Die Ausstellung ist bis 12. Jänner 2014
im 21er Haus, Belvedere, Wien, zu sehen.
Wien (21er haus) - "(...) wer sind wir, wenn wir nicht länger Teil eines Beschreibungssystems
sind, eines Systems von Objekten, mit denen wir sexuelle Dialektiken bilden, und von Bildern, die wir lesen, verstehen,
von denen wir glauben, dass wir sie 'kennen'?" (Patricia MacCormack)
BUT WE LOVED HER - der Titel von Ursula Mayers Ausstellung entstammt einer Abbildung in der britischen Tageszeitung
The Independent vom 17. April 2013, vom Tag, an dem Margaret Thatcher beigesetzt wurde. Die in London lebende Künstlerin
sammelte in den Tagen nach Thatchers Ableben alle Zeitungsartikel und stellt diese vier Worte programmatisch ihrer
Ausstellung in Wien, aber auch einer Werkphase voran, in der Fragen zu den Möglichkeiten neoliberaler Identität,
zur Konsumkultur in einer postkapitalistischen Gesellschaft und zu deren Vorläufern im Vordergrund stehen.
"Ausgehend von Quellen aus Film, Philosophie, Politik und Kultur stellt Ursula Mayer ideengeschichtliches
Text- und Bildmaterial neu zusammen und entwickelt daraus ein vielschichtiges Geflecht autonomer Aussagen und Konzepte.
Sie beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit Strategien der filmischen Bildfindung, in denen gesellschaftliche
Normen zementiert werden, um genau diese konventionellen Bilder durch die Zerlegung der filmischen Sprache in ihrer
Konstruktion offenzulegen, zu verändern und zur Disposition zu stellen", betont Dr. Agnes Husslein-Arco,
Direktorin des Belvedere/21er Haus. Die Künstlerin hat für das 21er Haus ein kinematografisches Setting
geschaffen, das über die Grenzen der filmischen Arbeiten hinaus Objekte, Skulpturen, Collagen und Fotografien
zu einem erlebbaren Referenz- und Handlungsraum zusammenfasst. Innerhalb des mit dem Berliner Architekten Roger
Bundschuh gemeinsam entwickelten Ausstellungsdisplays werden filmische wie künstlerische Praktiken reflektiert
und auf gesellschaftsrelevante Fragestellungen ausgeweitet, wobei sich Ursula Mayer einer klaren Positionierung
enthält und einen ergebnisoffenen Raum propagiert, der die Zufälligkeiten sozialer Rollenmuster hervorhebt.
Ausgangspunkt der großen institutionellen Einzelausstellung von Ursula Mayer sowie gleichzeitig des ersten
gemeinsamen Ausstellungsprojekts der Ursula Blickle Stiftung und des 21er Haus ist eine Trilogie aus den Filmen
GONDA (2012), MEDEA (2013) sowie der 16mm-Doppelprojektion Cinesexual (2013). Deren Hauptdarsteller, das Model
Valentijn de Hingh und die Musikerin JD Samson, bewegen sich zwischen so unterschiedlichen Figuren wie Ayn Rand,
Margaret Thatcher, Medea und Jason, um letztlich in einer Two Sides to Every Story-Referenz auf Michael Snow aufeinanderzutreffen
und die Fäden miteinander zu verbinden. Hier wird eine Schwellensituation inszeniert, um die Oppositionen
einer binären Weltanschauung aufzulösen. Mayers Aktualisierung grundsätzlicher gesellschaftlicher
Themen reicht von der antiken Migrationsgeschichte von Euripides' Medea bis in die heutigen Unruhen in der arabischen
Welt hinein und stellt so eindringlich die Frage nach der zeitgenössischen conditio humana. Es handelt sich
um Fragen zu Individualismus und persönlicher Freiheit, zu Affekt und Grenzzustand menschlicher Destruktivität.
Die von der Autorin und Kunstkritikerin Maria Fusco und der Filmtheoretikerin Patricia MacCormack nach Originaltexten
verfassten Filmscripts verwickeln den Betrachter in die sinnliche Welt des filmischen Narrativs, um ihn gleichzeitig
in die individualistische Jetztzeit zu katapultieren.
Die Filme werden in die Ausstellungsfläche hineingetragen, in ein tableau vivant aus unterschiedlichen Objekten
und Szenarien wie z. B. den Körpermaschinen von Bruno Gironcoli, das aufgrund seiner sozialen und psychologischen
Verwicklungen den Betrachter in den Bann zu ziehen vermag. Durch versteckte Hinweise und kodierte Anhaltspunkte
wird die Wahrnehmung auf einen labyrinthischen Pfad sinnlicher und intellektueller Verführung dirigiert. Theoretische
Basis dieser Vorgehensweise ist die These der Cinesexuality von Patricia MacCormack. Ausgehend von Gilles Deleuze
und Félix Guattari begreift MacCormack das Medium Film als einen geschlechtslosen Körper, zu dem das
Auge in ein sinnliches Verhältnis tritt. "Sie plädiert für eine performative Körperlichkeit
des Films, die durch Elemente wie Textur, Licht oder Schatten entsteht, unabhängig von einer bloßen
Abbildung des (menschlichen) Körpers existiert und jenseits von kulturspezifischen Zuschreibungen funktioniert.
Die Deutungshoheit und die Stellung des Betrachters rücken dabei in den Vordergrund. Zeichen vermitteln in
der Kunst immer nur Möglichkeiten - es gibt keine festgelegten Bedeutungen, lediglich individuelle Interpretationen.
Damit setzt Ursula Mayer einen Prozess in Gang, der traditionelle Denkkategorien infrage stellt, um produktive
Anstöße zu entwickeln", erläutert Bettina Steinbrügge, Kuratorin der Ausstellung.
Begleitend zur Ausstellung erscheint im Verlag für moderne Kunst, Nürnberg, die erste umfangreiche, vom
Londoner Grafikbüro APFEL (A Practice for Everyday Life) gestaltete Monografie der Künstlerin, mit Texten
von u. a. Diedrich Diederichsen, Maria Fusco, Jutta Koether, Bettina Steinbrügge und Ian White.
Performance am 12. Oktober um 19.30 Uhr
Im Zentrum von Ursula Mayers Liveperformance der Filme GONDA und MEDEA stehen als Ausdrucksträger unserer
Zeit das Transgender-Model Valentijn de Hingh und die Musikerin JD Samson. Filmmusik: Gediminas Gelgotas. Orchester:
NI&CO (The New Ideas Chamber Orchestra).
Kooperation: Ursula Blickle Stiftung und 21er Haus
Mit dem Blickle Kino im 21er Haus, dem neuen Museum für zeitgenössische österreichische Kunst
im internationalen Kontext, konnte bereits eine Schnittstelle von Kunst und Film in Wien etabliert werden. Hier
werden alle Facetten heutigen Film- und Videoschaffens vor- und zur Diskussion gestellt. Filmemacher, Kuratoren
und Programmer werden laufend eingeladen, zu ihren Arbeiten Stellung zu beziehen, wodurch ein Forum entsteht, in
dem neueste Tendenzen erfahrbar werden. Als Kooperationspartnerin des Blickle Kinos - der aus den 1950er-Jahren
adaptierte Kinoraum war ein Geschenk von Ursula Blickle an das Museum - fungiert die Ursula Blickle Stiftung. Die
einzigartige Public Private Partnership wird 2013 mit der Übernahme des Ursula Blickle Videoarchivs durch
das Belvedere und der gemeinsamen Ausstellung von Ursula Mayer weiter ausgebaut.
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