Zuständiges Gehirnareal für Überwinden von Egozentrismus entdeckt
Wien (universität) - Egoismus und Narzissmus scheinen in unserer Gesellschaft auf dem Vormarsch zu
sein, während die Empathie abnimmt. Ein internationales ForscherInnenteam um Claus Lamm vom Institut für
Psychologische Grundlagenforschung der Universität Wien hat herausgefunden, dass die Fähigkeit zur Empathie
durch unsere eigenen Gefühle verzerrt werden kann. Dieser emotionsbedingte Egozentrismus wird vom Gehirn erkannt
und korrigiert. Wenn das dafür zuständige Gehirnareal im Gyrus supramarginalis nicht richtig arbeitet
oder man sich besonders schnell entscheiden muss, ist die Empathie erheblich eingeschränkt. Die Ergebnisse
der Studie wurden im "Journal of Neuroscience" publiziert.
Menschen beziehen sich bei der Einschätzung ihrer Mitmenschen und ihrer Umwelt auf sich selbst. Dabei tendieren
wir dazu, unseren eigenen Gemütszustand auf andere zu projizieren. Während sich die Wahrnehmungsforschung
schon ausführlich mit diesem Thema beschäftigt hat, fehlten auf emotionaler Ebene bislang Forschungsergebnisse.
Man nahm zwar an, dass Emotionen die Empathiefähigkeit beeinflussen; gemessen wurde diese "emotionale
Egozentrizität" aber noch nie.
Genau das ist dem internationalen Forschungsteam des MPI Leipzig, der Universität Zürich, des SISSA Triest
und der Universität Wien nun in einer aufwändigen, multi-methodischen Studie gelungen, die aus fünf
unterschiedlichen, sich gegenseitig bestätigenden Experimenten bestand. Dabei entdeckten die WissenschafterInnen
jenes Gehirnareal, das dafür verantwortlich ist, dass wir unseren eigenen Gefühlszustand von dem anderer
Menschen trennen können. Es ist der Gyrus supramarginalis, eine Windung der Großhirnrinde, die sich
ungefähr dort befindet, wo Scheitel-, Schläfen und Frontallappen zusammentreffen. "Das war etwas
unerwartet, denn wir hatten eigentlich das temporo-parietale Kreuzungsareal im Visier, das ein paar Zentimeter
weiter vorn im Gehirn liegt", erklärt Claus Lamm, einer der beiden Erstautoren der Publikation.
Mit Spielzeugschleim und Kunstpelz der Empathie auf der Spur
In einem Wahrnehmungsexperiment wiesen die ForscherInnen zunächst nach, dass unsere Gefühle tatsächlich
die Empathiefähigkeit beeinflussen und sich dieser Egozentrismus auch messen lässt. In Zweier-Teams wurden
die Teilnehmerinnen gleichzeitig visuellen und taktischen Reizen ausgesetzt, die entweder angenehm oder unangenehm
waren.
Während Teilnehmerin 1 zum Beispiel ein Bild einer Schnecke sah und ihre Hand dabei mit Spielzeugschleim berührt
wurde, sah Teilnehmerin 2 ein Bild von einem Kätzchen und fühlte flauschiges Fell auf ihrer Haut. Die
Probandinnen sahen außerdem, welchem Reiz ihr Teampartner gerade ausgesetzt war. "Es war wichtig, diese
beiden Reize zu kombinieren. Ohne den Berührungsreiz hätten die TeilnehmerInnen nur mit dem Kopf bewertet,
die Gefühle wären außen vor geblieben", erklärt Claus Lamm die Herangehensweise.
Anschließend wurden beide Teilnehmerinnen gebeten, entweder ihre eigenen Emotionen oder jene der Partnerin
zu bewerten. Diese Übung war einfach, solange beide Probandinnen positiven oder negativen Reizen ausgesetzt
waren. Wer etwa gerade mit Stinkwanzen konfrontiert worden war, der konnte sich gut vorstellen, wie unangenehm
der Anblick und das Gefühl einer Spinne sein musste.
Differenzen traten erst bei den inkongruenten Versuchsdurchläufen auf, bei denen eine Partnerin mit angenehmen
und die andere unangenehmen Reizen konfrontiert wurde. Plötzlich sank die Empathie. Die eigenen Emotionen
verzerrten die Einschätzung der Gefühle anderer. Wem es selbst gut ging, der bewertete negative Erfahrungen
des Partners als weniger schlimm. Wer hingegen gerade eine unangenehme Erfahrung machte, vergab für positive
Erlebnisse der Partnerin weniger gute Bewertungen.
Bei besonders schnellen Entscheidungen sinkt die Empathie
Mit Hilfe von zwei einander bestätigenden Experimenten mit funktioneller Magnetresonanztomografie fanden
die ForscherInnen das dafür verantwortliche Gehirnareal. Der Gyrus supramarginalis sorgt dafür, dass
wir unsere Selbstwahrnehmung von der Wahrnehmung anderer entkoppeln können. In einem weiteren Experiment wurden
die Nervenzellen in diesem Hirnareal nun bei der Arbeit durch eine ergänzende Methode – die transkranielle
Magnetstimulation (TMS) - vorübergehend gestört. Dies führte dazu, dass es den Probandinnen wesentlich
schwerer fiel, ihre eigenen Gefühle nicht auf andere zu projizieren. Wie ein letztes Experiment zeigte, waren
die Einschätzungen der Probandinnen darüber hinaus auch dann ungenauer, wenn diese zu besonders schnellen
Entscheidungen gedrängt wurden.
Bisher gingen die Modelle der sozialen Neurowissenschaften davon aus, dass Menschen zur Empathie vor allem ihre
eigenen Emotionen als Referenz heranziehen. "Das geht aber nur solange gut, wie wir uns im gleichen Zustand
befinden wie unser Gegenüber. Sonst muss das Gehirn gegensteuern und korrigieren", erklärt Claus
Lamm.
Es überrascht deshalb nicht, dass gerade bei neurologischen Erkrankungen wie Autismus oder Depression die
Empathiefähigkeit gestört ist. Zukünftige Experimente könnten zeigen, ob man dieses Fehlen
von Empathie ebenfalls auf neuronaler Ebene beobachten kann. Dann könnte man eines Tages mittels Magnetresonanztomografie
vielleicht verfolgen, ob eine Therapie erfolgreich ist oder nicht.
Publikation in "The Journal of Neuroscience"
Giorgia Silani*, Claus Lamm*, Christian C. Ruff, Tania Singer: Right Supramarginal
Gyrus Is Crucial to Overcome Emotional Egocentricity Bias in Social Judgements. The Journal of Neuroscience, Online
veröffentlicht am 25. September 2013, doi: 10.1523/JNEUROSCI.1488-13.2013
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