EU-Hauptausschuss diskutiert über Kampf gegen Arbeitslosigkeit sowie über Bankenunion
und Flüchtlingspolitik
Wien (pk) - Der EU-Hauptausschuss, der am 23.10. im Vorfeld des Europäischen Rats tagte, stand einmal
mehr im Zeichen der Bewältigung der Wirtschafts- und Finanzkrise, die vor fünf Jahren nach der Pleite
von Lehman Brothers ihren Ausgang genommen hatte. Vor allem die Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt durch die schwächelnde
Konjunktur bereiten den Abgeordneten Sorge. Es gehe daher darum, sich Gedanken zu machen, wie man langfristig den
sozialen Ausgleich schaffen kann, zumal in vielen Ländern die Budgetmittel dafür fehlen, betonte in diesem
Zusammenhang Bundeskanzler Werner Faymann. Die Frage einer Balance zwischen Budgetkonsolidierung, der Ankurbelung
der Wirtschaft und der Entwicklung zu einer Sozialunion wurde daher in der Diskussion immer wieder aufgeworfen,
jedoch mit unterschiedlichem Zugang.
In einem mehrheitlich angenommenen Antrag auf Stellungnahme wird die Bundesregierung aufgefordert, für eine
rasche Umsetzung der Bankenunion einzutreten und die Verhandlungen über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer
zu forcieren. Ein Antrag der Grünen zu dem Thema blieb jedoch in der Minderheit.
Thema im Ausschuss war zudem die Flüchtlingspolitik, die die Grünen vor dem Hintergrund der jüngsten
dramatischen Ereignisse in Lampedusa zur Sprache brachten. Ihr diesbezüglicher Antrag auf Stellungnahme fand
ebenfalls keine ausreichende Unterstützung.
Bankenunion soll rasch verwirklicht werden
Eine konkrete Antwort auf die krisenhafte Entwicklung der letzten Jahre stellt die Vertiefung der Wirtschafts-
und Währungsunion dar, zu der als wesentliches Element die Bankenunion zählt. Eine gemeinsame Aufsicht
auf europäischer Ebene wurde bereits beschlossen, für einen einheitlichen Bankenabwicklungsmechanismus
liegt ein Vorschlag vor, der zum Ziel hat, zukünftige Bankenpleiten nicht nur vom Staat sondern in erster
Linie von den Aktionären, Gläubigern und Anlegern mit Einlagen über 100.000 € tragen zu lassen (sogenanntes
Bail-in).
In einem Antrag auf Stellungnahme, eingebracht von den Abgeordneten Kai Jan Krainer (S) und Werner Amon (V) drängen
die Koalitionsparteien darauf, diese Instrumente so rasch wie möglich wirksam werden zu lassen. Sie fordern
die Bundesregierung weiters auf, für eine höhere Eigenkapitalausstattung der Banken und die Trennung
zwischen Investment- und Geschäftsbanken einzutreten. Erst wenn der Bankensektor saniert ist, werde man auch
die Kreditklemme beheben können, zeigen sie sich überzeugt. Im gleichen Antrag, der letztendlich von
SPÖ, ÖVP und BZÖ mehrheitlich angenommen wurde, machen sich die Abgeordneten zum wiederholten Mal
für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, wie sie die Europäische Kommission vorgeschlagen
hat, stark. Die daraus lukrierten Mittel sollten dazu verwendet werden, Arbeitslosen und insbesondere jungen Menschen
ohne Beschäftigung eine Perspektive zu bieten.
Abgeordneter Kai-Jan Krainer erklärte dazu, viele Probleme des Finanzsektors seien nicht von einzelnen Staaten
lösbar. Steuerflucht im Unionsraum beispielsweise könne nur durch EU-weit gültige Regeln verhindert
werden. Die derzeitigen nationalen Mechanismen zur Bankenaufsicht sollten schrittweise in ein europäisches
System übergeführt werden, war seine Empfehlung.
Ein Antrag der Grün-Abgeordneten Bruno Rossmann, Werner Kogler und Alev Korun zu dem Thema wurde von den anderen
Fraktionen abgelehnt und blieb damit in der Minderheit. Die Grünen sprechen sich dabei ebenfalls für
die rasche Vollendung der Bankenunion aus, plädieren aber für eine zeitgleiche Umsetzung aller Säulen.
