu lösen.
"Mathematik und die Naturwissenschaften stehen in einer engen Wechselbeziehung. Zum einen finden Lösungen
abstrakter mathematischer Problemstellungen oft Anwendung in den unterschiedlichsten Bereichen der Naturwissenschaften,
zum anderen führen Probleme aus den Naturwissenschaften immer wieder zu neuen mathematischen Theorien",
erklärt Prof. Ramlau. Auch beim ESO-Projekt arbeiten Mathematiker und Astronomen Hand in Hand. Durch eigene
Software werden spezielle Spiegel des Teleskops so gesteuert, dass die atmosphärischen Störungen im Bild
korrigiert werden.
Pionierarbeit
Aufgrund der sich rasch ändernden Bedingungen müssen die Spiegel ca. alle zwei Millisekunden nachjustiert
werden. "Das führt natürlich zu einem enorm hohen Rechenaufwand, den man mit der derzeit vorhandenen
Hardware gar nicht hätte leisten können", so Ramlau. Doch die ESO wollte nicht nur funktionierende
Algorithmen, die Programme sollten möglichst auch auf wissenschaftlicher Standardhardware lauffähig sein.
"Eine echte Herausforderung", erinnert sich der JKU-Forscher.
Enorme Rechenanforderungen
Um die Spiegelverformung zu berechnen, mussten mehrere Teilprobleme gelöst werden. "Das Teleskop
nutzt zur Bildkorrektur z.B. ein Multi-Conjugate Adaptive Optik System, kurz MCAO. Dieses System arbeitet mit Hilfe
von Leitsternen, die es quasi zur Orientierung nutzt", erläutert der JKU-Professor. Zunächst müssen
die einfallenden Wellenfronten der Leitsterne aus Sensormesswerten ermittelt werden. Im Anschluss kann dann das
Turbulenzprofil der Atmosphäre über dem Teleskop rekonstruiert werden. Die Kenntnis des Profils ermöglicht
dann die Bestimmung der optimalen Oberfläche der benutzten verformbaren Spiegel, so dass eine hohe und gleichmäßige
Bildqualität über einen großen Himmelsausschnitt erzielt werden kann. "Leider gibt es nur
wenige brauchbare Leitsterne. Daher erzeugt man mit Hilfe von Lasern künstliche Leitsterne. Da der Laserstrahl
bzw. sein reflektiertes Licht die Atmosphäre zweimal durchquert, führt das zu zusätzliche Schwierigkeiten".
Insgesamt war das eine ziemliche Nuss, die die Linzer Mathematiker zu knacken hatten: "Unsere Algorithmen
müssen ein lineares Gleichungssystem mit 10^5 Unbekannten in zwei Millisekunden lösen - und das die ganze
Nacht hindurch!"
Erfolgreicher Testlauf
Knapp vier Jahre hat es gedauert, doch dann konnten die JKU-Wissenschafter eine Lösung präsentieren.
Am 28. und 29. September 2012 wurde ein erster Algorithmus made at JKU gemeinsam mit der University of Durham (England)
erstmals an einem Teleskop getestet. "Wir haben dazu das Herschel-Teleskop auf den Kanaren verwendet",
erinnert sich Prof. Ramlau. Dieses Teleskop mit einem Spiegeldurchmesser von 4,2 Metern liegt auf dem Roque de
los Muchachos in 2344 Metern Höhe. Eine spannende und arbeitsreiche Nacht später stand fest: Die Algorithmen
funktionierten nicht nur, sie liefen auch extrem schnell - und das wie gefordert auf herkömmlicher Hardware.
Gekostet hat die Entwicklung rund 2,5 Millionen Euro, die vom Bund zur Verfügung gestellt wurden. Im Rahmen
des Gesamtprojektes ein bescheidener Betrag: Insgesamt werden die Kosten für das "European Extremly Large
Teleskop" mit 1,1 Milliarden Euro beziffert. Die ersten Vorbereitungsarbeiten in Chile haben heuer bereits
begonnen, die Fertigstellung wird vermutlich im Jahr 2022 stattfinden. Ab dann kann das Teleskop - auch dank der
an der JKU entwickelten Algorithmen - seine Aufgabe erfüllen: Neue Planeten außerhalb unseres Sonnensystem
entdecken und unser Wissen über den Weltraum erweitern.
Fortsetzung gesichert
Im Rahmen der über den Hochschulraumstrukturfonds bereitgestellten Mittel wird das Projekt "Beobachtungsorientierte
Astrophysik in der E-ELT Ära" als Kooperationsprojekt zwischen den Universitäten Wien, Innsbruck,
Graz, Linz sowie dem RICAM in Linz für die nächsten drei Jahre gefördert. Damit ist sichergestellt,
dass sich die JKU auch in Zukunft an der Erforschung des Weltraums beteiligen kann.
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