Brüssel (ec) - Ein Vorschlag der Europäischen Kommission, der allen Bürgern in der EU das Recht
garantiert, in Strafverfahren rechtlichen Beistand in Anspruch nehmen zu können, wurde am 07.10. mit der
Zustimmung des Ministerrates förmlich angenommen. Das Europäische Parlament hatte der Richtlinie bereits
am 10. September zugestimmt. In der Praxis bedeutet das, dass allen Verdächtigen überall in der EU künftig
das Recht garantiert wird, sich vom Beginn des Verfahrens bis zu seinem Abschluss von einem Anwalt beraten lassen
zu können. Im Falle einer Festnahme gewährleisten die neuen Vorschriften, dass die betroffene Person
die Gelegenheit erhält, Kontakt zu ihrer Familie aufzunehmen. Bürger, die sich nicht im eigenen Land
befinden, haben das Recht, ihr Konsulat zu kontaktieren.
„Dieses Gesetz bedeutet einen Sieg für die Gerechtigkeit und für die Rechte der Bürger“, erklärte
Vizepräsidentin und EU-Justizkommissarin Viviane Reding. „Dies ist der dritte Vorschlag der Europäischen
Kommission, um den Menschen überall in der EU das Recht auf ein faires Verfahren zu garantieren, egal ob sie
sich in ihrem eigenen oder in einem anderen Land befinden. Wir lösen damit unser Versprechen ein, die Rechte
der Bürger EU-weit zu stärken. Mit „wir“ meine ich dabei die Mitglieder des Europäischen Parlaments
und die Minister der Mitgliedstaaten. In diesem Zusammenhang möchte ich insbesondere der Berichterstatterin
Oana Antonescu und Minister Alan Shatter für ihre engagierte und zielstrebige Arbeit an diesem wichtigen Vorschlag
danken. Nun sind die Mitgliedstaaten am Zug: Es liegt an ihnen, keine Zeit zu verlieren und diese Richtlinie im
Interesse unserer Bürger möglichst rasch in einzelstaatliches Recht umzusetzen.“
In den kommenden Wochen wird die Richtlinie im Amtsblatt der EU veröffentlicht. Die Mitgliedstaaten haben
anschließend drei Jahre Zeit, sie in einzelstaatliches Recht umzusetzen. Nach dem Inkrafttreten wird die
neue Richtlinie für jährlich rund acht Millionen Strafverfahren in den 28 EU-Mitgliedstaaten gelten.
Die Richtlinie zum Recht auf Rechtsbeistand
ist der dritte einer Reihe von - mittlerweile angenommenen - Legislativvorschlägen, die das Recht auf
ein faires Verfahren EU-weit durch ein gemeinsames Mindestmaß an Verfahrensrechten garantieren sollen. Die
anderen Vorschläge betreffen das Recht auf Dolmetsch- und Übersetzungsleistungen (2010 angenommen) und
das Recht auf Belehrung in Strafverfahren (2012 angenommen. Die Kommission wird ihre Bemühungen in diesem
Bereich weiter vorantreiben: Noch in diesem Herbst soll ein Vorschlag zu einer weiteren Reihe von Verfahrensrechten
für Bürger vorgestellt werden.
Das Recht auf Rechtsbeistand ist für das Vertrauen in den einheitlichen europäischen Rechtsraum unerlässlich,
vor allem wenn eine Verhaftung auf der Grundlage eines Europäischen Haftbefehls erfolgt. Die Kommission arbeitet
darauf hin, einheitliche Mindeststandards hinsichtlich der Verfahrensrechte bei Strafverfahren zu erreichen, um
zu gewährleisten, dass die Grundrechte von verdächtigten und angeklagten Personen EU-weit ausreichend
gewahrt werden.
Jedes Jahr werden in der EU über 8 Millionen Strafverfahren eingeleitet. Das Recht eines Tatverdächtigen
auf Verteidigung wird allgemein als grundlegender Bestandteil des Rechts auf ein faires Verfahren anerkannt. Aber
die Bedingungen, unter denen ein Verdächtigter Kontakt zu einem Anwalt aufnehmen kann, sind von Mitgliedstaat
zu Mitgliedstaat verschieden. So kann es vorkommen, dass eine Person, die einer Straftat verdächtigt wird,
während ihrer polizeilichen Vernehmung keine Gelegenheit erhält, einen Anwalt zu kontaktieren. Die Vertraulichkeit
ihrer Kontakte mit ihrem Anwalt wird möglicherweise nicht gewahrt. Personen, die mit einem Europäischen
Haftbefehl festgenommen wurden, können in dem Land, in dem der Haftbefehl ausgestellt wurde, unter Umständen
erst dann die Hilfe eines Anwalts in Anspruch nehmen, wenn sie dorthin überstellt worden sind.
Ähnliche Unterschiede bestehen beim Recht auf Benachrichtigung eines Angehörigen, des Arbeitgebers und
des Konsulats von der Festnahme. Dieses Recht wird nicht generell – oder erst in einer späteren Phase des
Verfahrens – gewährt, und dem Beschuldigten wird mitunter nicht mitgeteilt, dass seine Familie benachrichtigt
wurde.
Die Richtlinie stellt auf folgende Art und Weise sicher, dass diese Rechte in der Praxis garantiert werden:
- Von Beginn der polizeilichen Vernehmung an bis zum Abschluss des Strafverfahrens
hat der Verdächtigte oder Beschuldigte Anspruch auf Rechtsbeistand.
- Damit der Betroffene seine Verteidigungsrechte wirksam wahrnehmen kann, muss
er das Recht haben, mit seinem Anwalt in ausreichendem Maße unter Wahrung der Vertraulichkeit zusammenzukommen.
- Der Rechtsbeistand kann sich an den Vernehmungen aktiv beteiligen.
- Wenn ein Verdächtiger festgenommen wird, kann z. B. ein Familienangehöriger
über diese Festnahme informiert werden, und der Betroffene erhält Gelegenheit, Kontakt zu seiner Familie
aufzunehmen.
- Tatverdächtige im Ausland dürfen im Kontakt zum Konsulat ihres Landes
stehen und Besuche erhalten.
- Personen, die mit einem Europäischen Haftbefehl festgenommen wurden, erhalten
die Möglichkeit, Rechtsberatung sowohl im Vollstreckungs- als auch im Ausstellungsstaat in Anspruch zu nehmen.
Das Recht auf ein faires Verfahren und die Verteidigungsrechte sind in Artikel 47 und 48 der Charta der Grundrechte
der Europäischen Union sowie in Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankert.
Das Recht auf Kontaktaufnahme zu einem Dritten ist eine wichtige Garantie gegen jede Form von Misshandlung, die
nach Artikel 3 EMRK verboten ist.
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