Insbesondere wenden sie sich dagegen, die Bail-in Instrumente nicht erst wie geplant 2018 in Kraft treten zu lassen.
Gefordert wird wie im Koalitionsantrag die Forcierung der Verhandlungen über die Finanztransaktionssteuer.
Eine strikte Absage kommt seitens der Grünen zum sogenannten "Pakt für Wettbewerbsfähigkeit".
Klar gegen die Bankenunion trat Abgeordneter Johannes Hübner von den Freiheitlichen auf. Der Kern der Bankenunion
sei ein europäischer Haftungsverbund für Pleitebanken, hielt er fest, man würde dann für marode
Banken anderer Länder zahlen müssen, die eigentlich zu liquidieren wären.
Eine Balance zwischen sozialer und wirtschaftlicher Dimension der EU
Die Notwendigkeit, die soziale Dimension der Wirtschafts- und Währungsunion zu stärken, wurde gleich
zu Beginn von Bundeskanzler Werner Faymann hervorgehoben. Dabei stelle sich auch das Problem, dass der Bewegungsspielraum
angesichts knapper Haushalte klein ist, bemerkte er. Einen sozialen Ausgleich werde man auch nur über einen
langen Zeitraum herstellen können, da man dafür auch Strukturen brauche. Deshalb sei es sinnvoll und
realistisch, etwa mit Pilotprojekten zu starten, wie man es in einigen Ländern mit Programmen zur Etablierung
eines dualen Ausbildungssystems im Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit versuche. Beim kommenden EU-Gipfel werde
man daher darüber nachdenken, wie man derartige wesentliche und tiefgreifende Änderungen langfristig
umsetzen kann.
Besonders SPÖ und Grüne gingen näher auf das Vorhaben der EU-Kommission ein, die soziale Dimension
der Wirtschafts- und Währungsunion auszuweiten. Um die Wirtschaftsentwicklung im Euroraum stabil zu halten,
sei es notwendig, auch den Sozial- und Beschäftigungsbereich in der Unionspolitik zu berücksichtigen,
so SPÖ-Klubobmann Josef Cap. SPÖ-Abgeordnete Christine Muttonen wiederholte in diesem Zusammenhang ihre
Forderungen nach einer aktiven Beschäftigungs- und Sozialpolitik auf europäischer Ebene. Für eine
soziale Dimension sei es notwendig, soziale Indikatoren in die makroökonomische Überwachung einzubeziehen,
führte sie aus. Der bisherige Fokus auf neoliberale Strukturreformen habe die Situation bislang nur verschlechtert,
die ersten Anzeichen einer wirtschaftlichen Erholung seien in den meisten Ländern an den Menschen vorbeigegangen.
Der Arbeitsmarkt sei weiter schwach und die soziale Lage prekär. Folgen seien steigende Armut und mangelhafte
gesundheitliche Versorgung. Muttonen trat daher mit Nachdruck auch dafür ein, die Sozialpartner auf EU-Ebene
stärker miteinzubeziehen.
Ähnlich sah dies Abgeordneter Bruno Rossmann (G). Wenn man das bisherige Krisenmanagement der EU nicht in
Frage stellt, dann werde man auch nicht zu einer aktiven Beschäftigungs- und Sozialpolitik kommen. "Wir
brauchen eine Weiterentwicklung der sozialen Systeme in Europa", sagte er und forderte neue Instrumente wie
eine eigene Fiskalkapazität oder eine europäische Arbeitslosenversicherung als zusätzlichen Krisenmechanismus
zu den nationalen Sicherungssystemen.
Der Kampf gegen die Arbeitslosigkeit fällt für ihn bisher zu zögerlich aus, die Ursache dafür
sieht er in dem Irrglauben der Union, dass durch Strukturmaßnahmen, insbesondere auf dem Arbeitsmarkt, die
Wirtschaft automatisch wieder anspringen wird. Seiner Meinung nach ist aber genau das Gegenteil der Fall, weil
durch die meisten Arbeitsmarktreformen und Bemühungen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit die
Nachfrage geschwächt wird. Die Grünen lehnen aus diesem Grund die geplanten bilateralen Verträge
für einen Wettbewerbspakt ab, da diese ihrer Auffassung nach die Konjunktur abwürgen. Sie seien auch
demokratiepolitisch bedenklich, weil damit einmal mehr die EU-Verträge umgangen würden.
