Wien (belvedere) - "Deshalb gern mied ich alles Sinnen vorher, eine vage Vorstellung nur in Glut und Farbe
mir genügte (...)"*, schrieb Emil Nolde 1936 über seine instinktive Arbeitsweise und den ungehemmten
Umgang mit Farben, der seine Werke auszeichnet. Mit Emil Nolde - In Glut und Farbe widmet das Belvedere in Kooperation
mit der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde dem herausragenden Einzelgänger des deutschen Expressionismus
eine Ausstellung, die einen lebhaften Eindruck seiner Farbexplosionen vermittelt. Die Schau zeigt Werke aus all
seinen Schaffensphasen, von frühen, vom Impressionismus geprägten Gartenbildern über biblische und
Legendenbilder oder strahlende, in der Südsee gemalte Pastelle bis hin zu den während des Malverbots
entstandenen Ungemalten Bildern. Ergänzt wird die Ausstellung durch Druckgraphiken des Künstlers und
ausgewählte Arbeiten österreichischer Maler wie Oskar Kokoschka, Werner Berg oder Max Weiler, die durch
Nolde inspiriert wurden.
Emil Nolde fand erst relativ spät und weitgehend eigenständig zur Kunst und zu seiner individuellen Ausdrucksweise.
1867 als Emil Hansen im Dorf Nolde bei Tondern im deutsch-dänischen Grenzgebiet geboren, verbrachte er seine
Kindheit auf dem elterlichen Bauernhof. Nach einer Ausbildung zum Holzbildhauer in Flensburg und darauf folgenden
Wanderjahren als Möbeltischler war er als Fachlehrer für gewerbliches Zeichnen am St. Galler Industrie-
und Gewerbemuseum tätig. Der Verkaufserfolg einer Postkartenserie, in der er Bergen menschliche Züge
verlieh, ermöglichte ihm 1897, seine Lehrstelle aufzugeben und sich ganz der Malerei zu widmen. 1898 begann
er in München bei Friedrich Fehr zu studieren, wechselte aber bald zu Adolf Hölzel und den Malern der
Dachauer Schule. Dort erlernte er die Analyse der Kompositionen großer Meister und die Reduktion der Werke
auf ihre wesentlichen Elemente, was zu einer Verdichtung auf wenige große Flächen führte. Nach
Noldes kunsthandwerklichen Anfängen führte ihn die Auseinandersetzung mit Meistern wie Leibl, Marées,
Böcklin und der Besuch der Hölzel-Schule zunächst zu einer stimmungsvollen, dunkeltonigen Gestaltungsweise.
Einige Monate in Paris und an der Académie Julian im Jahr 1900 brachten ihn mit jenem strahlenden Kolorit
des französischen Impressionismus in Kontakt, das eine radikale Aufhellung seiner Palette mit sich brachte
- seine Bilder wurden strahlender, frischer und bunter. Währenddessen strebten die Maler der Brücke -
ausgehend von Munch und bestärkt von den zeitgleichen französischen Fauves - eine ähnliche Enthemmung
der Farbe und Spontaneität des Pinselstrichs an. Auf seine 20-monatige Zugehörigkeit zur Künstlergruppe
folgte Noldes Beitritt zur Berliner Secession. Später zählte er zu jenen Künstlern, die sich von
dieser abspalteten und 1910 die Neue Secession gründeten.