Dieser Zielrichtung widersprach Abgeordneter Johannes Hübner von den Freiheitlichen heftig. Wenn man eine
europäische Dimension der Sozialpolitik anstrebe, dann müsse man den BürgerInnen auch ehrlich sagen,
dass man dafür Transferzahlungen leisten werden müsse, und das treffe vor allem die Nettozahler wie Österreich,
gab er zu bedenken.
Hoffnungsgebiet regionale Partnerschaften
Als eine zentrale Herausforderung für nationale Staaten aber auch für die EU sah Abgeordneter Werner
Amon (V) den Kampf gegen die Jugendarbeitslosigkeit. Ihm zufolge liegt der Ansatz aber bei der Sanierung der wirtschaftlichen
Grundstrukturen. Er begrüßte daher die von Vizekanzler Micheal Spindelegger angekündigten Abkommen
mit Ländern im Rahmen der östlichen Partnerschaft. Mit Georgien und Moldawien lägen die Verträge
fertig da, sie sollen Ende November in Vilnius paraphiert werden, informierte der Vizekanzler. Bei den Verhandlungen
mit der Ukraine sei man in der Zielgeraden. Spindelegger bedauerte die negative Haltung Russlands zu dieser Initiative,
die es verhindert habe, auch mit Armenien zu einem positiven Abschluss zu kommen. Diese östliche Partnerschaft
bringe beiden Seite viele Vorteile, warb Spindelegger für die Abkommen, da in den betreffenden Ländern
wirtschaftliche Entwicklungen in die Wege geleitet würden und sich für Exportländer wie Österreich
große Chancen ergäben.
Wirtschaftliche und damit arbeitsmarktpolitische Chancen sahen Spindelegger und Amon aber auch in den Konzepten
der makroregionalen Strategien. So habe man der bisherigen Entwicklung der Donauraumstrategie ein sehr positives
Zeugnis ausgestellt, merkte der Vizekanzler an, es gebe nun auch Interesse, die Mittelmeerländer zu bündeln.
Für Österreich von großem Interesse werde die Alpenraumstrategie gemeinsam mit Frankreich, Italien,
Deutschland, Slowenien und der Schweiz sein. Es ist davon auszugehen, dass dieser Vorschlag bei einem der nächsten
Räte zur Beschlussfassung vorliegt, zeigte sich Spindelegger zufrieden, da hier ebenfalls gemeinsame Interessen
im Verkehrsbereich, bezüglich Bergbauern und Umwelt umgesetzt werden können.
Grüne kritisieren EU-Flüchtlingspolitik
Angesichts der Flüchtlingskatastrophe bei Lampedusa, bei der mehr als 300 Flüchtlinge auf der Überfahrt
über das Mittelmeer den Tod fanden, warf Grün-Mandatarin Alev Korun die Flüchtlingspolitik der Europäischen
Union auf. Da sie im aktuellen Entwurf für die Schlussfolgerungen des Europäischen Rats den Bereich Asyl
vermisste, plädierte sie in einem Antrag auf Stellungnahme dafür, eine "solidarische und nachhaltige
Asylpolitik in der EU zu etablieren". Nach Lampedusa dürfe die EU nicht zur Tagesordnung übergehen.
Zudem sei das Dublin-System, mit dem Flüchtlinge in die Erstaufnahmestaaten der EU abgeschoben werden, abzuändern.
Es gelte, eine auf Größe und Bruttoinlandsprodukt der EU-Mitgliedsländer abgestimmte Verteilung
der Schutzbedürftigen zu erreichen, sodass "Staaten an den EU-Außengrenzen nicht alleine gelassen
werden", appellierte Korun.