Selbstüberraschungen eines Farbmagiers
"Um 1911 bzw. 1912 fand Nolde zu seinem persönlichen Stil. Vom farbenprächtigen Impressionismus
seiner Gartenbilder um 1907 über die 1910 entstandenen religiösen Bilder, die eine neue Strahlkraft der
mit strähnigen Pinselzügen aufgetragenen Farben aufwiesen, gelangte er zu einer Malweise, die leuchtende,
volltönende Farbflächen betonte und Details unterschlug. Die Themenvielfalt seines unverwechselbaren
Werks reicht von grotesken Phantasiewesen, ekstatischen Tänzerinnen und Situationen des Berliner Nachtlebens
über Bibelszenen und christliche Legenden bis hin zur Landschaft seiner Heimat Nordschleswig und zu Meeresstimmungen
der Ost- und Nordsee", erklärt Agnes Husslein-Arco, Direktorin des Belvedere. Noldes Naturverbundenheit
und die ständige Suche nach dem Ursprünglichen führten ihn auf weite Reisen, sogar nach Neuguinea,
wo er auf Inspiration abseits der westlichen Zivilisation hoffte. "Die Bildfläche war das eigentliche
Austragungsfeld seiner Auseinandersetzung mit Natur und Leben, auf dem sich das Drama der Farben untereinander
abspielte. Mit Fortschreiten seines Werks sollte Nolde immer stärker auf diese eigene, den Farben innewohnende
Kraft hören und aus ihr heraus seine Bilder entwickeln. Der Künstler schuf seine Gemälde vor allem
aus seiner eigenen Vorstellungskraft und Empfindung heraus. Oftmals war er dabei selbst ganz erstaunt über
die Ergebnisse und bezeichnete die schönsten seiner Werke daher als Selbstüberraschungen", erläutert
Stephan Koja, Kurator der Ausstellung.
Ungemalte Bilder
Noldes unmittelbarer Zugang zur Malerei und sein einzigartiger Umgang mit Farben fanden einen Höhepunkt in
seinem immensen Alterswerk der Ungemalten Bilder, die trotz des Malverbots, das am 23. August 1941 über ihn
verhängt wurde, im Geheimen entstanden. Aus der Reichskunstkammer ausgeschlossen, wurde ihm jede berufliche
Betätigung auf den Gebieten der bildenden Künste untersagt. Dies bedeutete einen großen Schock
für den Maler, hatte er doch wie viele andere Künstler anfänglich die Machtergreifung der Nationalsozialisten
begrüßt und gehofft, das nationalsozialistische Regime könnte Deutschland nach dem Trauma des Ersten
Weltkriegs und des Friedensvertrags von Versailles wieder Orientierung und Selbstvertrauen verleihen. Sein Interesse
für den nordischen Naturmystizismus brachte ihn dabei gefährlich nahe an die rassisch beeinflusste nordische
Mythenwelt des Nationalsozialismus; dessen Intoleranzen bis hin zum Völkermord sah er allerdings wohl nicht
voraus. Aufgrund seiner ausgeprägten Verwurzelung in Nordfriesland war eine Emigration, wie sie ihm von Freunden
nahegelegt wurde, für Nolde undenkbar. Um sich nicht durch den Geruch der Ölfarbe zu verraten, schuf
der Künstler in den vier Jahren des Malverbots hauptsächlich kleine Aquarelle - Ungemalte Bilder, da
sie eigentlich nicht entstehen durften und auch nicht in jener Form verwirklicht werden konnten, in der Nolde sie
erschaffen wollte: als großformatige Ölgemälde. So entstanden zwischen 1938 und 1945 über
1300 kleinformatige Aquarelle und Gouachen mit frei erfundenen, meist phantastischen Darstellungen in seinem Atelier
in Seebüll, von denen knapp 50 Blätter im Unteren Belvedere präsentiert werden. Dabei ließ
Nolde aus zufälligen Farbklecksen Gesichter, Figuren, aber auch phantastische Mischwesen zwischen Mensch und
Tier entstehen. Ebenso malte Nolde Landschaften aus seinem Gedächtnis, unter ihnen blutrot gefärbte Meere
oder in Lapislazuli getauchte Felsküsten.
In Glut und Farbe
Emil Nolde - In Glut und Farbe zeigt zentrale Werke aus der reichen Sammlung der Stiftung Seebüll Ada und
Emil Nolde, der Hamburger Kunsthalle sowie weiteren Museen und Privatsammlungen. Unter den Arbeiten befinden sich
Landschaften, Meere, Bildnisse, Berliner Szenen, religiöse Bilder und Phantasien sowie hochkarätige Folgen
von Aquarellen und fast 50 Blätter der Ungemalten Bilder. Gleichzeitig beleuchtet die Ausstellung durch ausgewählte
Werke österreichischer Maler wie Werner Berg, Herbert Boeckl, Oskar Kokoschka oder Max Weiler, wie diese auf
Noldes Farbexplosionen reagierten und aus seiner Kunst Anregungen für das eigene Werk bezogen. Damit veranschaulicht
die Ausstellung auch den intensiven künstlerischen Austausch im Europa des 20. Jahrhunderts.
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