Vizekanzler Spindelegger erinnerte daraufhin, die im Oktober eingesetzte Task Force der Justiz- und InnenministerInnen
aller EU-Staaten wolle schon diesen Dezember einen Beschluss über die Kooperation mit Drittländern in
der Flüchtlingspolitik fassen. Dadurch sollten Katastrophen wie jene der Bootsflüchtlinge bei Lampedusa
zukünftig verhindert werden. Österreich trage außerdem viel zur Entwicklungszusammenarbeit bei,
damit Menschen nicht gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen. Bundeskanzler Faymann fügte an, die EU müsse
eine "einigermaßen gleiche Verteilung" von Asylwerbenden in den Mitgliedsstaaten erreichen. So
nehme etwa Italien im Verhältnis zur Bevölkerungszahl viel weniger Flüchtlinge auf als Österreich.
Auch seien Diskussionen über die Bedingungen für Flüchtlinge im südlichen Nachbarland notwendig,
befand Faymann.
Forschung und Innovation als Motor der Wirtschaftszusammenarbeit
Zum Punkt Forschung und Innovation in der EU-Politik meinte der Bundeskanzler, Österreich habe im vergangenen
Jahr den zweithöchsten Anstieg der Forschungsquote in der Union aufgewiesen. Vor diesem Hintergrund müsse
man sich dafür einsetzen, auch Mitgliedsländern mit Budgetproblemen den finanziellen Spielraum für
Investitionen in Bildung und Forschung zu geben. Bedingung für mehr Forschungsmittel aus dem EU-Budget sei
allerdings, so Faymann, dass die Abmachungen zur Budgetkonsolidierung in den Krisenstaaten eingehalten werden.
Er konnte sich in diesem Zusammenhang auch höhere Beiträge zum EU-Forschungsbudget vorstellen, denn schließlich
gebe die Forschung wichtige Impulse für eine erfolgreiche Wirtschaftspolitik der EU.
Den Themenbereich Forschung und Innovation hatte zuvor Abgeordnete Katharina Cortolezis-Schlager (V) angesprochen,
indem sie den messbaren Nachweis für unterstützenswerte Innovationsleistungen in EU-Mitgliedsländern
hinterfragte. Völlig unterschiedlich fassten die Abgeordneten Hans-Jörg Jennewein (F) und Johann Maier
(S) die Behandlung der Thematik Innovation in den geplanten Schlussfolgerungen des Europäischen Rats auf.
Für Jennewein verdeutlichte sich im entsprechenden Dokumentsteil die Haltung der EU, seien darin doch nur
"Stehsätze" enthalten. Auf die tatsächlichen Probleme der BürgerInnen werde dagegen nicht
eingegangen. Dem widersprach Maier mit dem Hinweis auf aus seiner Sicht detailliert dargestellte Maßnahmen,
beispielsweise gegen die Steuerverschiebung von IT-Firmen, im EU-Dokument.
Über die Kluft zwischen BürgerInnen und europäischer Elite
Kurz wurden im Ausschuss auch grundsätzliche Fragen zur Zukunft der Union angesprochen. So berichtete Bundeskanzler
Werner Faymann über die Diskussion, wie verbindlich nationale Parlamente Kommissionsvorschläge diskutieren
und ernst nehmen sollen. Dabei sprach sich der Kanzler strikt gegen Überlegungen aus, ein Bonus-Anreizsystem
einzuführen. Skeptisch zeigte er sich hinsichtlich der vorliegenden Vorschläge zu einem gemeinsamen Budget
der Euroländer. Für Österreich werde das keinen direkten Vorteil bringen, hielt er fest.
Abgeordneter Stefan Petzner (B), der das letzte Mal in dem Ausschuss vertreten war, warnte seine KollegInnen vor
der großen Diskrepanz zwischen den BürgerInnen einerseits und der europäischen Entwicklung andererseits.
In ganz Europa seien die europakritischen Parteien im Vormarsch, betonte er, und wer das nicht erkenne, für
den werde es bei den Europawahlen ein böses Erwachen geben. Er appellierte daher, den Ansatz von Angela Merkel
ernsthaft zu überlegen, den einzelnen Nationalstaaten wieder mehr Souveränitätsrecht zurückzugeben.
|